Adolf Sternheim – Wikipedia

Adolf Sternheim (* 14. September 1871 in Aplerbeck bei Dortmund; † 19. April 1950 in Ilten) war ein deutscher Verfolgter des Nationalsozialismus und Philanthrop bereits vor dem Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit.

Grab des Adolf Sternheim und seiner Tochter Ilse auf dem Lemgoer jüdischen Friedhof
Namensnennung der 1943 in Theresienstadt umgekommenen Lina Sternheim, Frau des Adolf Sternheim, am Lemgoer Synagogen-Denkmal
Namensnennung von Berty und Martin Goldschmidt am Lemgoer Synagogen-Denkmal. Berty Goldschmidt ist die Tochter Sternheims und starb 1943 in Theresienstadt. Martin Goldschmidt ist Sternheims Enkel. Er wurde 1944 in Auschwitz getötet.

Adolf Sternheim heiratete Lina Goldstein, mit der er die zwei Töchter Berty und Ilse bekam, und kam im Jahr 1910 nach Lemgo. Er wurde Mitinhaber der Getreide- und Futterhandlung Sternheim und Archenhold.

Er engagierte sich in der Synagogengemeinde Lemgo, in der er im Jahr 1911 Mitglied, ab 1923 zweiter Vorsitzender und ab 1924/25 bis 1929 und ab 1933 Vorsitzender war.[1] Er war ein Vertreter des liberalen Judentums. Er forderte auf dem Israelitischen Gemeindetag 1932 eine zurückhaltendere Nutzung des Hebräischen bei Beerdigungen. Es folgte eine hitzige Diskussion mit den Traditionalisten, worauf er vom Amt des stellvertretenden Vorsitzenden des Gemeindetages zurücktrat.[2]

Als Gründungsmitglied war er in den Jahren 1911 bis 1933 Vorsitzender der Freiwilligen Krieger- und Sanitätskolonne des Roten Kreuzes Lemgo.[3][4] Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Herbst 1933 musste er sein Geschäft aufgeben. Zunächst vermietete er es.[5] Über das Jahr der Aufgabe seines Geschäftes gibt es verschiedene Angaben: 1935 in einer Bestätigung des Lemgoer Stadtdirektors von 1947[6] bzw. 1936 in[5]. Da er als Kaufmann einigen Reichtum erarbeitet hatte und ein Haus besaß, wurde sein Haus in der Paulinenstraße 5 ein "Judenhaus". Dort wohnten ab 1933 neben seiner eigenen Familie die Juden Luise Backer, geb. Weinberg, Isaak Katz, Johanna Katz, geb. Pins, Mathilde Lenzberg, geb. Hagemann, Rosa Michaelis und Minna Ostwald, geb. Bachmann.[5] Am 28. Juli 1942 wurde er zusammen mit seiner Frau und weiteren 20 jüdischen Bürgern und Bürgerinnen Lemgos nach Theresienstadt (über Bielefeld) deportiert; dort kamen seine Frau, die ältere Tochter Berty Goldschmidt und sein Enkelkind Martin Goldschmidt um.[7][5] Am 21. Juni 1945 kehrte Sternheim in sein ehemaliges Wohnhaus in Lemgo, Paulinenstr. 5 zurück.[6]

Trotz vieler weiter bestehender Vorurteile und Widerstände gegenüber Juden im Land Lippe[8] begann Adolf Sternheim bald nach seiner Rückkehr nach Lemgo sich politisch und sozial zu engagieren. Adolf Sternheim wurde Vorsitzender der Jüdischen Kultusvereinigung des Landes Lippe. Er erstellte 1948 eine Liste der umgekommenen lippischen jüdischen Mitbürger, protestierte 1946 bei der Lippischen Landesregierung gegen die Verteilung jüdischer Flüchtlinge auf die Dörfer[9], unterstützte aus Gefangenschaft oder KZ Zurückkehrende politisch und sozial,[10] unterstützte dabei auch Karla Raveh, die ebenfalls nach Lemgo zurückgekehrt war[11] und setzte sich 1947 auch beim Vorstand des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe für die Anerkennung von Gemeindemitgliedern als Juden ein.[12] Im Oktober 1948 wurde eine Gedenkfeier für die NS-Opfer unter den lippischen Juden im Lemgoer Engelbert-Kaempfer-Gymnasium abgehalten.[13]

Sternheim war Mitbegründer der FDP im Kreis Lemgo, gehörte auch dem VVN an und organisierte mit anderen eine der ersten Gedenkveranstaltungen an die Opfer des Holocaust in Deutschland. 1947 war er an der Neugründung der Ortsgruppe des Roten Kreuzes beteiligt.[14] Am 19. April 1950 starb er in Ilten bei Hannover. Er ist in Lemgo auf dem Neuen jüdischen Friedhof an der Konsul-Wolff-Straße beerdigt.

In Lemgo sind zwei Preise nach Sternheim benannt, die im jährlichen Wechsel verliehen werden. Die Stadt Lemgo würdigt mit der Adolf-Sternheim-Ehrennadel verdiente Persönlichkeiten der Stadt.[7] Diese wurde beispielsweise 1998 von Ignatz Bubis an die Eheleute Ellinger für die ehrenamtliche Betreuung des Junkerhauses verliehen.[15] Die im Jahr 2010 erstmals von der Sparkasse Lemgo gestiftete Adolf-Sternheim-Auszeichnung wird Vereinen, Gruppen und Organisationen verliehen, deren Projekte in unmittelbarer Verbindung zu ehrenamtlichem Engagement für Lemgo stehen müssen.[16]

  • Kurzbiographie Sternheims, Online verfügbar im Internetangebot der Stadt Lemgo
  • Artikel der Lippischen Landes-Zeitung vom 23. April 2012 (online)
  • Arie Goral-Sternheim Impressionen einer westfälischen Kindheit (online; PDF; 77 kB) Seite 116 ff. aus: A. Goral-Sternheim Jeckepotz. Eine jüdisch-deutsche Jugend 1914-1933, 2. Auflage, Hamburg 1996
  • Ilse Drucker-Sternheim: Adolf Sternheim, 1871 - 1950 – Gründer der Sanitätskolonne des DRK Lemgo, In: Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum des DRK Lemgo Textbearbeitung: Stephan Frühauf. – Lemgo, 1986. – S. 13–14: Ill.
  • Jürgen Hartmann: „Vom Zahne der Reform und des Indifferentismus benagt“. Zur religiösen Ausrichtung der jüdischen Lipper von der Mitte des 19. bis ins 20. Jahrhundert. In: Rosenland – Zeitschrift für lippische Geschichte. E-Journal Nr. 14, 2013, S. 21–43. (PDF; 3,3 MB)

Einzelnachweise

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  1. Jürgen Hartmann: „Vom Zahne der Reform und des Indifferentismus benagt“. Zur religiösen Ausrichtung der jüdischen Lipper von der Mitte des 19. bis ins 20. Jahrhundert. 2013, S. 39.
  2. Jürgen Hartmann: „Vom Zahne der Reform und des Indifferentismus benagt“. Zur religiösen Ausrichtung der jüdischen Lipper von der Mitte des 19. bis ins 20. Jahrhundert. 2013, S. 40.
  3. Artikel in der Lippischen Landes-Zeitung: Rotes Kreuz feiert seinen 100. Geburtstag, 11./12. Juni 2011 (Memento vom 20. Oktober 2013 im Internet Archive) (PDF; 817 kB)
  4. Hehner-Rügge, Karin: Skript und Foto zur Einladung der Sternheim-Ehrung, Lemgo, 2009, Stadtarchiv.
  5. a b c d Verfolgte in der NS-Zeit und ihre Familienangehörigen (Verfolgung aus rassistischen Gründen), Stadtarchiv Lemgo, Version vom 27. Januar 2012.
  6. a b Materialsammlung ‚Deportation der Juden 1939-1945‘ im Stadtarchiv Lemgo.
  7. a b Karin Hehner-Rügge: Adolf Sternheim - ein Menschenfreund, Rede anlässlich der Verleihung der Sternheim-Ehrennadel am 14. August 2009 (Memento vom 20. Oktober 2013 im Internet Archive) (PDF; 33 kB)
  8. siehe Dokumentation von Wolfgang Müller (PDF; 74 kB) aus: Stadt Detmold (Hg.) Detmold in der Nachkriegszeit. Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts bearb. von Wolfgang Müller, Hermann Niebuhr und Erhard Wiersing, Aisthesis Verlag, Bielefeld 1994, ISBN 3-925670-94-7
  9. vgl. Wolfgang Müller 1994, Anm. 34 m.w.N.
  10. Pohlmann, Hanne und Klaus, Scheffler, Jürgen: Lokale Erinnerung im Schatten der Vergangenheit. Die Gedenkfeier für die lippischen Juden in Lemgo 1948, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld, 2009
  11. Raveh, Karla, Helene Rosenberg, 2003: Überleben. Der Leidensweg der jüdischen Familie Frenkel aus Lemgo, Forum Lemgo, Schriften zur Stadtgeschichte, 5. Aufl., 2003.
  12. vgl. Wolfgang Müller 1994, Anm. 40
  13. Lokale Erinnerung im Schatten der Vergangenheit. In: www.hexenbürgermeisterhaus.de. Archiviert vom Original am 5. März 2016; abgerufen am 3. Juni 2012.
  14. hiergeblieben.de, Lippische Landes-Zeitung: Über das Leben von Adolf Sternheim / Drei Lemgoer fassen die Biografie des jüdischen Bürgers zusammen, 23. April 2012
  15. Selbstlosen Einsatz gewürdigt. Ignatz Bubis verlieh Eheleuten Ellinger Adolf-Sternheim-Ehrenamt-Nadel. In: www.llb-detmold.de. Lippische Landes-Zeitung Nr. 51, 1998, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 10. April 2016; abgerufen am 6. Juni 2023. verzeichnet in der Regionaldokumentation der Lippischen Landesbibliothek
  16. Textanzeige. hiergeblieben.de;