Alexei Feodossjewitsch Wangenheim – Wikipedia

Alexei Feodossjewitsch Wangenheim (vor 1934)
Aus einem Brief im Jahr 1937.
Anschauungsbild einer Sonnenfinsternis für die Tochter Eleonora. Am 19. Juni 1936 war in Teilen Russlands eine totale Sonnenfinsternis zu beobachten.

Alexei Feodossjewitsch Wangenheim (russisch Алексей Феодосьевич Вангенгейм; geboren 10.jul. / 22. Oktober 1881greg. in Krapiwna, Ujesd Konotop, Russisches Kaiserreich; gestorben 3. November 1937 in Sandarmoch, Republik Karelien, Sowjetunion) war ein russischer Meteorologe.

Wangenheim wurde in eine kleinadlige Familie im Gouvernement Tschernigow geboren.[1] Sein Vater war Baron und Vertreter im Semstwo.

Wangenheim leistete den Militärdienst und studierte Naturwissenschaften am Polytechnikum in Kiew und Agrarwissenschaften in Moskau. 1906 heiratete er Julia Bolotowa, die Geschichte und Geographie studiert hatte. Seine Berufstätigkeit begann er als Meteorologe in Port-Petrowsk am Kaspischen Meer. Während des Ersten Weltkriegs war er Soldat in der 8. Armee. Seine Wettervorhersagen dienten dem Giftgaseinsatz der russischen Armee an der Front zu den österreichischen Truppen.[1]

In der Sowjetunion wurde er Mitglied der KPdSU. In Petrograd leitete er das Geophysikalische Observatorium und wurde Teil der wissenschaftlichen Elite des Landes. Nach seiner Scheidung heiratete er Warwara Kurgusowa. Er wurde 1929 Direktor des Hydro-Meteorologischen Dienstes der Sowjetunion in Moskau.[1] Ab 1930 war er einer der zwei sowjetischen Vertreter in der Kommission zur Vorbereitung des Internationalen Polarjahrs (IPY) 1932/33 und der dazu in Leningrad geplanten Konferenz.[2]

Wangenheim wurde am 8. Januar 1934 festgenommen und am 27. März 1934 zu 10 Jahren Lagerhaft in einem Gulag auf den Solowezki-Inseln verurteilt. Im Gulag arbeitete er in der Bibliothek. Am 9. Oktober 1937[3] wurde er beschuldigt, ein bürgerlicher Nationalist zu sein[4], von einer speziellen Troika des NKWD zum Tode verurteilt und am 3. November 1937, anlässlich des 20. Jahrestages der Oktoberrevolution von 1917, in Sandarmoch in Karelien[3][4] mit einer größeren Gruppe von Häftlingen erschossen und in einem Massengrab verscharrt.[1]

Wangenheim wurde nach dem 20. Parteitag der KPdSU im Zuge der Entstalinisierung am 23. Juni 1956 rehabilitiert. Ein Museum[5] in Dmitrijew-Lgowski, dessen Leiter er war, wurde nach ihm benannt.

Wangenheim schrieb Briefe an seine Frau und seine Tochter Eleonora (1930–2012)[6], von denen 168 erhalten sind. Eleonora war damals zwischen vier und sieben Jahren alt. Er schrieb und zeichnete für sie eine Art Nachschlagewerk mit ausführlichen Beschreibungen der Tier- und Pflanzenwelt, fertigte ein Herbarium an und erfand Rätsel.[7] Eleonora Wangenheim wurde Wissenschaftlerin. Sie stiftete den Nachlass der St. Petersburger Menschenrechtsorganisation Memorial, die einen Teil der Briefe und Zeichnungen 2014 in einer Anthologie veröffentlichte und in der Ausstellung Papas Briefe – Briefe von Vätern aus dem Gulag an ihre Kinder öffentlich machte.

Olivier Rolin veröffentlichte 2014 Le Météorologue, für den er seit einem Aufenthalt an der Universität Archangelsk im Jahr 2010 mit Unterstützung von Memorial das Leben Wangenheims recherchiert hatte, und machte ihn damit auch außerhalb Russlands bekannt.

  • Irina Scherbakowa (Hg.): Ich glaube an unsere Kinder. Briefe von Vätern aus dem Gulag. Herausgegeben von MEMORIAL © 2015 by Memorial Human Rights Society, Moscow. Matthes & Seitz, Berlin, 2019, 222 S. Mit einem Geleitwort von Ljudmila Ulizkaja. Vorwort von Irina Scherbakowa. ISBN 978-3-95757-384-1. Darin: Alexej Wangenheim: Gib meine Begeisterung an unsere Tochter weiter. Seite 27–48.
  • Olivier Rolin: Le météorologue. Im Anhang 16 Seiten mit Illustrationen aus dem Nachlass Wangenheims. Seuil/Paulsen, Paris 2014
    • Olivier Rolin: Der Meteorologe. Übersetzung Holger Fock und Sabine Müller. Liebeskind, München 2015, ISBN 978-3-95438-049-7
Commons: Alexei Feodossjewitsch Wangenheim – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c d Cornelius Wüllenkemper: Wolken über den Solowezki-Inseln, Rezension, in: Süddeutsche Zeitung, 28. August 2015, S. 18
  2. Cornelia Lüdecke, Julia Lajus: The Second International Polar Year 1932–1933. In: The History of the International Polar Years (IPYs) (= From Pole to Pole). Springer, 2010, ISBN 978-3-642-12401-3, S. 135–173, doi:10.1007/978-3-642-12402-0_6.
  3. a b Liste der in Sandarmoch ermordeten Ukrainer Nr. 25 Wangenheim, auf radiosvoboda vom 12. November 2012; abgerufen am 25. September 2018 (ukrainisch)
  4. a b Eintrag zu Wangenheim in der Enzyklopädie der modernen Ukraine; abgerufen am 25. September 2018 (ukrainisch)
  5. Дмитриевский государственный краеведческий музей им. А.Ф.Вангенгейма, bei museum.ru
  6. Eleonora Alexejewna Wangenheim bei gulagmuseum.org
  7. Inna Parfenowa: Erinnerungen an den Vater: Briefe aus dem Gulag, Rezension, bei Russia Beyond the Headlines, 6. Februar 2015