Alltagsdefinition – Wikipedia

Als Alltagsdefinition (englisch folk definition) werden in der Philosophie und Sprachwissenschaft definitionsähnliche Verfahren im Alltag bezeichnet, die der Erläuterung einer Wortbedeutung oder der Erklärung eines Sachverhalts dienen.[1]

Die Fachliteratur unterscheidet häufig zwischen wissenschaftlicher und Alltagsdefinition.[2][3] Die Alltagsdefinition dient zur Bestimmung der Objekte oder Sachverhalte in der Kommunikation des Alltags, die wissenschaftliche Definition wird zur Kommunikation in der Wissenschaft und Fachsprache verwendet. In Lexika hängt es vom Adressaten ab, ob die eine oder andere Definition benutzt wird.[4] Fachlexika wenden sich mit wissenschaftlichen Definitionen an Experten, Lexika der Allgemeinbildung bevorzugen Alltagsdefinitionen.

Alltagsdefinition in der Sprachwissenschaft

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Alltagsdefinitionen gehen vom Standpunkt der Alltagsvorstellung aus, während wissenschaftliche Definitionen fachlich-wissenschaftliche Erkenntnisse fixieren.[5] Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich Umgangs- und Fachsprache gegenseitig beeinflussen.

Gegenüberstellung Alltagsdefinition und wissenschaftliche Definition

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So könnte sich beispielsweise die Definition des Wassers im Alltag auf „Flüssigkeit“ aus Wasserstoff und Sauerstoff beschränken, weil dieser Aggregatzustand beim Wasser am häufigsten vorkommt. Für wissenschaftliche Zwecke muss jedoch von „chemischer Verbindung“ aus Wasserstoff und Sauerstoff gesprochen werden, weil Wasser eben auch im Aggregatzustand Eis oder Wasserdampf vorkommt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Alltagsdefinition zu eng.

Im Alltag wird „Abfall“ definiert als „nicht mehr weiter zu verwertende Reste zum Wegwerfen“, während die umweltpolitische Definition lautet: „Abfall sind bewegliche Sachen, deren sich ihr Besitzer entledigen will oder deren Entsorgung aus Gründen des Gemeinwohls, insbesondere des Umweltschutzes, erforderlich ist“.[6]

Weitere Vergleiche:[7]

Begriff Alltagsdefinition wissenschaftliche Definition
Angebot „etwas, das zum Kauf oder Tausch angeboten wird“[8] „Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen zu einem Marktpreis
Nachfrage Bedarf der Käufer an bestimmten Waren[9] „Das auf einem bestimmten Markt (Kapitalmarkt, Gütermarkt) geäußerte Kaufinteresse“
Komplexität „vielschichtig, viele verschiedene Dinge umfassend“ Mathematik: „Rechenaufwand eines Algorithmus
Massenmedien „sind alle Medien, die ein großes Publikum erreichen wie Presse und Rundfunk „sind hochkomplexe soziale und technische Systeme mit hohem kontinuierlichen Informationsfluss,
der ‚blind‘ auf ein breites Publikum gerichtet wird…“[10]

Während die Alltagsdefinition auf dem wesentlichen Semem beruht, vermittelt die wissenschaftliche Definition neben den wesentlichen auch zusätzliche fachliche Merkmale.

Da es sich bei Alltagsdefinitionen um Bedeutungsbeschreibungen eines (Rede-)Bezugsgegenstandes handelt, auf die in der Regel durch ein Lexem referiert wird, sind Alltagsdefinitionen lexikalische Erläuterungen. Für solche Erläuterungen gibt es in anderen wissenschaftlichen Untersuchungen unterschiedliche Bezeichnungen.

So finden sich folgende, synonym für Alltagsdefinitionen verwendete Benennungen in verschiedenen wissenschaftlichen Ausführungen, die sich mit lexikalischer Bedeutung befassen:

  • „Textinterne und satzgliedinterne definitionsartige Erläuterungen“[11].
  • „Nicht wissenschaftliche Explikationen in Alltagsdialogen“[12].
  • „Kontextuelle Paraphrase eines Redestückes in kontrakonfliktärer Funktion“[13].
  • „Alltagsdialoge über nennlexikalische Ausdrücke“.[14]
  • „Textzeugnisse metasprachlichen Charakters, in denen historische Sprachteilhaber ihre Ansichten über Texte, Sätze, Wörter, Wortbedeutungen, grammatische Formen, Aussprache oder Schreibweise äußern, also die Sprache ihrer Zeit in der eigenen Perspektive unverdeckt reflektieren“.[15]
  • „Semantisch relevante Formulierungsbearbeitung“.[16]

Alle diese Bezeichnungen beziehen sich auf eine und dieselbe sprachliche Erscheinung, nämlich die Alltagsdefinition.

Einzelnachweise

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  1. Greta Stanaitrytė, Alltagsdefinitionen und ihre Funktionen, 2005, S. 34 f.
  2. Dieter Viehweger (Hrsg.), Semantische Merkmale und Textstruktur, in: František Daneš/Dieter Viehweger (Hrsg.), Probleme der semantischen Analyse, 1977, S. 287
  3. Herbert Ernst Wiegand, Die lexikografische Definition im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch, in: Rufus Gouws/Ulrich Held/Wolfgang Schweickart/Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.), Wörterbücher/Dictionaries/Dictionnaires, 1989, S. 542; ISBN 978-3-11-012420-0
  4. Lina Krämer, Semantische Spezifik der wirtschaftlichen Termini gegenüber den gemeinsprachlichen Lexemen, 2001, S. 66
  5. Lina Krämer, Semantische Spezifik der wirtschaftlichen Termini gegenüber den gemeinsprachlichen Lexemen, 2001, S. 67
  6. Uwe Schreiber, Das Wirtschaftslexikon, 2000, S. 7; ISBN 978-3-453-16473-4
  7. Lina Krämer, Semantische Spezifik der wirtschaftlichen Termini gegenüber den gemeinsprachlichen Lexemen, 2001, S. 68 f.
  8. Dudenredaktion (Hrsg.), Das Bedeutungswörterbuch, 1985, S. 50
  9. Dudenredaktion (Hrsg.), Das Bedeutungswörterbuch, 1985, S. 456
  10. Werner Fuchs-Heinritz (Hrsg.), Lexikon zur Soziologie, 1995, S. 422; ISBN 978-3-531-16602-5
  11. Hartmut Schmidt, Sprachkompetenz und Sprachreflexion als Probleme der historischen Semantik, in: Rudolf Schützeichel (Hrsg.), Sprachwissenschaft 13 (3), 1988, S. 334–355
  12. Uta M. Quasthoff/Dietrich Hartmann, Bedeutungserklärungen als empirischer Zugang zu Wortbedeutungen. Zur Entscheidbarkeit zwischen holistischen und komponentiellen Bedeutungskonzeptionen, in: Deutsche Sprache, Zeitschrift für Theorie, Praxis, Dokumentation, 1982, S. 104
  13. Herbert Ernst Wiegand, Nachdenken über Wörterbücher: Aktuelle Probleme, in: Günther Drosdowski/Helmut Henne/Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.), Nachdenken über Wörterbücher, 1977, S. 66
  14. Herbert Ernst Wiegand, Die lexikographische Definition im allgemeinen einsprachigen Wörterbuch, in: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Band 5.1, 1989, S. 553
  15. Hartmut Schmitt, Sprachkompetenz und Sprachreflexion als Probleme der historischen Semantik, in: Rudolf Schützeichel (Hrsg.): Sprachwissenschaft 13 (3), 1988, S. 341 f.
  16. Arnulf Deppermann/Thomas Spranz-Fogasy (Hrsg.), be-deuten, 2002, S. 23