Alte Synagoge (Göttingen) – Wikipedia
Die Alte Synagoge in Göttingen, einer Universitätsstadt im südlichen Niedersachsen, wurde von 1869 bis 1872 erbaut. Die Synagoge befand sich in der Unteren Masch.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach der im Königreich Hannover verordneten Konstituierung von Synagogengemeinden mussten die Juden in Göttingen 1844 zusammen mit denen in Geismar und in Rosdorf einen Synagogenverband bilden.
Da die frühere, um 1710/20 eingerichtete und 1783[1] erneuerte Synagoge in der Prinzenstraße sowie auch das vorgelagerte Schulhaus in einem schlechten baulichen Zustand waren und sich die Zahl der Gemeindeangehörigen stark vergrößert hatte, ließ die jüdische Gemeinde in den Jahren 1869–1872 eine neue Synagoge im neuromanischen Stil errichten. Ausgewählt wurde in etwa 250 m nordwestlicher Entfernung ein unbebautes Grundstück gegenüber des Amt- und Gefangenhauses an der Oberen Masch Straße.
Gut 20 Jahre bedingte der weitere Zuzug von Juden nach Göttingen einer Erweiterung der Synagoge nach Plänen des Architekten Hans Breymann[2][3], die 1895 feierlich eingeweiht werden konnte. Statt der bisherigen 200 verfügte die Synagoge nun über circa 450 Plätze. Die überlieferten Abbildungen und Pläne zeigen den Zustand nach der Erweiterung, wobei in den Grundrissen die neuen Bauteile farblich rot markiert sind.
- Ansicht der Ostfassade
- Ansicht der Nordseite
- Grundriss des Erdgeschosses
- Grundriss des Emporengeschosses
Zeit des Nationalsozialismus und Nachkriegszeit
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge durch Brandstiftung zerstört, und am Tag darauf sprengte die Technische Nothilfe die Ruine. Ein Jahr später wurde das Gelände eingeebnet. Das Grundstück wurde 1940 an den Göttinger Spar- und Bauverein verkauft.[4]
Im Jahre 1952 wurde das Grundstück, auf dem die Synagoge gestanden hatte, an die Jüdische Gemeinde zurückgegeben. Weil diese es nicht nutzen konnte, verkaufte sie es an den Deutschen Gewerkschaftsbund. Der neue Eigentümer errichtete 1955 auf dem Grundstück ein Gewerkschaftshaus. Der dreieckige Platz vor dem Grundstück wurde bis zur Errichtung des Mahnmals als Parkplatz genutzt.[4]
Gedenken
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1960 wurde an dem Gewerkschaftshaus auf dem ehemaligen Synagogengrundstück eine kleine Gedenktafel für die Synagoge angebracht. Weil diese Tafel als nicht angemessen angesehen wurde, beschloss der Rat der Stadt 1970 die Errichtung eines Mahnmals.[4] 1973 wurde vor dem Göttinger Gefängnis an der Ecke Obere-/Untere-Masch-Straße, am Platz der ehemaligen Synagoge, ein Mahnmal eingeweiht. Die aus Stahlrohren pyramidenförmig in sich gedrehte Plastik auf der Grundform eines Davidsterns wurde vom italienischen Künstler Corrado Cagli geschaffen.[5] Am 6. Dezember 1991 beschloss die Stadt, den unbebaut gebliebenen Teil des ehemaligen Synagogengrundstücks zwischen Obere-Masch-Straße und Untere-Masch-Straße als „Platz der Synagoge“ zu benennen.[6]
Am 9. November jeden Jahres findet am Mahnmal auf dem Platz der Synagoge eine Gedenkfeier statt, während der auf spezifische Teile Göttinger Geschichte eingegangen wird. So wurde z. B. der von der Universität verwiesenen Wissenschaftler gedacht oder einzelner Familien.[7][8][9]
Vorgeschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Göttingen gab es bereits im Jahr 1289 die erste Erwähnung einer jüdischen Gemeinde mit einem urkundlichen Verweis, in welchem die Göttinger Herzöge Wilhelm und Albrecht dem Stadtrat gestatten, einem Juden namens Moyse und dessen Nachkommen mit den geltenden Bürgerrechten auszustatten.
Die erste Synagoge in der Jüdenstraße, aus dem 14. Jahrhundert stammend, wurde in der ersten Verfolgungswelle im Jahr 1350 zerstört. Anlass war der Vorwurf, jüdische „Brunnenvergifter“ seien für den Ausbruch der Pest verantwortlich.[10] In der Mitte des 15. Jahrhunderts fand der zweite große Abbruch jüdischen Lebens in Göttingen statt. Diesem fiel unter anderem die jüdische Schule in der Speckstraße zum Opfer. Jüdisches Leben in Göttingen begann danach, wohl auch durch den starken Antijudaismus des folgenden Jahrhunderts, erst wieder im 17. Jahrhundert zu erstarken, als einzelne Familien jüdischen Glaubens wieder nach Göttingen zogen.[11]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Berndt Schaller: Synagogen in Göttingen. Aufbrüche und Abbrüche jüdischen Lebens. Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2006, ISBN 3-938616-54-7, S. 24–26. (Digitalisat auf blankgenealogy.com, abgerufen am 1. April 2023; 24,3 MB), S. 35 ff.
- Klaus-Dieter Alicke: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum. Band 1: Aach – Groß-Bieberau. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008, ISBN 978-3-579-08077-2 (jüdische-gemeinden.de).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Katharina Klocke: Vor 74 Jahren in Flammen aufgegangen, auf goettinger-tageblatt.de, 8. November 2012
- November Pogrome 1938 in Niedersachsen – Göttingen auf pogrome1938-niedersachsen.de
- Mahnmal Synagoge auf denkmale.goettingen.de
- Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen e.V.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Moses Rintel: Versuch einer skizzirten Beschreibung von Göttingen nach seiner gegenwärtigen Beschaffenheit. Ruprechtische Buchhandlung, Göttingen 1794, S. 171. (Digitalisat)
- ↑ Maren Christine Härtel: Göttingen im Aufbruch zur Moderne. Architektur und Stadtentwicklung (1866–1989). In: Rudolf von Thadden (Hrsg.): Göttingen – Geschichte einer Universitätsstadt. Band 3: Von der preußischen Mittelstadt zur südniedersächsischen Großstadt 1866–1989. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1999, ISBN 3-525-36198-X, S. 764.
- ↑ Peter Wilhelm: Die Synagogengemeinde Göttingen, Rosdorf und Geismar 1850–1942. In: Studien zur Geschichte der Stadt Göttingen. Band 11, Göttingen 1978.
- ↑ a b c Guido Albrecht-Böning: „Geh nach unten,schau nach oben!“ (PDF) In: Göttingen. Brunnen – Denkmale – Kunstwerke. Stadt Göttingen, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 5. April 2022; abgerufen am 9. November 2018.
- ↑ Mahnmal Synagoge. In: Göttingen. Brunnen – Denkmale – Kunstwerke. Stadt Göttingen, abgerufen am 24. Mai 2023.
- ↑ Gerd Tamke, Rainer Driever: Göttinger Straßennamen. 3. neu überarbeitete, wesentlich erweiterte Auflage. Göttingen 2012, S. 171 (stadtarchiv.goettingen.de [PDF; 2,9 MB; abgerufen am 7. November 2018]).
- ↑ Peter Krüger-Lenz: Gedenken an Reichspogromnacht in Göttingen. In: Göttinger Tageblatt. 12. November 2017 (goettinger-tageblatt.de ( vom 11. November 2019 im Internet Archive)).
- ↑ Göttingen Gedenkveranstaltungen zur Pogromnacht 1938. In: Göttinger Tageblatt. 9. November 2018 (goettinger-tageblatt.de).
- ↑ Gedenken an die Reichspogromnacht in Göttingen. In: Göttinger Tageblatt. 10. November 2019 (goettinger-tageblatt.de).
- ↑ Peter Aufgebauer: Die Anfänge jüdischen Lebens in der Universitätsstadt. Jüdische Gemeinde Göttingen, 25. Juni 2021, abgerufen am 29. September 2024.
- ↑ Peter Aufgebauer: Die Göttinger Juden zwischen Schutz und Ausbeutung. Jüdische Gemeinde Göttingen, 9. November 2021, abgerufen am 29. September 2024.
Koordinaten: 51° 32′ 11″ N, 9° 55′ 52″ O