Arthur Ruppin – Wikipedia

Arthur Ruppin

Arthur Ruppin (hebräisch אַרְתוּר שִׁמְעוֹן רוּפִּין Artūr Schimʿōn Rūppīn; geb. 1. März 1876 in Rawitsch, Deutsches Reich; gest. 1. Januar 1943 in Jerusalem) war jüdischer Soziologe, Zionist und einer der Wegbereiter der Gründung der Stadt Tel Aviv (Achusat Bajit). Ruppin exponierte sich als ein Verfechter der Rassentheorie. Häufig wird er der Vater der zionistischen Siedlungsbewegung genannt.

Arthur Ruppin war ein Sohn des Albert Ruppin und der Cäcilie Bork. Den Vornamen des gemeinsamen Großvaters Schimʿon Ruppin erhielt Arthur Ruppin bei seiner Brit Milah als seinen jüdischen Vornamen. Ab 1886 lebte Ruppin mit seiner Familie in Magdeburg, wo er seine Jugendjahre verbrachte und auch die beiden jüngsten seiner sechs Geschwister zur Welt kamen. Seine Eltern betrieben einen Kleinwarenhandel. Sein Bruder Siegfried Ruppin (1880–1947) wurde Lebensmittelgroßhändler und musste emigrieren, sein Bruder Kurt Ruppin (1894–1978) wurde später Ministerialbeamter in Israel.[1]

Ruppin besuchte zunächst das König Wilhelms-Gymnasium, musste dies jedoch aus wirtschaftlichen Gründen vorzeitig verlassen. 1896 legte er sein Abitur am Domgymnasium als extraneus ab. Er studierte dann Volkswirtschaftslehre und Jura in Berlin und Halle. 1903 und 1904 war er als Referendar zunächst bei der Staatsanwaltschaft und später am Landgericht Magdeburg tätig. In dieser Zeit begründete er einen jüdischen Referendarstammtisch, der sich regelmäßig in Magdeburg im Café Dom traf. Zu diesem Kreis gehörten auch der später in Berlin als Rechtsanwalt tätige Michael Meyer und Ernst Merzbach. 1903 erhielt Ruppin den renommierten Haeckel-Preis für seine Arbeit Darwinismus und Sozialwissenschaft. Noch in Magdeburg schrieb er an dem Buch Die Juden der Gegenwart. Von 1904 bis 1907 übernahm er die Leitung des von ihm gegründeten „Bureaus für Statistik der Juden“ in Berlin und gab auch dessen Zeitschrift heraus.

1908 wanderte Ruppin in Palästina ein. Er übernahm die Leitung des neu geschaffenen Palästinaamtes, der offiziellen Vertretung der Zionistischen Weltorganisation, in Jafo (Eröffnung am 1. April 1908); ihm zur Seite als Stellvertreter stand Jacob Thon (Ja'acov Tahun, יעקב טהון). Auf Ruppins Unterstützung geht unter anderem die Gründung der Stadt Tel Aviv zurück. Er gehörte zu den Befürwortern eines praktischen Zionismus und strebte eine jüdische Besiedlung Palästinas an. 1920 gewann Ruppin den Frankfurter Architekten Richard Kauffmann für die Leitung des Planungsbüros der Zentralstelle für Besiedlungsangelegenheiten beim Palästinaamt, der den nördlichen Ausbau Tel Avivs und viele ländliche Siedlungen projektierte.[2] 1925 war er Mitbegründer des Friedensbundes Brit Schalom, der an Juden und Araber appellierte, ihre nationalen Bestrebungen aufzugeben und ein binationales Gemeinwesen vorschlug, änderte aber nach dem Massaker von Hebron (1929) seine Meinung, verließ die Brit Shalom und forderte einen jüdischen Staat.

An der Hebräischen Universität Jerusalem übernahm er 1926 den Lehrstuhl für „Soziologie des Jahrhunderts“. In seinen soziologischen Arbeiten versuchte Ruppin, auf der Grundlage demografischer und empirisch-soziologischer Methoden antisemitische Vorurteile von einer jüdischen Dominanz bestimmter Berufszweige zu widerlegen. Er zeigte sich Gedanken der Eugenik gegenüber aufgeschlossen, forderte für die neue Besiedlung Palästinas eine „Auslese des Menschenmaterials“ und traf noch im August 1933, also nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland, mit Hans F. K. Günther in Jena zusammen.[3] Die Anzusiedelnden sollten von besonderer „körperlicher, beruflicher und moralischer Beschaffenheit“ sein. Er beteiligte sich auch intensiv an der Entwicklung neuer Formen des sozialen Zusammenlebens, so insbesondere der Kibbuzbewegung.

Ruppin gilt als Begründer der Soziologie der Juden. Sein Wirken ist jedoch umstritten. Seine Äußerungen zur Eugenik trugen ihm den Vorwurf des Rassismus ein. Sein zuvor erwähntes Zusammentreffen mit dem Rassenideologen Günther ist Gegenstand von Dani Gals Film White City, „in dem der Künstler Berührungspunkte im Denken von Zionisten und Nationalsozialisten nachvollziehbar macht“. Was bei dieser Begegnung gesprochen wurde, „hat Gal aus Tagebucheinträgen Ruppins konstruiert“.[4]

Arthur, Selma und Ruth Ruppin, 1911

Ruppin war zweimal verheiratet. Seine erste Frau war Selma Schulammit Lewek (1873–1912) aus Strzelno, eine Cousine väterlicherseits.[5] Sie war Musikerzieherin und hatte Operngesang in Berlin studiert. Sie heirateten im März 1908 in Berlin, bevor sie nach Jaffa zogen, wo er am 1. April des Jahres die Leitung des Palästinaamts antrat. Zur Geburt ihres ersten Kindes Ruth am 10. August 1909 reisten beide nach Berlin.[5] Nach der schweren Geburt blieben Mutter und Tochter zur Erholung bis 1910 in Berlin, während Arthur Ruppin schon vor ihnen nach Jaffa zurückgekehrt war. Nach beider Rückkehr 1910 gründete Selma Ruppin in Jaffa die erste Musikschule europäischer Prägung im Heiligen Land.

Channah, Ruth, Raphael und Arthur Ruppin, 1919

Selma Ruppin starb nach einer Totgeburt 1912 im Jerusalemer Krankenhaus Schaʿarei Zedeq an Blutvergiftung.[5] Ihre Schule wurde nach ihrem Tode nach ihr in Bejt Sepher Schulammit la-Musika (hebräisch בֵּית סֵפֶר שׁוּלַמִּית לַמּוּזִיקָה ‚Schulammit-Schule für die Musik‘) umbenannt, die bis 1942 bestand. In Jerusalem hatte Selma Ruppin ein Zweiginstitut gegründet, das bis heute besteht. Das 1938 von einem Schüler der Schulammit-Schule gegründete Konservatorjon Ron, ein Konservatorium in Tel Aviv, erweiterte Selma Ruppins zu Ehren seinen Namen 1971 zu Konservatorjon Ron Schulammit.

Channah Kagan (Ханна Каган; 1892–1985)[6] und Arthur Ruppin heirateten 1918 in Berlin.[7] Als Deutscher war Ruppin den britischen Eroberern des Heiligen Landes feindlicher Ausländer und hatte daher das Land verlassen müssen, als die Briten es 1917 einnahmen. Beider Sohn kam 1919 noch in Berlin zur Welt.[8] Ruppins vier Kinder waren:

  • Ruth Peled (1909–1999), bekannte Kinderärztin in Tel Aviv und verheiratet mit Dov Belo Peled (geb. Pechthold; 1902–1976),[5]
  • Raphael Ruppin (1919–2018), Fischer, Begründer des Fischerei-Moschavs Michmoret, UN-Entwicklungshelfer für Aquakultur in Äthiopien, Südafrika und Tansania, 1963–1965 erster Botschafter Israels in Tansania, Leiter der Fischereiabteilung der FAO, Schriftsteller,[8]
  • Carmella Jadin (1921–1976), von 1941 bis zum Tode Gattin Jiggael Jadins,[9]
  • Ajah Dinstein (1926–2009),[10] Feministin, 1970-1977 Präsidentin der WIZO,[11] von 1949 bis zum Tode Gattin Zvi Dinsteins.

Die Stadt Magdeburg hat die Arthur-Ruppin-Straße nach ihm benannt. Sie beschreibt die Südflanke der Grünen Zitadelle von Magdeburg, des letzten und größten Baukunstwerks des Künstlers Friedensreich Hundertwasser. Die Arthur-Ruppin-Straße mündet in die Haupteinkaufsstraße „Breiter Weg“ an der Stelle ein, an der vor dem Zweiten Weltkrieg das Haus der Familie Ruppin gestanden haben soll.

Die Stadt Haifa stiftete ihm zu Ehren einen Staatspreis (Ruppin-Preis). Preisträger waren u. a. 1949 die Schriftstellerin und Übersetzerin Leah Goldberg und 1952 der Philosoph, Zionist und Kafka-Freund Felix Weltsch.

Ihm zu Ehren trägt ein Kibbuz in Nord-Israel den Namen Kfar Ruppin.

Werke (Auswahl)

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Ruppin 1905 als Redakteur
Bd. 1. Die soziale Struktur der Juden. Nach Vorlesungen an d. Hebräischen Universität Jerusalem, 1930
Bd. 2. Der Kampf der Juden um ihre Zukunft. Nach Vorlesgn an d. Hebräischen Univ.-Jerusalem. 1931
  • Etan Bloom: The „Administrative Knight“ – Arthur Ruppin and the Rise of Zionist Statistics. In: The Tel Aviv University Year Book for German History. Jg. 35, 2007, S. 183–203.
  • Etan Bloom: What „The Father“ had in Mind, Arthur Ruppin (1876–1943), Cultural Identity, Weltanschauung and Action. In: The Journal for History of European Ideas. Jg. 33, Heft 3, 2007, S. 330–349.
  • Baruch Kimmerling: Ruppin, Arthur. In: Wilhelm Bernsdorf/Horst Knospe (Hrsg.): Internationales Soziologenlexikon. Bd. 1, Enke, Stuttgart ²1980, S. 363 f.
  • Thomas Kluger: Ruppin, Arthur. In: Guido Heinrich, Gunter Schandera (Hrsg.): Magdeburger Biographisches Lexikon 19. und 20. Jahrhundert. Biographisches Lexikon für die Landeshauptstadt Magdeburg und die Landkreise Bördekreis, Jerichower Land, Ohrekreis und Schönebeck. Scriptum, Magdeburg 2002, ISBN 3-933046-49-1.
  • Ita Heinze-Greenberg: Europa in Palästina. Die Architekten des zionistischen Projekts 1902–1923. gta Verlag, Zürich 2012, ISBN 978-3-85676-230-8.
  • Ruppin, Arthur. In: Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Band 18: Phil–Samu. Hrsg. vom Archiv Bibliographia Judaica. De Gruyter, Berlin u. a. 2010, ISBN 978-3-598-22698-4, S. 426–432.
  • Ina Susanne LorenzRuppin, Arthur. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 22, Duncker & Humblot, Berlin 2005, ISBN 3-428-11203-2, S. 281 f. (Digitalisat).
  • Amos Morris-Reich: Palästina-Amt. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Band 4: Ly–Po. Metzler, Stuttgart/Weimar 2013, ISBN 978-3-476-02504-3, S. 478–482.
Commons: Arthur Ruppin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Ruppin, Kurt, in: Werner Röder, Herbert A. Strauss (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. München: Saur, 1980, S. 627.
  2. Myra Warhaftig: Sie legten den Grundstein. Leben und Wirken deutschsprachiger jüdischer Architekten in Palästina 1918–1948. Berlin und Tübingen: Wasmuth, 1996, S. 42, ISBN 3-8030-0171-4.
  3. Shlomo Sand: Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand. Berlin: Propyläen, 2011, ISBN 978-3-549-07376-6, S. 388 Fn. 489.
  4. Carmela Thiele: Revision der Moderne: ‚Weissenhof City – Von Geschichte und Gegenwart der Zukunft einer Stadt‘. In: Die Tageszeitung, 12. August 2019, S. 16. Der Film ist Teil einer laufenden Ausstellung über die Weißenhofsiedlung in der Staatsgalerie Stuttgart, über die Carmela Thiele berichtet.
  5. a b c d Avner Falk: Agnon's Story: A Psychoanalytic Biography of S. Y. Agnon. Leiden: Brill, 2019, S. 71, ISBN 978-90-04-42542-2.
  6. Ihr Vater war Mordechai Ben Hillel Kagan (später rehebraisierte er den russifizierten Nachnamen zu Hacohen; 1856–1936), Kaufmann und Förderer und selbst Aktivist des Zionismus, ihr Bruder war David Hacohen (1898–1984), Mitglied der Knesset und von 1951 bis 1953 Botschafter Israels in Burma.
  7. Avner Falk: Agnon's Story: A Psychoanalytic Biography of S. Y. Agnon. Leiden: Brill, 2019, S. 72, ISBN 978-90-04-42542-2.
  8. a b Vgl. "רְפָאֵל רוּפִין", auf: רִאשׁוֹנוֹת וְרִאשׁוֹנִים, abgerufen am 24. November 2020
  9. "Carmella Yadin Dead At 54", in: Daily News Bulletin No. 35, 20. Februar 1976, Bd. XLIII, Jg. 59, Jewish Telegraphic Agency (Hrsg.), S. 3.
  10. Samuel Agnon, Protégé und Freund Arthur Ruppins, der ihm 1912 einen schließlich zwölf Jahre dauernden kulturellen Bildungsaufenthalt in Deutschland vermittelte, beide verbunden in ihrer Wertschätzung für Goethe und damals benachbart in Rechavia (zu Jerusalem), schlug vor, der Neugeborenen den Spitznamen Catharina Elisabeth Goethes als Vorname zu geben, den man zugleich als Akronym אָיָ"ה für hebräisch אֶרֶץ יִשְׂרָאֵל הָעוֹבֶדֶת (Erez Jisra'el ha-ʿōvedet, deutsch ‚das arbeitende Land Israel‘) lesen kann. Vgl. Avner Falk, Agnon's Story: A Psychoanalytic Biography of S. Y. Agnon, Leiden: Brill, 2019, S. 72. ISBN 978-90-04-42542-2.
  11. NN, "Israel's women are free to remain feminine", in: The Canberra Times, 28. Mai 1971, S. 10.