Bogislav von Selchow – Wikipedia

Bogislav von Selchow (* 4. Juli 1877 in Köslin; † 6. Februar 1943 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller, Marineoffizier und Anführer des Studentenkorps Marburg, eines Zeitfreiwilligenverbandes der Reichswehr.

Bogislav von Selchow war ein Enkel von Werner von Selchow und der einzige Sohn des preußischen Offiziers Friedrich Wilhelm Otto von Selchow und dessen Frau Hedwig Johanna Wilhelmine, geb. Kratz.[1] Seine 1885 geborene Schwester Anna Klementine Elsbeth Hedwig (Anni) engagierte sich später in der Zeit des Nationalsozialismus in der Bekennenden Kirche in Potsdam.[2] Mit fast 10 Jahren kam Selchow Ostern 1887 in die Quinta des Königlichen Gymnasiums in Köslin. 1895 wechselte er als Unterprimaner an das Kaiserin-Augusta-Gymnasium (heute Ludwig-Cauer-Grundschule) in Charlottenburg.

Nach dem Abitur am 16. März 1897 trat Selchow in die Kaiserliche Marine ein und wurde zum Offizier ausgebildet. Er war an zahlreichen Seefahrten beteiligt (unter anderem an Bord der Hertha). Am 6. September 1902 war er an Bord der Panther in Gonaïves, Haiti, an der Versenkung des haitianischen Kanonenboots Crête-à-Pierrot beteiligt (Markomannia-Zwischenfall). Er nahm aktiv am Ersten Weltkrieg teil: Am 1. April 1913 ging er als Erster Offizier auf das Seekadetten- und Schiffsjungen-Schulschiff Victoria Louise, zum Kriegsbeginn auf Feindfahrt gegen Russland, ohne jedoch mit dem Feind in Berührung zu kommen. 1914 wurde er zum Korvettenkapitän ernannt. Sein Vater fiel als Kriegsfreiwilliger in den Anfangstagen des Krieges und wurde am 27. Oktober 1914 auf dem Invalidenfriedhof in Berlin begraben. Im November 1914 wurde Selchow auf eigenen Wunsch als Bataillonskommandeur nach Flandern versetzt. Vom 1. August 1917 bis November 1918 arbeitete er bei der Admiralität in Berlin, ab Dezember 1918 in der Presseabteilung des Reichsmarineamts. 1919 wurde er als Fregattenkapitän verabschiedet und schied aus der Marine aus.

Studium und Führung eines Studentenkorps

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Nach der Verabschiedung aus der Reichswehr begann Selchow 1919 mit einem Studium der Geschichte in Marburg. Auf Befehl der Reichswehr-Brigade in Kassel wurde im September 1919 Selchow die Bildung einer Freiwilligen-Formation angetragen. In Marburg gründete er das „Studentenkorps Marburg“ (StuKoMa), ein Zeitfreiwilligen-Verband der Reichswehr. Bogislav von Selchow, Fregattenkapitän a. D. hatte den Befehl über das StuKoMa.[3] Das Studentenkorps wurde von der Kasseler Brigade der Reichswehr ausgerüstet und war auch dieser angegliedert. Das Bataillon bestand aus sechs Kompanien, jede dieser Kompanien wurde von Studenten bestimmter Studentenverbindungs-Arten gebildet.

Bereits vor dem Kapp-Putsch teilte Selchow sein Studentenkorps dazu ein, öffentliche Gelder für die Putschisten zu beschlagnahmen und in Marburg jüdische Banken zu besetzen.[4]

Zusätzlich war Selchow in Westdeutschland Anführer der Organisation Escherich (Orgesch), einer illegalen republikfeindlichen und paramilitärischen Organisation, die Fememorde beging und Waffenverstecke zur angeblichen „Bekämpfung des Bolschewismus“ anlegte.[5]

Selchow war eine zentrale Person der Ermittlungen nach den „Morden von Mechterstädt“: Nach der Tötung aufständischer Arbeiter durch Mitglieder des Studentenkorps wurden Letztere nach medialen und politischen Empörungen angeklagt, aber schlussendlich freigesprochen. Nach den Freisprüchen studierte Selchow weiter Geschichte und Philosophie und wurde am 24. Januar 1923 promoviert.[6]

Zeit des Nationalsozialismus

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Obwohl Antisemit und politisch dem Nationalsozialismus anhängend, war Selchow kein Parteimitglied. Er gehörte aber zu den 48 „bekannten Persönlichkeiten“, die nicht der NSDAP angehörten und 1933 öffentlich und medienwirksam zur Wahl von Adolf Hitler aufforderten. Auch gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Akademie für Deutsches Recht.[7] 1936 wurde er Namensgeber der NS-Studenten-Kameradschaft „B. von Selchow“ der vormaligen Marburger Burschenschaft Germania. Am 9. Juni 1939 wurde Selchow zum Ehrensenator der Philipps-Universität Marburg ernannt. In Meyers Lexikon 1942 wurde Selchow als „Getragen von nationalistischer Gesinnung“ charakterisiert.[8]

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden seine Schriften Wächter der Schwelle (1932),[9] Von Trotz und Treue (1932),[10] Der deutsche Mensch (1933),[11] Der bürgerliche und der heldische Mensch (1934)[12] und Hundert Tage aus meinem Leben (1943)[13] in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt.

1943 wurde Selchow auf dem Invalidenfriedhof in Berlin beigesetzt. Die Grabstätte ist nicht erhalten.

In der heutigen Zeit werden die Gedichte von Selchows hauptsächlich von Rechtsextremisten veröffentlicht.

Werke (in Auswahl)

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  • Weltkrieg und Flotte. 1918.
  • Deutsche Gedanken. Gedichte 1920.
  • Von Trotz und Treue. Gedichte 1921.
  • Der Ruf des Tages (Von Trotz und Treue. Teil 2), Gedichte 1922.
  • Unsere geistigen Ahnen. Ein Weltbild. 1927.
  • Wächter der Schwelle Gesammelte Gedichte, 1930.
  • An der Schwelle des vierten Zeitalters. 1931.
  • Die Not unseres Rechts 1932.
  • Der Glaube in der deutschen Ich-Zeit. Ein Zeitbild. 1933.
  • Der Deutsche Mensch. Zwei Jahrtausende Deutscher Geschichte. 1933.
  • Der bürgerliche und der heldische Mensch. 1934.
  • Das Namenbuch. 1934.
  • Der unendliche Kreis. Lebensroman des Nikolaus von Cues. Ein Zeitwendebild. 1935.
  • Deutsche Köpfe im Zeitalter Friedrichs des Großen. 1936.
  • Hundert Tage aus meinem Leben. Erinnerungen. 1936.
  • Worte und Werke / Bogislav von Selchow. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Hans Weicker, 1938.
  • Frauen großer Soldaten. 1939.
  • Michael Epkenhans: „Wir als deutsches Volk sind doch nicht klein zu kriegen. …“. Aus den Tagebüchern des Fregattenkapitäns Bogislav von Selchow. 1918/19. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen. München, 55, 1996, S. 165–224.
  • Michael Lemling: Völkisch-nationale Dichtung zwischen den Weltkriegen. Eine Studie zum Verhältnis von literarischem Traditionalismus und politischem Radikalismus anhand Bogislav von Selchows Lyrik und Prosa. Univ. Mag.-Arb., Marburg 1991.
  • Jeanette Toussaint: Ich bin für Potsdam das rote Tuch. Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche. Wilhelmshorst 2011.

Literatur über seine Beteiligung am Kapp-Putsch

  • H. Duderstadt: Der Schrei nach dem Recht. „Die Tragödie von Mechterstädt“. Marburg 1920.
  • Gustav Heinemann: Wir müssen Demokraten sein. Tagebuch der Studienjahre 1919–1922. Herausgegeben von Brigitte u. Hellmut Gollwitzer. Mit einer Einführung von Eberhard Jäckel. München 1980.
  • Peter Krüger u. Anne Christine Nagel (Hrsg.): Mechterstädt – 25.3.1920. Skandal und Krise in der Frühphase der Weimarer Republik. Münster 1997.
  • Ernst Lemmer: Manches war doch anders. Erinnerungen eines deutschen Demokraten. Frankfurt a. M. 1968.
  • H. Poppelbaum, W. Brüning, W. Vogt, Ph. Schütz: Die Ereignisse von Mechterstädt in ihrem zeitgeschichtlichen Zusammenhang. In: Einst und Jetzt. 38, 1993, S. 155–200.
  • K. Schaumlöffel: Das Studentenkorps Marburg in Thüringen. Ein Kriegstagebuch im Frieden, verfasst und zusammengestellt vom Stabsfeldwebel des Studentenkorps. Marburg 1920.
  • Hellmut Seier: Radikalisierung und Reform als Probleme der Universität Marburg 1918-1933. In: Academia Marburgensis. Band 1. Marburg 1977, S. 303–352.
  • Franz Hammer: Freistaat Gotha im Kapp-Putsch. Nach Dokumenten und Erinnerungen alter Mitkämpfer. Verlag Neues Leben, Berlin 1955.
  • Reimann, Bruno W.: Rechts gegen links. Mechterstädt als Symbol. Weimar: Eckhaus Verlag 2017

Einzelnachweise

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  1. Friedrich Wilhelm Otto Konstantin [von Selchow]. In: Marcelli Janecki, Deutsche Adelsgenossenschaft (Hrsg.): Jahrbuch des Deutschen Adels. Dritter Band. W. T. Bruer’s Verlag, Berlin 1899, S. 477–478 (dlib.rsl.ru).
  2. Jeanette Toussaint: Ich bin für Potsdam das rote Tuch. Anni von Gottberg und die Bekennende Kirche. Wilhelmshorst 2011.
    Jeanette Toussaint: Anni von Gottberg. In: FemBio. Abgerufen am 25. März 2020.
  3. Peter Krüger und Anne Christine Nagel: Mechterstädt-25.3.1920: Skandal und Krise in der Frühphase der Weimarer Republik. Münster: LIT Verlag 1997, S. 58.
  4. Irmtrud Wojak und Peter Hayes: «Arisierung» im Nationalsozialismus: Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis, Campus Verlag 2000, S. 39.
  5. Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 566, mit Bezug auf das 1934/35 entstandene nationalsozialistische Führerlexikon.
  6. Der Kampf um das Posener Erzbistum 1865. Graf Ledochowski und Oberpräsident v. Horn. Ein Vorspiel zum Kulturkampf
  7. Jahrbuch der Akademie für Deutsches Recht. 1. Jahrgang 1933/34. Hrsg. von Hans Frank. (München, Berlin, Leipzig: Schweitzer Verlag), S. 257.
  8. Zitat bei Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, S. 566.
  9. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone: Liste der auszusondernden Literatur: Erster Nachtrag. Zentralverlag, Berlin, 1947, S. 127–148, abgerufen am 25. März 2020 (Titel 3773).
  10. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone: Liste der auszusondernden Literatur: Zweiter Nachtrag. Zentralverlag, Berlin, 1948, S. 245–290, abgerufen am 25. März 2020 (Titel 7276).
  11. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone: Liste der auszusondernden Literatur. Zentralverlag, Berlin, 1946, S. 347–414, abgerufen am 25. März 2020 (Titel 11031).
  12. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone: Liste der auszusondernden Literatur: Erster Nachtrag. Zentralverlag, Berlin, 1947, S. 127–148, abgerufen am 25. März 2020 (Titel 3772).
  13. Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone: Liste der auszusondernden Literatur: Zweiter Nachtrag. Zentralverlag, Berlin, 1948, S. 245–290, abgerufen am 25. März 2020 (Titel 7275).