Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen – Wikipedia

Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Rechtsform GmbH
Gründung 20. Juni 2019
Sitz OsterreichÖsterreich Wien
Leitung Geschäftsführer Andreas Achrainer

Die österreichische Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (abgekürzt BBU GmbH) ist eine Gesellschaft im Eigentum der Republik Österreich und nimmt die in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Inneres fallende Betreuung von Asylwerbern sowie deren Rechtsberatung wahr.

Die Betreuung von Asylwerbern in den Erstaufnahmezentren wurde ursprünglich durch das Bundesministerium für Inneres wahrgenommen. Unter Innenminister Ernst Strasser wurde die Betreuung der Asylwerber privatisiert und mit Wirkung zum 1. Juli 2003 an das deutsche Unternehmen European Homecare vergeben.

Aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten bei European Homecare wurde die Betreuung der Asylwerber nach einer erneuten Ausschreibung an die ORS Service GmbH (ein Tochterunternehmen der Schweizer ORS Service AG) vergeben. Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 und im Nationalratswahlkampf 2017 forderte die FPÖ wiederholt ein Ende der Betreuung durch private Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen und eine Rückführung in eine staatliche Betreuung.[1] Der damalige Innenminister Herbert Kickl kündigte im Oktober 2018 eine Umsetzung in Form einer Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen und eine geplante Aufnahme der Tätigkeit zwischen 2019 und 2020 an.[2] Dieser Zeitpunkt konnte aufgrund von vertraglichen Verpflichtungen nicht eingehalten werden.

Die Agentur wird neben der Betreuung der Asylwerber auch die Rechtsberatung der Asylwerber durchführen, diese wurde bis dahin ebenfalls von privaten Nichtregierungsorganisationen wie der Diakonie durchgeführt.[3]

Das BBU-Errichtungsgesetz wurde am 16. Mai 2019 im Nationalrat beschlossen und ist am 20. Juni 2019 in Kraft getreten. Die Aufnahme der Tätigkeit wurde nunmehr mit 1. Juli 2020 beziehungsweise 1. Jänner 2021 fixiert.[4]

Die Aufgaben der BBU GmbH sind in § 2 BBU-Errichtungsgesetz definiert. Demnach obliegt der Bundesagentur die Betreuung von Asylwerbern in den Erstaufnahmezentren in Traiskirchen und Thalham sowie in den sonstigen Bundesbetreuungsstellen für Asylwerber, bis die Zuständigkeit für die Betreuung an die Länder übergeht. Diese Betreuung hat die Bundesagentur ab 1. Juli 2020 wahrzunehmen.

Ab 1. Jänner 2021 obliegt der Bundesagentur zudem die Rechtsberatung von Asylwerbern im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sowie im Falle einer Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA oder einer Säumnisbeschwerde im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und die Rückkehrberatung und Rückkehrhilfe. Weiters stellt die Bundesagentur für die Überwachung von Abschiebungen Menschenrechtsbeobachter und für Verfahren vor Behörden Dolmetscher zur Verfügung. Die Beschäftigten der Bundesagentur, die solche Aufgaben wahrnehmen, sind dabei weisungsfrei.

Es sollen zirka 110 Personen als Rechtsberater eingesetzt werden,[5] im Jahr 2021 sollen 373 Personen mit Aufgaben der Grundversorgung beschäftigt sein.[6]

Organe der Gesellschaft sind die Geschäftsführer und der Aufsichtsrat. Das BBU-Errichtungsgesetz sieht die Bestellung eines oder mehrerer Geschäftsführer durch den Innenminister vor. Der Bereichsleiter für die Rechtsberatung ist vom Justizminister zu bestellen. Der Aufsichtsrat hat zwölf Mitglieder, wobei sechs vom Innenminister, eines vom Finanzminister, eines vom Justizminister und vier vom Betriebsrat bestellt werden. Entscheidungen werden mit Stimmmehrheit getroffen, bei Stimmgleichheit entscheidet der Vorsitzende, der vom Innenminister bestellt wird.

Zum Geschäftsführer wurde der Jurist Andreas Achrainer bestellt.[6] Stephan Klammer, ehemaliger Leiter der Rechtsberatung der Diakonie Flüchtlingsdienst, ist Leiter der Rechtsberatung.[7] Mitglieder des Aufsichtsrates sind Peter Webinger, Wolfgang Taucher, Martin Sevcik, Friederike Schwarzendorfer, Michael Dunkel, Anton Schuh, Britta Tichy-Martin, Johanna Eteme, Margret Mitteregger, Sylvia Scheiblauer, Nadja Lorenz und Friedrich Rüffler.[8]

Kritisiert wurde die Einrichtung der Agentur von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, Juristen sowie von der Opposition. Nach Meinung von Amnesty International verabsäume es das Gesetz, die fundamentalen Rechte der Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen.[9] Die Diakonie kritisierte, dass mit der Umsetzung „abermals kein positiver Beitrag zum Flüchtlingsschutz geleistet wird“ und der „Grundsatz, wonach jene Schutz erhalten sollen, die diesen auch benötigen“, aufgegeben werden würde.[10]

Namhafte Juristen, darunter beispielsweise Manfred Nowak, Heinz Mayer und Clemens Jabloner sowie die Nationalratsabgeordnete Irmgard Griss (NEOS-Klub) setzten sich in einem offenen Brief für eine Beibehaltung der Rechtsberatung durch unabhängige Organisationen ein. Unterstützt wurde diese Forderung auch von ÖVP-Politiker Othmar Karas.[11]

NEOS-Asylsprecherin Stephanie Krisper gab an, es widerspreche dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, dass die Rechtsberatung derselben Behörde unterstehe, wie die inhaltlich entscheidenden Beamten.[12]

Im Dezember 2023 entschied der Verfassungsgerichtshof in einem Gesetzesprüfungsverfahren, dass die Unabhängigkeit der Rechtsberatung für Asylwerber/-innen durch die Bundesbetreuungsagentur nicht hinreichend gesetzlich abgesichert sei, wodurch das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletzt werde.[13][14]

Einzelnachweise

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  1. Dem Flüchtlingsbetreuer ORS droht die Kündigung. In: addendum.org. 2. Februar 2018, archiviert vom Original; abgerufen am 21. April 2024.
  2. Kickl: Neue Asyl-Agentur kommt. In: oe24.at. 16. Oktober 2018, abgerufen am 17. Oktober 2018.
  3. Irene Bricker: Was die neue Asylagentur zum Postenparadies macht. In: derstandard.at. 9. Juli 2019, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  4. BGBl. I Nr. 53/2019. 19. Juni 2019, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  5. Karl Ettinger: Neue Asylagentur 2021 in Vollbetrieb. In: Archiv der Wiener Zeitung. 15. März 2019, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  6. a b Neue Asylagentur soll Einsparungen bei Flüchtlingsberatung bringen. In: kurier.at. 6. Dezember 2019, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  7. Rechtsberatung für Asylwerber: Schönwetterkompromiss. In: derStandard.at. Abgerufen am 17. November 2020.
  8. Impressum – BBU-Projekt.at. Archiviert vom Original am 12. Januar 2021; abgerufen am 11. Januar 2021.
  9. STELLUNGNAHME zum Entwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung errichtet und das BFA-Verfahrensgesetz, das Asylgesetz 2005 und das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 geändert werden (BBU-Errichtungsgesetz – BBU-G). (PDF) In: parlament.gv.at. Amnesty International Österreich, 12. April 2019, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  10. Stellungnahme der Diakonie Österreich zum Bundesgesetz, mit dem die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung errichtet und das BFA-Verfahrensgesetz, das Asylgesetz 2005 und das Grundversorgungsgesetz – Bund 2005 geändert werden (BBU-Errichtungsgesetz – BBU-G). (PDF) In: parlament.gv.at. Diakonie Österreich, 12. April 2019, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  11. Irene Brickner: Flüchtlinge: Protest gegen "Verstaatlichung der Rechtsberatung". In: derstandard.at. 16. Mai 2018, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  12. Kritik an Kickl-Plänen zur Rechtsberatung für Flüchtlinge. In: derstandard.at. 19. November 2018, abgerufen am 14. Dezember 2019.
  13. VfGH: Beratung für Asylwerber teils rechtswidrig. In: ORF.at. 22. Dezember 2023, abgerufen am 23. Dezember 2023.
  14. Rechtsberatung für Asylwerber durch Bundesbetreuungsagentur laut VfGH teilweise verfassungswidrig. In: Der Standard. 22. Dezember 2023, abgerufen am 23. Dezember 2023.