Charlotte Webb – Wikipedia

Charlotte Elizabeth Webb MBE, genannt „Betty“, geb. Vine-Stevens (* 13. Mai 1923 in Shropshire) ist eine britische ehemalige Mitarbeiterin von Bletchley Park (B.P.),[1] der zentralen militärischen Dienststelle in der englischen Stadt Bletchley, die sich im Zweiten Weltkrieg erfolgreich mit der Entzifferung des deutschen Nachrichtenverkehrs befasste. Sie zählt zu den Frauen in B.P., die in der dortigen Government Code and Cypher School (deutsch etwa: „Staatliche Code- und Chiffrenschule“) zum Bruch der deutschen Maschinenschlüssel beigetragen haben.

Ihre Kindheit in den 1920er-Jahren verbrachte sie in sehr einfachen Verhältnissen in Richard’s Castle im englischen Shropshire, unweit der Grenze zu Wales. Im Jahr 1937, als junge Schülerin, wurde sie auf Betreiben ihrer Mutter im Rahmen eines Austauschprogramms für längere Zeit nach Deutschland geschickt. Dort lernte sie eine neue Kultur kennen und auch eine neue Sprache, die sie bald gut beherrschte. Zurück in England, dauerte es nicht lange bis zum deutschen Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Im Jahr 1941 entschloss sie sich, ihren Teil zu den britischen Kriegsanstrengungen zu leisten, und trat dem Auxiliary Territorial Service (ATS) bei, der Frauenabteilung des britischen Heeres.

Im Oktober desselben Jahres, sie war 18 Jahre alt, wurde sie nach London bestellt, um sich einem Vorstellungsgespräch für einen „mysteriösen Posten“ zu unterziehen. Offenbar waren Talent, Eifer und Sprachkenntnisse der jungen Frau nicht unbemerkt geblieben. Viele Jahre später erinnerte sie sich: „Mir wurde nicht gesagt, wozu das Interview diente“ (englisch “I wasn’t told what the interview was for”).[2] Auch blieb ihr in Erinnerung, dass dieses besondere Gespräch komplett auf Deutsch geführt worden war. Kurz danach wurde sie gebeten, mit dem Zug vom Londoner Bahnhof Euston Station ins knapp 70 km nordwestlich gelegene Bletchley Park zu reisen. Dort angekommen, wies ein Geheimdienstmann sie in ihre neue Aufgabe ein. Ohne genau zu wissen, was hier wirklich gemacht wurde, nämlich die hochgeheime Entzifferung des verschlüsselten Nachrichtenverkehrs der deutschen Wehrmacht, tat sie, was ihr gesagt wurde, ohne mit jemandem außerhalb ihres Arbeitsplatzes auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Sie wusste damals nicht, dass außer ihr noch tausende (später über zehntausend) weitere Menschen in B.P. am selben Projekt arbeiteten, die Mehrzahl junge Frauen wie sie. Alle hielten sich an das Schweigegebot. Dem Motto Loose lips sink ships folgend plapperte niemand etwas aus.

Das Herrenhaus (englisch The mansion) von Bletchley Park war zwei Jahre lang ihr Arbeitsplatz (2017).

In der Zeit ab 1941 bis zum VE‑Day, dem 8. Mai 1945, arbeitete sie zunächst (1941–1943)[3] hauptsächlich in der Mansion (Bild) für Major Ralph Tester, den Leiter der nach ihm bezeichneten Abteilung Testery, in der es um den fortgesetzten Bruch der deutschen Lorenz-Schlüsselmaschine ging. Danach arbeitete sie eine kurze Zeit lang in der Hut 4, in der die von der benachbarten Hut 8 entzifferten deutschen Marine-Enigma-Funksprüche entgegengenommen, übersetzt und militärisch-taktisch ausgewertet wurden.[4]

In den letzten Kriegsjahren (1943–1945) befand sich ihr Arbeitsplatz im Block F von B.P. Dort bearbeitete sie bereits entzifferte und übersetzte japanische Funksprüche. Nach dem Kriegsende in Europa wurde sie von England in die Vereinigten Staaten ins Pentagon versetzt. Die Reise über den Atlantik geschah in einem Flugboot und dauerte dreißig Stunden. Im September 1945 erlebte sie in der amerikanischen Hauptstadt Washington das Kriegsende im Pazifik.

Am 18. Juli 1970 heiratete sie Alfred Webb.[5]

Im Jahr 2011 schrieb sie ihre Memoiren Secret Postings, von denen 2023, dem Jahr, in dem sie ihr hundertstes Lebensjahr vollendete, eine überarbeitete und erweiterte Neufassung unter dem Titel No More Secrets erschien. Darin enthüllt sie neue Details über ihre Arbeit und das Zusammenleben mit den anderen Menschen in B.P. und im Pentagon.

Im Jahr 2015 wurde sie als Mitglied (Member) in den Order of the British Empire aufgenommen (MBE). Im Mai 2021 folgte die ehrenhafte Aufnahme in die französische Ehrenlegion.[6]

  • Secret Postings – Bletchley Park to the Pentagon. BookTower Publishing, 2014, ISBN 0-9557164-7-0.
  • No More Secrets – My part in codebreaking at Bletchley Park and the Pentagon. Mardle Books, 2023, ISBN 1-83770-021-4.
  • Charlotte Elizabeth “Betty” Webb, née Vine-Stevens im Bletchley Park Trust Oral History Project 2022, PDF; 380 kB.

Einzelnachweise

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  1. Gordon Welchman: The Hut Six Story – Breaking the Enigma Codes. Allen Lane, London 1982; Cleobury Mortimer M&M, Baldwin Shropshire 2000, S. 11, ISBN 0-947712-34-8.
  2. Wythall woman’s role as a WWII Enigma codebreaker at Bletchley Park. In: Bermingham Live. 15. September 2012, abgerufen am 26. Juli 2024 (englisch).
  3. Charlotte Elizabeth “Betty” Vine-Stevens (Webb). In: Bletchley Park – Roll of Honour. 2021, abgerufen am 26. Juli 2024 (englisch).
  4. Charlotte Elizabeth “Betty” Webb, née Vine-Stevens. In: Bletchley Park Trust Oral History Project. Februar 2012, abgerufen am 27. Juli 2024 (englisch).
  5. Webb, Charlotte. In: Library of Congress. Abgerufen am 27. Juli 2024 (englisch).
  6. Video – Wythall’s Bletchley Park veteran Betty Webb MBE is officially presented with the Légion d’Honneur by the French government. In: Bromsgrove Standard. 3. Juli 2021, abgerufen am 26. Juli 2024 (englisch).