Glasmalereianstalt Ferdinand Müller – Wikipedia

Briefkopf mit Abbildung der Werksgebäude, um 1900
Belegschaft, 1908

Die Kunstanstalt für Glasmalerei Ferdinand Müller[1] zählte im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert zu den bedeutendsten evangelischen Glasmalereiwerkstätten nicht nur in Mitteldeutschland.[2] Erhaltene Bauten der Kunstanstalt im Gernröder Weg 3 in Quedlinburg sind im Quedlinburger Denkmalverzeichnis eingetragen.

Unternehmensgründer

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Ferdinand Müller wurde am 17. September 1848 in Quedlinburg geboren. Nach dem Besuch der Knabenschule (etwa 1854 bis 1860) absolvierte er eine dreijährige Lehre zum Glaser. Mit dem Abschluss seiner Ausbildung begab er sich als Handwerksgeselle auf Wanderschaft und bereiste die Schweiz, Italien und Süddeutschland. Am 28. November 1880 heiratete er Marie Johanna geborene Hermann (1847–1922). Das Ehepaar Müller hatte fünf Kinder, drei Söhne und zwei Töchter. Nach dem Tod Ferdinand Müllers im Jahr 1916 übernahmen die Söhne Walther (1883–1966) und Erwin (1890–1960) das Unternehmen.

Wirkungskreis der Manufaktur

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Die Firma Ferd. Müller, die den Titel Hoflieferant führen durfte, zählte um 1900 mit ca. 70 Angestellten und einem Auftragsvolumen von jährlich ca. 70 Verglasungsobjekten des überwiegend evangelischen Kirchenbaus zu den größten zeitgenössischen deutschen Werkstätten für Glasmalerei. Ihr Wirkungskreis war vor allem auf die Landgemeinden der preußischen Provinzen ausgerichtet. Eine Sonderrolle nimmt die Provinz Sachsen ein, in der die Firma Ferd. Müller eine marktbeherrschende Position besaß. Ausgehend von einem handwerklichen Kleinbetrieb in den 1880er Jahren gelang es dem Gründer Ferdinand Müller innerhalb von zwei Jahrzehnten, seine Firma zu einem industriellen Großbetrieb für Mittel- und Norddeutschland auszubauen.

Unternehmensgeschichte

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Umgebautes Fabrikgebäude, Gernröder Weg 3 (2011)
2013
Wohnhaus, Gernröder Weg 3

Zunächst eröffnete Ferdinand Müller im Jahre 1876 am Stieg 12 in Quedlinburg eine Kunst- und Bauglaserei mit Bildereinrahmung. Dieser gliederte er 1879/80 eine Glasmalerei an. Aufgrund der Geschäftstüchtigkeit Müllers und der beständigen Nachfrage nach Glasmalereien für sakrale und profane Gebäude gelangte die Firma bald zu einem größeren regionalen, überregionalen und internationalen Bekanntheitsgrad. Ein zeitgenössischer Bericht zur Quedlinburger Industrie aus dem Jahre 1902 geht in verschiedenen Facetten auf die Werkstatt Müller ein. Zur wirtschaftlichen Entwicklung finden sich die folgenden Bemerkungen: „In den letzten drei Jahren lieferte die Firma Müller für 221 Kirchen gemalte oder buntverglaste, z. T. sehr wertvolle Fenster. Vom Auslande, besonders aus Russland und Norwegen, laufen stets zahlreiche Bestellungen ein. Im vorigen Jahre sind auch drei Fenster nach Ostafrika und zwei nach Samoa gesandt worden.“[3]

Die internationalen Absatzgebiete erweiterten sich dabei fortlaufend. Um die Jahrhundertwende führte die Firma Ferd. Müller neben den bisher genannten Ländern noch zahlreiche Auftragsarbeiten für Schweden, Nordamerika, Südafrika, Palästina, Indien, Jordanien und Indonesien aus.

Dies erforderte eine Vergrößerung der Glasmalereianstalt. Müller verkaufte um 1900 sein Haus am Stieg 12 und zog in den Gernröder Weg 3 um. Auf dem neuen Gelände entstand nach den Plänen des Quedlinburger Architekten und Stadtbaumeisters Hans Baranke ein Werkstattkomplex mit Lagerhäusern und einem angegliederten Wohnhaus. Besonders markant ist der erhaltene, in den Jahren 1899/1900 vom Architekten Max Schneck erbaute Industriebau. Die Fassade wurde im Jugendstil mit gotisierenden Elementen ausgeführt. Sowohl die Treppenhäuser als auch die Windfänge wurden mit Glasgestaltungen versehen. Eindrucksvoll und in dieser Form einmalig ist das monumental gestaltete, von einer Reliefumrahmung umfasste Atelierfenster.[4]

Das Werk bestand aus einer Kunstglaserei, der Glasschleiferei, dem Glaslager, einer Tischlerei und der Schlosserei. Zum Glaslager führt der Bericht des Pestalozzivereins aus: „In gewaltigen Lagerräumen reiht sich Fach an Fach neben- und übereinander. Jedes ist nummeriert und enthält bunte Glastafeln von etwa ¾ m Länge und ½ bis 1 m Breite. […] Etwa 1000 verschiedenartige Sorten und Farben sind in dem Lager vertreten, und wir müssen staunen über die gewaltigen Glasmengen, über die vielen Farben und Abstufungen, die heute einem leistungsfähigen Glasmaler zu Gebote stehen.“[5]

Aufgrund des großen Glaslagers bezogen die Quedlinburger Bauglasereien und der ortsansässige Glasmalereibetrieb L. W. Schneemelcher preisgünstig ihr Glassortiment von Müller. Teilweise ließen die Bauglasereien auch von ihm Glasmalereien ausführen und setzten sie dann nur noch bei ihren Kunden ein. Für den Transport des Glases verfügte das Werk Müllers über einen eigenen Eisenbahnanschluss. Eine weitere Besonderheit war ein über drei Geschosse reichendes Atelierfenster, das zur Ausstellung von repräsentativen Glasgemälden wie auch zu deren Anfertigung diente. Sämtliche Skizzen, Entwürfe und Kartons wurden im Unternehmensarchiv alphabetisch geordnet und katalogisiert. Als Sammler und wissenschaftlich interessierter Fachmann besaß Müller eine umfangreiche Bibliothek, die er ständig durch Neuerscheinungen entsprechender Fachliteratur erweiterte. Zur Bibliothek gehörte auch ein Zeitungsarchiv und ein Archiv über bedeutende nationale und internationale Glaswerkstätten, deren Künstler und die von ihnen ausgeführten Aufträge. Um auf nationale, geografische und kulturelle Besonderheiten Rücksicht nehmen zu können, sammelte er in diesem Bereich alles, was für ihn von literarischer Bedeutung war. So verfügte er über ein umfangreiches Kartenmaterial, Informationen zu Sehenswürdigkeiten, Brauchtum und religiösen Besonderheiten.[6]

Aus einer Festrede zum 25-jährigen Geschäftsjubiläum der Firma Ferd. Müller geht hervor, dass sie 1904 insgesamt 76 Angestellte besaß.[7] Hierzu zählten z. T. akademisch ausgebildete Glasmaler und Zeichner sowie Glasschneider, Kunstglaser, Kartonzeichner, Verbleier, Tischler und Schlosser.

Im Jahre 1916 starb Ferdinand Müller. Die Glasmalereianstalt blieb im Besitz der Familie. Walther Müller, der Sohn Ferdinand Müllers, verkaufte das Unternehmen im Jahr 1965 an die Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle Burg Giebichenstein in Halle (Saale). Man errichtete hier eine Außenstelle für Glasmalerei und bildete bis zum Jahr 1990 Studenten im Studiengang Glasgestaltung aus. Charles Crodel schuf von 1950 bis 1973 in Quedlinburg seine Farbglasfenster für Kirchen in Bernterode, Delitzsch, Erfurt, Halberstadt, Merseburg, Sangerhausen, Schmalkalden.

Seit dem Jahr 2000 wird das Werksgelände von der Eigentümergemeinschaft Gernröder Weg, den Nachfahren Ferdinand Müllers, verwaltet.

Weitere erhaltene Glasfenster befinden sich unter anderem in folgenden Gebäuden:

In der Protestations-Gedächtniskirche in Speyer war Müller eine von neun beteiligten Firmen. Er schuf die Glasfenster: Wappenfenster der Adligen vom Eichsfeld (Fenster Nr. 2 und Nr. 13) sowie vier Ornamentfenster mit Porträts in den Sakristeiräumen (Nr. 24, I und II, 30, I und II). Dabei verstand er es, auch renommierte süddeutsche Glasmaler zu übertreffen. „Glasmaler Müller aus Quedlinburg gibt folgendes zum besten: ‚Es ließe sich ja allerdings für solch ein Geld‘ (gemeint sind die ‚in Aussicht gestellten 10.000,- Mark für eine Rosette‘, für die eine ‚Münchner Glasmalerei vorgesehen‘ sei; d. Verf.) ‚schon etwas ganz horrendes liefern. Man kann aber auch schon für bedeutend billigeres Geld sehr schöne Sachen herstellen & erbiete ich mich gern, gratis eine farbige Zeichnung anzufertigen, ... glaube mit meinen Leistungen nicht (hinter) die Münchner zurücktreten zu müssen ... bezüglich der Bezahlung würde ich in jeder Art und Weise Ihnen entgegen kommen.‘“ (Magisterarbeit Beck[1], S. 66) Dabei war er sich seiner Lage durchaus bewusst: „Wohl sämtliche Glasmalereien Münchens sind streng katholisch & könnte es wohl auch im Interesse der Gemeinde sein, wenn Sie die Genugthuung hätten, daß der bessere Schmuck der Kirche auch einer evangelischen Anstalt entstammt.“ (Magisterarbeit Beck[1], S. 70).

  • Falko Grubitzsch in: Ute Bednarz, Folkhard Cremer u. a. (Bearb.): Dehio-Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Sachsen-Anhalt, Band 1: Regierungsbezirk Magdeburg. Deutscher Kunstverlag, München / Berlin 2002, ISBN 3-422-03069-7, Seite 762.
  • Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt. Band 7: Falko Grubitzsch, unter Mitwirkung von Alois Bursy, Mathias Köhler, Winfried Korf, Sabine Oszmer, Peter Seyfried und Mario Titze: Landkreis Quedlinburg. Teilband 1: Stadt Quedlinburg. Fliegenkopf, Halle 1998, ISBN 3-910147-67-4, Seite 114.
  • Frank Laska: Die Glasmalereianstalt Ferdinand Müller in Quedlinburg. Lieferant von Kirchenverglasungen in Westfalen und Lippe. In: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte, Band 106 (2010), S. 197–240.
  • Frank Laska: Die Glasmalereianstalt Ferdinand Müller in Quedlinburg von ihrer Gründung bis zum Jahr 1914. (Dissertation, Universität Halle an der Saale, 2008.) Quedlinburg 2009, ISBN 978-3-938579-20-6.
  • Frank Laska: Die Glasmalereianstalt Ferdinand Müller (Quedlinburg). In: Das Münster, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft, 62. Jahrgang 2009, S. 123–131.
  • Frank Laska: Die Glasmalereianstalt F. Müller. Eine internationale Erfolgsgeschichte aus Quedlinburg. In: Sachsen-Anhalt, Journal für Natur- und Heimatfreunde, 18. Jahrgang 2008, S. 26 f.
  • Frank Laska: Kunden in aller Welt. Glasmalereianstalt F. Müller (Quedlinburg). In: Kultur-Report, Vierteljahresheft des Mitteldeutschen Kulturrates, Heft 55/56 (2008), S. 34.

Einzelnachweise

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  1. a b c Monika Beck: Die Glasfenster der Gedächtniskirche zu Speyer. Meisterwerke der Glasmalerei und protestantischen Ikonographie in nazarenischem Stil um 1900. (Magisterarbeit). In: Universität Heidelberg. 17. März 2004, abgerufen am 2. Februar 2009.
  2. Angelika Klause, Frank Martin: Glasmalereien des 19. Jahrhunderts. Berlin Brandenburg. Leipzig 2003, S. 240; Reinhard Kuhl: Glasmalereien des 19. Jahrhunderts. Mecklenburg-Vorpommern. Leipzig 2001, S. 237
  3. Pestalozziverein der Provinz Sachsen (Hrsg.): Die Provinz Sachsen in Wort und Bild. Band 2: Die Quedlinburger Industrie. Wie unsere bunten Kirchenfenster hergestellt werden. Leipzig 1902, S. 202–207, hier: S. 207.
  4. Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt. Band 7: Falko Grubitzsch, unter Mitwirkung von Alois Bursy, Mathias Köhler, Winfried Korf, Sabine Oszmer, Peter Seyfried und Mario Titze: Landkreis Quedlinburg. Teilband 1: Stadt Quedlinburg. Fliegenkopf, Halle 1998, ISBN 3-910147-67-4, Seite 114
  5. Pestalozziverein der Provinz Sachsen (Hrsg.): Die Provinz Sachsen in Wort und Bild. Band 2: Die Quedlinburger Industrie. Wie unsere bunten Kirchenfenster hergestellt werden. Leipzig 1902, S. 202–207, hier: S. 204.
  6. In Auszügen erhalten – Vgl. Archiv des Schlossmuseums Quedlinburg, Unterlagen Müller, Karton: Fa. Müller, Topografie A-Z.
  7. Festrede vom 31. Dezember 1904, gehalten vom Prokuristen Nemitz zum 25-jährigen Geschäftsjubiläum der Fa. Müller. Die Rede befindet sich in einer Abschrift im Privatbesitz von Lilott Müller, Münster i. Westf.
  8. http://www.kirche-mv.de/Jarmen.5745.0.html
  9. Archivlink (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive), zuletzt abgerufen am 13. September 2012

Koordinaten: 51° 46′ 50,4″ N, 11° 8′ 39″ O