Hertha Firnberg – Wikipedia

Hertha Firnberg, 1974

Hertha Firnberg (* 18. September 1909 in Wien, Österreich-Ungarn; † 14. Februar 1994 in Wien) war eine österreichische Politikerin und die erste sozialdemokratische Ministerin Österreichs.

Die jungen Jahre

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Hertha Firnberg wurde am 18. September 1909 als älteste Tochter von Anna, geb. Schamanek, und Josef Firnberg im bürgerlichen 18. Wiener Gemeindebezirk, Währing, geboren. Später übersiedelte die Familie nach Niederrußbach in Niederösterreich, wo der Vater als Gemeindearzt tätig war. Die Mutter hatte nach Herthas Geburt ihre Berufstätigkeit als Beamtin aufgegeben und gebar danach noch zwei Brüder Herthas und eine Schwester, Trude.

Nach der Volksschule besuchte Hertha die Mittelschule in der Kalvarienberggasse im 17. Wiener Bezirk Hernals, an der Alfred Adler 1888 maturiert hatte, und schloss sich dort 1926 dem Verband Sozialistischer Mittelschüler (VSM) an, in dem sie bald stellvertretende Vorsitzende wurde. Als Studentin an der Universität Wien war sie Mitglied des Verbandes Sozialistischer Studenten (VSSt) und trat 1928 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der führenden Partei des „Roten Wien“, bei. Gemeinsam mit ihrer Schwester bezog sie ein kleines Siedlungshaus im 10. Bezirk, Favoriten, einem typischen Arbeiterbezirk. Trude führte in dem Haus eine Leihbücherei.

Nach zwei Semestern Jus wechselte sie zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Im Jahre 1930 studierte sie kurze Zeit an der Universität Freiburg im Breisgau. Im Österreichischen Bürgerkrieg wurde im Februar 1934 die politische Richtung, der sie angehörte, von der Ständestaatsdiktatur verboten. Sie promovierte 1936 bei Alfons Dopsch in Wien mit einer Dissertation mit dem Titel Lohnarbeiter und freie Lohnarbeit im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit: Ein Beitrag zur Geschichte der agrarischen Lohnarbeit in Deutschland.[1] zur Doktorin der Philosophie. Das 1935 von Dopsch gedruckt herausgegebene Werk weist sie als „Hertha Hon-Firnberg“ aus; sie war vor dem Zweiten Weltkrieg zweimal kurz verheiratet, beide Ehen wurden geschieden.

Als überzeugte Sozialdemokratin konnte Firnberg weder im Ständestaat noch in der 1938 folgenden NS-Diktatur mit beruflicher Karriere als Sozialforscherin rechnen. In den ersten Jahren verdiente sie ihr Brot mit Nachhilfestunden und als freie Wirtschaftsjournalistin. Von 1941 bis 1945 arbeitete sie für Chic Parisienne, einen führenden Modeverlag, erlernte Buchhaltung und Betriebsführung und erlangte schließlich die Prokura.

Nach dem Kriegsende erhielt Hertha Firnberg an der Universität Wien eine Stelle als Bibliothekarin und Assistentin. Nebenbei machte sie sich mit den Methoden der Statistik und Empirie und deren Anwendung auf das Wirtschafts- und Sozialgeschehen vertraut. Zusätzlich war sie halbtags in einem Büro für Werbung und Statistik tätig. Als sie 1948 in der niederösterreichischen Arbeiterkammer als Angestellte begann, befand sich diese erst im Wiederaufbau nach dem Krieg. Firnberg wurde dann leitende Sekretärin, Abteilungsleiterin für Statistik und Leiterin der Studienbibliothek.

Politische Karriere

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Hertha Firnberg (rechts neben Bruno Kreisky) in der Bundesregierung Kreisky I, 1970

Firnberg war 1959–1963 für Wien Mitglied des Bundesrats und 1963–1983 Abgeordnete zum Nationalrat. 1967 folgte sie Rosa Jochmann als Vorsitzende der sozialistischen Frauen nach und hatte diese Position bis 1981 inne. Ihre politische Heimat war die SPÖ-Bezirksorganisation im klassischen Wiener Arbeiterbezirk Favoriten.

Sie hatte im Nationalrat Funktionen im Finanz-, im Unterrichts- und im Justizausschuss sowie als zweite Obfrau des außenpolitischen Ausschusses, als Sprecherin der sozialistischen Fraktion in Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungsangelegenheiten und für Fragen der Rechtsreform, speziell des Familienrechts.

Von 1959 bis 1970 war sie weiters Mitglied der österreichischen Delegation zur damals so genannten Beratenden Versammlung des Europarates, Vizepräsidentin von deren Kommission für Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen und Mitglied des Asylbeirates im Innenministerium.

Als Bruno Kreisky 1970 sein erstes Kabinett bildete, wurde Firnberg zunächst zur Ministerin ohne Portefeuille bestellt, aber mit dem Auftrag, ein Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung zu gründen. Das Ministerium wurde per Gesetz am 24. Juli 1970 gegründet und Firnberg zur ersten Wissenschaftsministerin Österreichs berufen. Sie war nach Grete Rehor erst die zweite Ministerin in der Geschichte Österreichs. In ihre Amtszeit als Ministerin (1970–1983) – sie gehörte auch den Bundesregierungen Kreisky II, Kreisky III und Kreisky IV an – fiel die Universitätsreform von 1975 (Universitätsorganisationsgesetz 1975).

Firnberg war auf Grund ihres intellektuellen Hintergrundes und ihres selbstbestimmten Auftretens fähig, ihre Vorstellungen auch gegenüber angesehenen Universitätsprofessoren durchzusetzen, obwohl damals Frauen in der Spitzenpolitik nur äußerst selten vertreten waren. Zu ihrem Erfolg trug wesentlich bei, dass sie vom fast gleich alten Bruno Kreisky, der wie sie Intellektualität schätzte, bei ihrer Universitätsreform volle Rückendeckung erhielt. 1979 wurde sie von der Stadt Wien zur ersten Ehrenbürgerin in der Geschichte der Stadt ernannt. Zu ihrem 100. Geburtstag wurde sie in der konservativen Wiener Tageszeitung Die Presse als Primadonna assoluta in Kreiskys Team bezeichnet.[2]

Wiener Zentralfriedhof – Ehrengrab von Hertha Firnberg

2014 wurde in der Artikelserie Heimat großer Töchter daran erinnert, Firnberg sei oft als „Dame“ beschrieben worden, nicht zuletzt, um einen besonders scharfen Kontrast zu anderen ihr nachgesagten Eigenschaften zu zeichnen. Hannes Androsch, damaliger Finanzminister, wolle etwa Anfang der 1970er Jahre mit „bewunderndem Amüsement“ eine „raffinierte bis brutale“ Taktikerin in Firnberg erkannt haben.[3]

Als Kreisky 1983 nach dem Verlust der zwölf Jahre innegehabten absoluten SPÖ-Mehrheit zurücktrat, zog sich auch Firnberg, inzwischen 74 Jahre alt, aus der Politik zurück. Sie wohnte in ihren späten Jahren, betreut von ihrer Schwester, im ehemaligen Savoyschen Damenstift in der Johannesgasse in der Wiener Altstadt.

Sie ruht in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 14 C, Nummer 1 B).

Hertha Firnberg war selbst immer wieder publizistisch tätig. Ihre Arbeiten sind hier bibliografisch erfasst:

Auszeichnungen, Ehrungen

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In Wien wurden 2011 die Hertha Firnberg Schulen für Wirtschaft und Tourismus eröffnet sowie 2001 die Hertha-Firnberg-Straße in Wien-Favoriten und 2010 der Firnbergplatz in Wien-Donaustadt nach ihr benannt. Weiters wurde in Wiener Neustadt eine Hauptschule nach ihr benannt.

Hertha Firnberg war zweimal verheiratet: 1932–1942 und 1947–1949. Später war Ludwig Siegfried Rutschka († 1970) ihr Partner.[7]

1981 kritisierte Thomas Bernhard in einem Text, der erst 2009 erschien, die Ministerin wegen ihres Verhaltens bei der Verleihung des 1972 an ihn ergangenen Grillparzer-Preises:[8]

… die Ministerin schnarchte, wenn auch sehr leise […] die Ministerin … fragte mit unnachahmlicher Arroganz und Dummheit in der Stimme: ja, wo ist denn der Dichterling?
  • Joachim Gatterer: Über die Wissenschaftsministerin a.D. Hertha Firnberg und ihre zweifache Verbindung zum Brenner-Archiv. In: Johann Holzner, Eberhard Sauermann (Hrsg.): Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 29/2010, innsbruck university press, Innsbruck 2010, S. 201–204.
  • Marlen Schachinger: Hertha Firnberg: Eine Biographie. Mandelbaum-Verlag, Wien 2009, ISBN 978-3-85476-308-6.
  • Barbara Steininger: Firnberg, Hertha. In: Brigitta Keintzel, Ilse Korotin (Hrsg.): Wissenschafterinnen in und aus Österreich: Leben – Werk – Wirken. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2002, ISBN 3-205-99467-1, S. 175–178.
  • Maria Wirth: Hertha Firnberg und die Wissenschaftspolitik: Eine biografische Annäherung. V&R unipress, Wien 2023. ISBN 978-3-8471-1621-9

Einzelnachweise

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  1. Katalogzettel Österreichische Nationalbibliothek
  2. Website der Tageszeitung Die Presse, Wien, 11. September 2009, gedruckte Ausgabe vom 12. September 2009
  3. Beate Hausbichler: Mit statistischer Akribie gegen Ungerechtigkeit, 33. Teil der Serie Heimat großer Töchter. In: Tageszeitung Der Standard, Wien, 3. Dezember 2014, S. 12
  4. Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,9 MB)
  5. Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,9 MB)
  6. www.wu.ac.at, abgefragt 7. März 2018
  7. Beate Hausbichler: Mit statistischer Akribie gegen Ungerechtigkeit, 33. Teil der Serie Heimat großer Töchter. In: Tageszeitung Der Standard, Wien, 3. Dezember 2014, S. 12, letzter Absatz
  8. Thomas Bernhard: Meine Preise, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-518-42055-3, S. 7 ff.
Commons: Hertha Firnberg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien