Honorativpräfix – Wikipedia

Ein Honorativpräfix ist eine Vorsilbe, die vor Nomen gesetzt wird, um einen Ausdruck stilistisch aufzuwerten. Dies geschieht entweder, um dem Gesprächspartner gegenüber Respekt zu bezeugen, oder aus Respekt dem Gegenstand selbst gegenüber.

Honorativpräfixe als grammatikalisches Objekt gibt es unter anderem in der klassischen chinesischen Schriftsprache (wenyan, 文言) und im Japanischen.

Im Japanischen gibt es fünf unterschiedliche Honorativpräfixe: o-, go-, on-, gyo- und mi-. o- wird üblicherweise vor Nomen verwendet, die japanisch gelesen werden, während go- dagegen vor sinojapanisch gelesenen Wörtern steht. Es gibt eine kleine Anzahl Ausnahmen von dieser Regel, mehr dazu weiter unten. gyo- ist eine Variante von go- für Wörter mit Bezug zum Kaiserhaus, wie gyoen („kaiserlicher Garten“) oder gyoi („der Wille seiner Majestät“). mi- ist ein veraltetes Präfix, wie bei mikoshi („Sänfte > tragbarer Schrein“) oder mikado („Tor > Kaiser“). on- ist eine Verkürzung der Kombination o-mi-, wie bei onsha („ihre Firma“).[1]

Alle Präfixe werden mit demselben Kanji geschrieben, so dass man statt von unterschiedlichen Präfixen auch von unterschiedlichen Lesungen des gleichen Präfix sprechen kann. Diese Unterscheidung ist aber rein akademisch. o wird im Allgemeinen mit dem ihm entsprechenden Hiragana geschrieben, da diese Lesung des Zeichens im Gegensatz zu gyo, go und on nicht offiziell vom japanischen Kultusministerium genehmigt ist.[2] go wird häufig mit seinem Hiragana geschrieben, weil es weitaus weniger Striche benötigt.

Ins Japanische übernommene Fremdwörter (Gairaigo) werden üblicherweise nicht mit dem Präfix versehen. Je mehr diese Wörter jedoch als „japanisch“ empfunden werden, umso eher klingt auch ein vorgeschobenes o- natürlich. o-bīru (Bier), o-kādo (Kreditkarte) und o-sōsu (Soße) sind zumindest umgangssprachlich möglich.

Das Honorativpräfix ist Teil der japanischen Höflichkeitssprache, es kommt daher immer in Kombination mit anderen Mitteln zum Einsatz, um seinem Gegenüber Respekt zu erweisen. In dieser Verwendung wird das Präfix vor Dinge gesetzt, die dem Gesprächspartner zugehörig sind, aber bei Gegenständen, die mit einem selbst in Verbindung stehen, weggelassen. Beispielsweise bezeichnet man die Visitenkarte seines Geschäftspartners als go-meishi (ご名刺), die eigene nur als meishi.

Eine zweite Verwendung ist der Respekt gegenüber dem Gegenstand selbst. Ein Beispiel dafür ist der japanische Ausdruck goshintai für den heiligen Gegenstand eines Shintō-Schreins. Einige Wörter werden nahezu ausschließlich mit dem Präfix verwendet, so dass man diese Kombination als feststehendes Idiom betrachten kann. Dies sind unter anderem Tee (お茶, ocha) und Reis (ご飯, gohan). Auch in gochisō-sama deshita (御馳走様でした), der Redewendung, mit der man sich nach dem Essen bedankt, steckt ein solches Präfix.

In der japanischen Frauensprache wird das Präfix häufig eingesetzt, einmal weil von Frauen allgemein eine höflichere Ausdrucksweise erwartet wird, und zweitens weil damit bestimmte „Tabubegriffe“ entschärft werden, etwa der Bauch (お腹, onaka).

Eine weitere, rein grammatische Verwendung des Honorativpräfix liegt bei der Bildung von respektvollen Formen der Verben. Zahlreiche Verben besitzen eigene, feststehende Synonyme in der Höflichkeitssprache. Wo ein Synonym nicht existiert kann die Form o + ren’yōkei + ni naru gebildet werden.

In einer Umfrage wurden Japaner bei verschiedenen Wörtern gefragt, ob sie eher das Präfix go- oder o- einsetzen:[3]

Wort Deutsch o (%) go (%) beides
möglich (%)
dominierend
sinojapanische Wörter
立派 rippa großartig 01,9 92,3 05,9 ご立派
連絡 renraku Verbindung 03,6 92,1 04,3 ご連絡
予約 yoyaku Reservierung 02,9 91,8 05,3 ご予約
予算 yosan Budget 03,6 83,0 13,4 ご予算
葬儀 sōgi Beerdigung 14,7 80,6 04,7 ご葬儀
相伴 shōban Teilhabe 30,3 57,6 12,1 お相伴/ご相伴
誕生 tanjō Geburt 53,2 29,1 17,6 お誕生/ご誕生
返事 henji Antwort 53,6 22,6 23,8 お返事/ご返事
礼状 reijō Dankesbrief 74,2 14,9 10,9 お礼状
加減 kagen körperliches Befinden 87,8 06,3 05,9 お加減
時間 jikan Zeit 95,1 01,1 03,7 お時間
食事 shokuji Speise 95,3 00,9 03,9 お食事
japanische Wörter
怒り ikari Wut 94,5 03,4 02,0 お怒り
気遣い kitsukai Sorge 94,2 02,2 03,6 お気遣い
支払い shiharai Zahlung 94,0 01,0 05,0 お支払い
知合い shiriai Bekannter 93,5 01,3 05,2 お知り合い
引っ越し hikkoshi Umzug 92,7 02,2 05,2 お引っ越し
気軽に kikaru ni leichten Herzens 87,0 05,8 07,2 お気軽に
身内 miuchi Verwandte 81,5 12,5 06,0 お身内
入り用 iriyō Bedürfnis 33,6 58,4 08,0 ご入り用/お入り用
ゆっくり yukkuri langsam 00,9 97,6 01,6 ごゆっくり

Weitere sind o-denwa (お電話, dt. „Telefon“), o-rei (お礼, dt. „Dank“), o-genki (お元気, dt. „gesund“).

Die deutsche Sprache kennt kein Honorativpräfix. Bei der Übertragung ins Deutsche fällt das Präfix daher einfach weg, eine Umschreibung wie „verehrte Mitte“ für o-naka („Bauch“) wirkt stilistisch eher unsinnig. Stattdessen wird der Satz als ganzes betrachtet und das Sprachniveau des entsprechenden deutschen Satzes angepasst. Beispiel:

当駅で喫煙を遠慮ください.
tōeki de kitsuen o go-enryo kudasai.
Wir bitten Sie darum, im Bahnhofsbereich auf das Rauchen zu verzichten.

enryo, zu deutsch „Verzicht“, ist in diesem Satz mit einem Honorativpräfix versehen. Dieses fällt im Deutschen weg, stattdessen wird die Höflichkeit rein durch die indirekte Formulierung erreicht, die auch im japanischen Satz vorhanden ist. Man vergleiche hierzu: „In diesem Bahnhof herrscht Rauchverbot.“

Eine rein historische Verwendung des Präfixes sind japanische Frauennamen, diese wurden durch o + Wort gebildet, zum Beispiel O-Haru (お春, dt. „Frühling“). Frauennamen dieser Art finden sich oft in Samuraifilmen (jidai geki).

Eine ursprüngliche Bedeutung des Schriftzeichens gyo ist „kaiserlich“, weswegen es auch in Worten vorkommt, die mit dem Kaiser in Verbindung stehen. Das Go- in den Namen einiger Kaiser (wie Go-Shirakawa) ist allerdings ein anderes Schriftzeichen; das Präfix-Kanji go bedeutet hier „nachfolgend“ und entspricht somit dem europäischen „II“.[4]

Einzelnachweise

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  1. Samuel Elmo Martin: A Reference Grammar of Japanese. University of Hawaii Press, 2004, ISBN 0-8248-2818-6, S. 331.
  2. Honorativpräfix-Kanji „ o…“ (PDF; 3,4 MB) Jōyō Kanji Hyō (常用漢字表). In: bunka.go.jp. Bunkachō – Amt für kulturelle Angelegenheiten, 30. November 2010, S. 37, abgerufen am 4. Dezember 2022 (japanisch, Stand: 2022, Kanji – in der aktuellen Liste der 2136 amtlichen „Allgemeingebrauchsschriftzeichen“ – Jōyō-Kanji vom japanischen Ministerium für kulturelle Angelegenheiten).
  3. Yasuo Kitahara: Mondai na Nihongo. Taishukan Shoten, Tokyo 2004, ISBN 4-469-22168-6 (japanisch: 問題な日本語.).
  4. Kanji go Japanisch-Deutsches Kanji-Lexikon – 和独字典. In: lingweb.eva.mpg.de. Hans-Jörg Bibiko (Wolfgang Hadamitzky), abgerufen am 4. Dezember 2022 (japanisch, deutsch, Kanji – – mit den verschiedenen Aussprachemöglichkeiten und Bedeutungen im japanisch-deutschen Schriftzeichenwörterbuch).