Industriearchitektur – Wikipedia
Industriearchitektur ist die Architektur von Gebäuden, in denen industrielle Produktions- und Fertigungsprozesse stattfinden, wie zum Beispiel Fabriken und Werkstätten. Seit der Industrialisierung ab dem 18. Jahrhundert sind diese Gebäude ein wichtiger Bestandteil der gebauten Umgebung und unterliegen den Wandlungen der Architekturstile. Sie gelten aber auch als Vorreiter der Modernen Architektur. Prägende Bautypen sind Fabrikationshallen, Heiz- oder Hüttenwerke, Fördertürme, Verkehrsbauten – zunächst der Eisenbahn, dann der Kraftfahrzeuge – und Wasserbauwerke wie Wasserwerke und Wassertürme. Zur Industrie- und Fabrikarchitektur als Produktionsstätten zählen weder die Heiz- und Hüttenwerke noch die Verkehrsbauten oder die Wasserwerke. Die letztgenannten gehören zu den Infrastrukturbauten. Industriearchitektur steht als Teil der Industriekultur in einem größeren kulturgeschichtlichen Zusammenhang.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei der Industriearchitektur im 19. und 20. Jahrhundert dominieren funktionelle Bedürfnisse technischer Großanlagen die Architektur. Bisweilen spielen jedoch auch repräsentative Aspekte eine Rolle. Zugleich formt sie Landschaft und verändert die Landschaftsästhetik.
Herausragende Beispiele der Entwicklung in Deutschland sind:
- Gießereihalle der Sayner Hütte in Bendorf am Rhein, 1824–1830 von Carl Ludwig Althans
- Ravensberger Spinnerei in Bielefeld, 1855–1857
- Neubau der Spinnerei N. Marx & Lippmann in Aachen, 1864 von Friedrich Joseph Ark
- Wasserturm auf dem Werder in Bremen, 1871–1873 von Johann Georg Poppe
- Neubauten der Schultheiß-Brauerei in Berlin-Prenzlauer Berg, 1891 von Franz Schwechten
- Zeche Zollern II/IV in Dortmund-Bövinghausen, 1898–1903 von Paul Knobbe, Maschinenhalle 1902–1903 mit Jugendstil-Dekorationen nach Entwurf von Bruno Möhring
- Jahrhunderthalle in Bochum, 1902–1903
- Steiff-Fabrikgebäude, sog. Osthalle, in Giengen an der Brenz, 1903 (wahrscheinlich von Richard Steiff)
- Fabrikanlage der Kaffee-HAG am Holz- und Fabrikenhafen in Bremen, 1906–1907 von Hugo Wagner
- AEG-Turbinenfabrik in Berlin-Moabit, 1908–1909 von Peter Behrens und Ingenieur Karl Bernhard
- Fabrikanlage der Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst in Hellerau bei Dresden, 1909–1911 von Richard Riemerschmid
- Chemische Fabrik Moritz Milch & Co. in Luban bei Posen, 1911–1912 von Hans Poelzig
- Fagus-Werk in Alfeld an der Leine, 1911–1914 von Walter Gropius und Adolf Meyer
- Pumpwerk Alte Emscher in Duisburg-Beeck, 1912–1913 von Alfred Fischer
- Fabrikhochhaus Bau 15 der Carl Zeiss AG in Jena, 1915 von Friedrich Pützer
- Hutfabrik Friedrich Steinberg, Herrmann & Co. in Luckenwalde, 1921 von Erich Mendelsohn
- Ernemann-Turm der Heinrich Ernemann AG in Dresden-Striesen, 1922–1924 von Emil Högg und Ingenieur Richard Müller
- Fabrikhochhaus der Weberei Cammann & Co. in Chemnitz-Furth, 1924–1926 von Willy Schönefeld
- Sudturm der Brauerei Gebr. Becker in St. Ingbert, 1925–1928 von Hans Herkommer
- Sudturm der Dortmunder Union-Brauerei, sog. Dortmunder U, in Dortmund, 1926–1927 von Ingenieur Emil Moog
- Erweiterungsbau der Zigarettenfabrik „Haus Neuerburg“ in Hamburg-Wandsbek, 1926–1928 von Fritz Höger
- Turmbau der Nähmaschinenfabrik Singer & Co. in Wittenberge, 1928 von Felix Ascher
- Großmarkthalle in Frankfurt am Main, 1928 von Martin Elsaesser
- Schachtanlage Zeche Zollverein XII in Essen-Stoppenberg, 1928–1932 von Fritz Schupp und Martin Kremmer
- HE-Gebäude der VERSEIDAG in Krefeld, 1931–1935 von Ludwig Mies van der Rohe
- Kraftwerk Peenemünde auf Usedom, 1943 (wahrscheinlich von Hans Hertlein)
- Wirkturm der Schubert & Salzer Firmengruppe in Chemnitz, 1927 (von Erich Basarke)
- Gießereihalle der Sayner Hütte
- Ravensberger Spinnerei
- Spinnerei N. Marx & Lippmann
- Wasserturm auf dem Werder
- Schultheiß-Brauerei Berlin-Prenzlauer Berg
- Werkstattbau der Zeche Zollern II/IV
- Inneres der Jahrhunderthalle Bochum
- Steiff-Osthalle
- Fabrikanlage der Kaffee-HAG
- Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Hellerau
- Superphosphat-Lager der Chem. Fabrik Moritz Milch & Co.
- Fagus-Werk
- Bau 15 der Carl Zeiss AG
- Färberei der Hutfabrik Steinberg, Herrmann & Co.
- Ernemann-Turm
- Cammann-Hochhaus
- Sudturm der Brauerei Gebr. Becker
- Sudturm der Dortmunder Union-Brauerei
- Stirnseite der Zigarettenfabrik „Haus Neuerburg“
- Turmbau der Nähmaschinenfabrik Singer & Co.
- Inneres der Frankfurter Großmarkthalle
- Zeche Zollverein XII
- HE-Gebäude der VERSEIDAG
- Kraftwerk Peenemünde
Industriekultur und die Stadt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Vielfältig ist inzwischen die Rede von der Industriekultur, die in Museumsstraßen oder Ausstellungen über eine Region oder einen Industriezweig deren Verknüpfung mit der architektonischen Formensprache zeigt. War zunächst oft von einer Zerstörung oder zumindest Zersiedelung der Landschaft durch die Industrieansiedlung die Rede, stellen manche Firmen heute den Anspruch auf, das Stadtbild ihres jeweiligen Standortes positiv zu prägen. Die Eheleute Becher, aufgrund ihres Werks als fotografische Industriearchäologen bezeichnet, sprechen von einer Gleichrangigkeit der Sakralarchitektur des Mittelalters und der Industriearchitektur.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Sabine von Bebenburg (Projektleitung): Route der Industriekultur Rhein-Main, hrsg. von «Kulturregion Frankfurt Rhein-Main», Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2006, ISBN 978-3-7973-0960-0.
- Florian Böllhoff, Jörg Boström, Bernd Hey (Hrsg.): Industriearchitektur in Bielefeld. Geschichte und Fotografie. Bielefeld 1986, ISBN 3-9801320-1-3.
- Tilmann Buddensieg, Henning Rogge, Gabriele Heidecker, Karin Wilhelm, Sabine Bohle, Fritz Neumeyer: Industriekultur. Peter Behrens und die AEG. Gebrüder Mann, Berlin 1979. ISBN 3-7861-1155-3.
- Rudolf Fischer: Licht und Transparenz. Der Fabrikbau und das Neue Bauen in den Architekturzeitschriften der Moderne (Band 2 der Studien zur Architektur der Moderne und industriellen Gestaltung, hrsg. vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte), Gebrüder Mann, Berlin 2012. ISBN 978-3-7861-2665-2.
- Hubert Krins u. a.: Brücke, Mühle und Fabrik. Technische Kulturdenkmale in Baden-Württemberg. Theiss, Stuttgart. Bd. 2 Industriearchäologie. Hrsg. Landesmuseum für Technik und Arbeit, Mannheim. 1991. ISBN 3-8062-0841-7
- Miron Mislin: Industriearchitektur in Berlin 1840–1910. Wasmuth, Tübingen 2002, 460 S., 554 Abb., 12 Farbtafeln, ISBN 3-8030-0617-1.
- Ingrid Ostermann: Fabrikbau und Moderne in Deutschland und den Niederlanden der 1920er und 30er Jahre, Gebrüder Mann, Berlin 2010. ISBN 978-3-7861-2582-2.
- Kerstin Renz: Industriearchitektur im frühen 20. Jahrhundert. Das Büro von Philipp Jakob Manz. Deutsche Verlags Anstalt, München 2005. ISBN 3-421-03492-3.
- Tilo Richter, Hans Christian Schink: Industriearchitektur in Chemnitz. Hrsg. v. Deutschen Werkbund Sachsen, Leipzig 1995. ISBN 3-930383-10-1.
- Tilo Richter, Hans Christian Schink: Industriearchitektur in Dresden. Hrsg. v. Deutschen Werkbund Sachsen, Leipzig 1997. ISBN 3-378-01019-3.
- Heß/Guth/Krüger, Hans Christian Schink: Industriearchitektur in Leipzig. Hrsg. v. Deutschen Werkbund Sachsen, Leipzig 1998. ISBN 3-378-01022-3.
- Richard Schindler: Landschaft verstehen. Industriearchitektur und Landschaftsästhetik. Modo, Freiburg im Breisgau 2005. ISBN 3-937014-30-6
- Peter Schirmbeck (Hrsg.): Route der Industriekultur. 40 Stationen zwischen Bingen und Aschaffenburg, Nest, Frankfurt am Main 2003. ISBN 3-925850-47-3
- Markus Otto, Karl Plastrotmann, Lars Scharnholz, Ilija Vukorep: Industriebau als Ressource, Jovis, Berlin 2009. ISBN 978-3-939633-86-0.
- Otfried Wagenbreth: Technikgeschichte und Industriearchitektur. Kritische Anmerkungen zur historischen Bearbeitung der Industriearchitektur. In: Technikgeschichte, Bd. 62 (1995), H. 2, S. 133–146.