Isidor von Sevilla – Wikipedia

Aus Isidors Etymologiae: Bischof Braulio und Isidor von Sevilla, Buchmalerei des 10. Jahrhunderts, Kloster Einsiedeln

Isidor von Sevilla (lateinisch Isidorus Hispalensis; * um 560 in Carthago Nova (Cartagena), Spanien; † 4. April 636 in Sevilla) war Nachfolger seines Bruders Leander im Amt des Bischofs von Sevilla und wird auch als Heiliger Isidor bezeichnet. In seiner Enzyklopädie Etymologiarum sive originum libri XX kompilierte er das im Westen des Mittelmeerraums um 600 noch vorhandene Wissen der Antike (→Bücherverluste in der Spätantike), verband es mit der Patristik und machte es seiner Zeit verfügbar. Isidor gehörte zu den meistgelesenen Autoren des Mittelalters. Er schuf Grundlagen der mozarabischen Liturgie.

Isidor von Sevilla stammte aus einer Familie der romanisierten Oberschicht und lebte in einer Zeit, in der Oströmer und Westgoten um die Kontrolle Südspaniens rangen. Von 600 bis 636 war er Erzbischof von Sevilla (Hispalis). Im Jahre 619 präsidierte er eine Synode unter dem westgotischen König Sisebut (dem er auch seine Etymologiae widmete), 633 hatte er den Vorsitz beim 4. Reichskonzil zu Toledo unter König Sisenand.[1]

Isidor von Sevilla war einer der bedeutendsten Schriftsteller und Gelehrten des Frühmittelalters und kann zugleich auch zu den letzten Autoren der Spätantike gezählt werden, weil er das noch verfügbare antike Wissen sammelte und ordnete. Das hispanische Westgotenreich war zu seiner Zeit von der Vermischung römischer und germanischer Kultur geprägt. Teile der Iberischen Halbinsel – unter anderem Isidors Geburtsstadt Cartagena – befanden sich zudem nach der Mitte des 6. Jahrhunderts zeitweilig unter der Kontrolle des oströmischen Kaisers, wodurch der Zugang zu antiken Werken erleichtert wurde.

Isidor verfasste als „markanter Schlussstein der lateinischen Antike“[2] seine Schriften auf Latein. Er befasste sich mit sehr unterschiedlichen Wissensgebieten wie etwa der Medizin[3] und hinterließ eine große Anzahl von Werken.

Erhaltene Werke

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Gesamtausgabe der Werke, 1797
  • Allegoriae quaedam Sanctae Scripturae (= De nominibus legis et evangelii)
  • Chronica maiora. In: Theodor Mommsen (Hrsg.): Auctores antiquissimi 11: Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. (II). Berlin 1894, S. 391–481 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat)
  • De ecclesiasticis officiis
  • De fide catholica contra Iudaeos
  • De natura rerum
  • De ortu et obitu patrum
  • De viris illustribus
  • De summo bono. Ulrich Zell, Köln um 1470, nicht nach 1472 (Digitalisat)
  • De summo bono. Johann Landen, Köln um 1496 Digitalisat
  • Liber differentiarum (= De differentiis verborum)
  • Etymologiarum libri viginti[4]
  • Liber numerorum
  • Historia (de regibus) Gothorum, Vandalorum, Suevorum. In: Theodor Mommsen (Hrsg.): Auctores antiquissimi 11: Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. (II). Berlin 1894, S. 241–390 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat)
  • In libros Veteris ac Novi Testamenti prooemia
  • Opera selecta – MS-B-153. Kreuzherrenkonvent, Marienfrede um 1470 (Digitalisat)
  • Regula monachorum
  • Sententiarum libri tres (Zusammenfassung der gesamten Dogmatik und Moral)

In Fragmenten:

  • Synonyma (Beklagen des menschlichen Elends durch eine sündige Seele mit synonymen Ausdrücken)
Isidors Etymologiae in der Handschrift Vercelli, Biblioteca capitolare, CCII, fol. 66r (9. Jahrhundert)

Besonders bekannt ist Isidors 20 Bücher umfassende Enzyklopädie Etymologiarum sive originum libri XX (kurz: Etymologiae). König Sisebut, dem sie in der Vorrede gewidmet ist, starb bereits 621, doch war das Werk fünfzehn Jahre später, als Isidor starb, noch unvollendet und wurde erst von seinem Schüler Braulio geordnet und veröffentlicht. Mit diesem Werk prägte Isidor das Wissen seiner Epoche bis in die Frühe Neuzeit hinein; besonders wirksam waren die ersten drei Bücher, die das literarische Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) und das mathematische Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) abhandelten.[5] Dergestalt legte Isidor das Fundament für jede höhere Bildung im Mittelalter. Andere seiner Wiederentdeckungen wie die antike Atomtheorie fanden zunächst keine Beachtung.

Isidors kosmographischen Ausführungen in den Kapiteln 3–6 und in dem Kapitel 8 über die Berge des XIV. Buches; im XIII. Buch die Kapitel über Ozeane, Meere, Meerbusen und sonstiges über Gewässer und im XV. Buch über die Städte, übten einen nachhaltigen Einfluss auf die mittelalterliche Kartographie aus. Seinen geographischen Angaben stehen im XIV. Buch dann Ausführungen über die Kreisförmigkeit der Erde und deren T-förmige Einteilung voran. Die Interpretation dieser Sätze ist umstritten: Die einen meinen, er habe die Erde für eine Scheibe gehalten[6], die anderen halten dagegen, dass er mit dem „Kreisförmigen“ nur den bewohnten Teil der Erde gemeint habe.[7]

Das eigenständige Kapitel De Medicina[8], bezeichnet Philosophie und Heilkunde (secunda philosophia) als den ganzen Menschen umfassende Disziplinen. In diesem Kapitel geht Isidor auf die Geschichte und ausführlich die Aufgaben der Medizin ein. Zu ihrer Ausübung müsse der Arzt in allen Fächern des Triviums und Quadriviums ausgebildet sein, auch wenn die Medizin selbst nicht zu den Artes liberales zählt.[9]

Geschichtswerke

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Isidor verfasste zwei Geschichtswerke: eine Weltchronik bis in das Jahr 615 und eine Geschichte der Goten (Historia Gothorum), speziell des Westgotenreichs, dessen Untertan er war. In der Forschung wurde vermutet, dass er sich für seine Gotengeschichte eventuell eng an die verlorene historiola des Maximus von Saragossa angelehnt hat, doch kann dies letztlich nicht bewiesen werden. Sicherlich hat sich Isidor auch auf zahlreiche weitere spätantike Chroniken gestützt (so auf Eusebius von Caesarea, Hydatius von Aquae Flaviae, Johannes von Biclaro u. a.). In diesem Zusammenhang war Isidor darum bemüht, das Westgotenreich und den katholischen Glauben in seinem Geschichtsbild zu harmonisieren.[10]

Isidors Weltsicht als mappa mundi, rekonstruiert von Konrad Miller nach den geographischen Ausführungen in den Etymologiae

Isidors Schriften wurden im Mittelalter von Mönchen eifrig kopiert. Manche Aussagen antiker Autoren sind nur noch durch seine Zitate bekannt. Sein Werk hatte einen enormen Einfluss auf die nachfolgenden Generationen, sowohl durch seine Bibelexegese als auch wegen seiner Vermittlung antiken Wissens an die Welt des Mittelalters. Seine Schriften wurden schon bald in andere Sprachen übersetzt und fanden weite Verbreitung. Ein Teil der Schriften Isidors wurde ins Althochdeutsche übersetzt. Das Korpus dieser Schriften wird oft abgekürzt „Isidor“ genannt (siehe hierzu auch Mondseer Fragmente).

Seine Berichte über das westgotische Reich begründeten den Mythos von der Überlegenheit der Goten und legitimierten später die Reconquista. Auch den starken Antisemitismus der Westgoten nach ihrem Übertritt zum katholischen Glauben hat Isidor mit zu verantworten. Seine Voraussage einer bedeutenden Rolle Spaniens im Weltgeschehen wurden wichtig für das spätere spanische Selbstverständnis.[11]

Von höchster allgemeiner Bedeutung für die Konstruktion von Wirklichkeiten in den nächsten 1000 Jahren wurde seine „Erfindung“ eines universell anwendbaren Verfahrens der Welterklärung mittels Wahrheitsfindung durch Sprache, das er Etymologie nannte. Er verstand Etymologie anders als die heutige Sprachwissenschaft. Isidors Etymologie-Verfahren, das seinem Hauptwerk den Titel gab, lässt sich verkürzt so paraphrasieren: „Wenn Du in einem Wort etwas Wahres über das mit dem Wort bezeichnete Objekt erkennen willst, dann überprüfe den Ursprung des Objekts, oder seine Wirkung oder das Gegenteil davon darauf, ob Du sprachliche und/oder sachliche/inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen Wort und Sache findest.“ Eine auf diese Weise „etymologisch“ gewonnene Wesenserkenntnis eines Begriffes gilt als tiefgründiger, als im Vergleich zu anders (philosophisch, naturwissenschaftlich) gewonnenen Erkenntnissen.[12]

Bartolomé Esteban Murillo: Isidor von Sevilla, Phantasiebild des 17. Jahrhunderts

Gedenktag und Würdigung

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Isidor gilt als der letzte Kirchenvater des Westens, mit seinem Tod endet nach der vorherrschenden traditionellen Auffassung die Epoche der Patristik.

Isidor von Sevilla ist auf dem Stadtwappen Sevillas abgebildet. Der Mondkrater Isidorus ist nach diesem Kirchenvater benannt.

Der Leichnam des Heiligen befindet sich seit dem 11. Jahrhundert in der Basilika San Isidoro in León.

Er wurde 1722 zum Doktor der Kirche erklärt[13]. Sein Gedenktag ist innerhalb der Katholischen Kirche der 4. April (nichtgebotener Gedenktag im Allgemeinen Römischen Kalender). Isidor von Sevilla gilt als Schutzpatron des Internets.[14] 2001 wurde der Isidor-Award gestiftet, mit dem in den Jahren 2002 und 2003 Shareware-Programme ausgezeichnet wurden.[15]

Gefälschte Werke

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Es gibt umfangreiche Fälschungen aus dem 9. Jahrhundert, die unter dem Namen Isidors in Umlauf gebracht wurden. Diese Fälschungen hatten eine enorme Wirkungsgeschichte. Es gibt begründete Vermutungen über die Verfasserschaft, aber keinen letzten Beweis. Diese Werke tragen heute den künstlichen Namen Pseudoisidor als Verfasser.

  • Charles Henry Beeson: Isidor-Studien. München 1913 (= Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters. Band 4, 2).
  • Arno Borst: Das Bild der Geschichte in der Enzyklopädie Isidors von Sevilla. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters. Bd. 22, 1966, S. 1–62. (online)
  • Hans-Joachim Diesner: Isidor von Sevilla und seine Zeit. Stuttgart 1973
  • Hans-Joachim Diesner: Isidor von Sevilla und das westgotische Spanien. Berlin 1977
  • Brigitte Englisch: Die Artes liberales im frühen Mittelalter (5.–9. Jh.). Das Quadrivium und der Komputus als Indikatoren für Kontinuität und Erneuerung der exakten Wissenschaften zwischen Antike und Mittelalter. Sudhoffs Archiv, Beihefte 33, Stuttgart 1994
  • Andrew Fear, Jamie Wood (Hrsg.): A Companion to Isidore of Seville. Leiden/Boston 2020
  • Peter Habermehl: »Die Welt in einer Nußschale«. Isidor von Sevilla und die Abenteuer der Etymologie(n), in: U. Peter u. a. (Hrsg.), Mediengesellschaft Antike? Information und Kommunikation vom Alten Ägypten bis Byzanz, Berlin 2006, 51–67.
  • Klaus Herbers: Isidor von Sevilla († 636). Prägungen des Westgotenreiches. In: Eine andere Geschichte Spaniens. Schlüsselgestalten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Böhlau, Köln 2022, ISBN 978-3-412-52557-6, S. 19–40.
  • Udo Kindermann: Isidor von Sevilla. In: Wolfram Ax (Hrsg.): Lateinische Lehrer Europas. Fünfzehn Portraits von Varro bis Erasmus von Rotterdam. Böhlau, Köln 2005, ISBN 3-412-14505-X, S. 273–290
  • Hans Philipp, August Schmekel, Arno Schenk: Isidoros 27. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IX,2, Stuttgart 1916, Sp. 2069–2080.
  • Wolfgang Schweickard: «Etymologia est origo vocabulorum...». Zum Verständnis der Etymologiedefinition Isidors von Sevilla. In: Historiographia Linguistica 12 (1985), S. 1–25.
  • Karl Sudhoff: Die Verse Isidors von Sevilla auf dem Schrank der medizinischen Werke seiner Bibliothek. In: Mitteilungen zur Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften. Band 15, 1916, S. 200–204.
  • Justo Pérez de Urbel, Hans Pohl, Übers.: Isidor von Sevilla. Sein Leben, sein Werk und seine Zeit. Bachem, Köln 1962
Commons: Isidor von Sevilla – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Primärtexte
Wikisource: Isidor von Sevilla – Quellen und Volltexte
Wikisource: Isidorus Hispalensis – Quellen und Volltexte (Latein)
Sekundärliteratur
  1. Max Manitius: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. C. H. Beck, München 1974, ISBN 3-406-01400-3, S. 52 (online in der Google-Buchsuche).
  2. C. Eisenseer: Leben und Sterben des Lateins. Ansätze einer Neubelebung. in: Fodor/Hagège/IV: Sprachreform Bd. IV. Hamburg 1989, S. 201.
  3. William D. Sharpe: Isidore of Seville: The Medical Writings. An English Translation with an Introduction and Commentary. Philadelphia 1964 (= Transactions of the American Philosophical Society Held at Philadelphia for Promoting Useful Knowledge. Neue Folge, Band 52, Teil 2).
  4. Herausgegeben von Wallace Martin Lindsay, 2 Bände, Oxford 1911; eine neue mehrbändige Ausgabe erscheint in Paris unter Leitung von Jacques Fontaine seit 1981. Engl. Übersetzung: Stephen A. Barney, W.J. Lewis, J.A. Beach et al.: The Etymologies of Isidore of Seville. Cambridge University Press, Cambridge 2006. Eine deutsche Übersetzung besorgte Lenelotte Möller: Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla. Marixverlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-86539-177-3.
  5. Brigitte Englisch: Die Artes Liberales im Frühen Mittelalter (5.–9. Jh.). Steiner, Stuttgart 1998, ISBN 3-515-06431-1.
  6. Anna-Dorothee von den Brincken: Raum und Zeit in der Geschichtsenzyklopädie des hohen Mittelalters. In: Historischer Verein für Stadt und Stift Essen (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen. Band 96, 1981, ISSN 0341-9088, S. 6–21.
  7. Rudolf Simek: Altnordische Kosmographie. de Gruyter, Berlin 1990, ISBN 3-11-012181-6, S. 104.
  8. Vgl. Otto Probst: Isidors Schrift „de medicina“ (= Etymol. lib. IV.) In: Archiv für Geschichte der Medizin. Band 8, 1915, S. 22–38.
  9. Heinrich Schipperges (†): Isidor von Sevilla. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 683 f.
  10. Vgl. Jamie Wood: The Politics of Identity in Visigothic Spain. Religion and Power in the Histories of Isidore of Seville. Leiden 2012.
  11. Hans-Jörg Neuschäfter: Spanische Literaturgeschichte. 3. Auflage. Stuttgart, Weimar 2006, S. 3.
  12. Udo Kindermann: Isidor von Sevilla. In: Wolfram Ax (Hrsg.): Lateinische Lehrer Europas. Böhlau, Köln 2005, ISBN 3-412-14505-X, S. 273–290.
  13. Eine Verwechslung mit seinem Namensvetter Isidor der Pflüger, die F. Thaller im Kirchenlexikon von 1860 vornahm, verbreitete die falsche Vorstellung, Isidor von Sevilla sei 1598 von Papst Paul V. feierlich heiliggesprochen worden (Antonio Viñeyo González, Bibliotheca Sanctorum, t. VII, col. 977).
  14. Isidor von Sevilla – Patron des Internets. www.katholisch.de 2021
  15. Vgl. Isidor-Awards 2003: Die beste Shareware im Internet winfuture.de, 14. Juni 2003.
VorgängerAmtNachfolger
LeanderErzbischof von Sevilla
600–636
Honorato