Israelsonntag – Wikipedia
Der Israelsonntag (früher Judensonntag[1]) ist seit dem 16. Jahrhundert ein Sonntag im Kirchenjahr der Evangelischen Kirche in Deutschland, der das Verhältnis von Christen und Juden zum Thema hat. Im 19. Jahrhundert war er der „Tag der Judenmission“.[2][3][4] Er wird am zehnten Sonntag nach Trinitatis, also elf Wochen nach dem Pfingstfest, begangen.
Theologische Bedeutung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Traditionelles Sonntagsevangelium ist Lukas 19,41–48 LUT, Jesus weint über Jerusalem. Als Alternative gilt seit 1998 Markus 12,28–34 LUT, das Gespräch Jesu mit einem jüdischen Schriftgelehrten über das höchste Gebot. Während sich letzteres der theologischen Verbundenheit mit dem Judentum widmet, kann das erstgenannte Proprium als selbstkritische Aneignung des Evangeliums von der Zerstörung Jerusalems zu einem Bußgottesdienst gestaltet werden.[5] Dementsprechend kann zwischen den zwei Farben Violett (Farbe der Buße) und Grün (Normalfarbe) gewählt werden.
Wurde früher Psalm 84 LUT gesprochen,[6] so sollte es nach dem Evangelischen Gottesdienstbuch[7] aus dem Jahr 2000 Psalm 106,4–5a.47a.48a LUT und nach der Reformierten Liturgie[8] sowie der Pfälzischen Agende[9] Psalm 74 LUT sein: In dieser Ausrichtung ging es gerade nicht mehr um die Tempelzerstörung (Lukas 19), sondern ausschließlich um Gottes bleibende Treue (Markus 12). Das wurde durch die Perikopenrevision, die zum Kirchenjahr 2018/19 in Kraft trat, dadurch bekräftigt, dass dem Sonntag nun Psalm 122 LUT zugeordnet ist. Wenn der Israelsonntag als Gedenktag der Zerstörung Israels begangen wird, wird weiterhin Psalm 74,1–3.8–11.20–21 LUT gelesen.
Im Entwurf der Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte[10] von 2014 stehen beide Proprien wieder gleichberechtigt nebeneinander, unter der Voraussetzung, dass Kirchen den „Gedenktag der Zerstörung Jerusalems“ nicht mehr antijudaistisch instrumentalisieren, sondern als Anlass zur christlichen Selbstkritik nehmen: „Das Weinen Jesu über Jerusalem wird als Trauer Gottes angesichts der traditionellen christlichen Blindheit gegenüber dem jüdischen Volk aktualisiert.“[11]
Die traditionelle Bezeichnung des Tages lautete „Gedenktag der Zerstörung Jerusalems“. Darin schien noch die Verbindung zum jüdischen Tischa beAv auf. Das Judentum begeht den Gedenktag der Zerstörung des ersten Tempels am 9. Av. Das fällt oft in zeitliche Nähe zum 10. Sonntag nach Trinitatis. Die Reformierte Liturgie verweist ausdrücklich auf diesen Zusammenhang.[12]
In den verschiedenen Namen des Sonntags und in den dafür vorgeschlagenen Bibeltexten spiegelt sich die theologische Entwicklung der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg, die besonders seit etwa 1970 wirksam wurde: Nach dem Holocaust hat die evangelische Theologie versucht, ein theologisches Verständnis des Judentums zu gewinnen, das frei von Antijudaismus und Antisemitismus ist.
Mit der Neuordnung der Perikopen zum Kirchenjahr 2018/19 wurde „der so genannte ‚Israel-Sonntag‘ […] mit zwei unterschiedlichen Akzenten versehen […]: mit der liturgischen Farbe grün unter der Überschrift ‚Christen und Juden – Freude an Israel‘ oder mit der liturgischen Farbe violett unter der Überschrift ‚Gedenktag der Zerstörung Jerusalems‘.“[13] Inhaltlich „geht es um das Verhältnis und die bleibende Verbindung zwischen Christentum und Judentum.“[14] Der Gedenktag wird verstanden als „eine Gelegenheit, sich mit den jüdischen Wurzeln des Christentums auseinanderzusetzen“,[15] „denn vieles von dem, was Jesus gelehrt hat, ist nur aus dem Judentum zu verstehen“.[16]
Kontroverse
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im badischen Kollnau trafen sich am Israelsonntag 2015 eine Handvoll interessierter Bürger. Laut Lokalzeitung hatte ein Ökumenischer Gesprächskreis Frieden dazu aufgerufen, über theologische Fragen hinaus auch dem Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern Beachtung zu schenken und „der arabischen Schicksale in Palästina zu gedenken“. Evangelische Christen seien aufgefordert, „dafür einzutreten, daß auch Palästinenser eine gesicherte Existenz“ und einen „funktionsfähigen Staat“ erhalten.[17]
Die Daten der Israelsonntage und des Tischa beAv
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jahr | Israelsonntag | Tischa beAv |
---|---|---|
2019 | 25. August | 11. August |
2020 | 16. August | 30. Juli |
2021 | 8. August | 18. Juli |
2022 | 21. August | 7. August |
2023 | 13. August | 27. Juli |
2024 | 4. August | 13. August |
2025 | 24. August | 3. August |
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Dies judaicus, Schweiz
- Kantaten von Johann Sebastian Bach zum 10. Sonntag nach Trinitatis
- Schauet doch und sehet, ob irgend ein Schmerz sei (BWV 46), 1723
- Nimm von uns, Herr, du treuer Gott (BWV 101), 1724
- Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben (BWV 102), 1726
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Karl-Heinrich Bieritz: Der Gottesdienst im Kirchenjahr. 10. Sonntag nach Trinitatis. In: Evangelisches Gottesdienstbuch – Agende für die Evangelische Kirche der Union und die Vereinigte Evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands Berlin. Ergänzungsband. 2000, ISBN 3-7461-0169-7, S. 179.
- Evelina Volkmann: Vom ‚Judensonntag’ zum ‚Israelsonntag’. Predigtarbeit im Horizont des christlich-jüdischen Gesprächs. Stuttgart 2002, ISBN 3-7668-3762-1.
- Irene Mildenberger: Der Israelsonntag – Gedenktag der Zerstörung Jerusalems: Untersuchungen zu seiner homiletischen und liturgischen Gestaltung in der evangelischen Tradition. Institut Kirche und Judentum, Berlin 2004, ISBN 3-923095-77-5 (zugleich Dissertation Universität Heidelberg 1999).
Quellen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Michael Schäfer: Solidarität und Kritik. In: kanzelgruss.de. 1. August 2010, abgerufen am 25. November 2018.
- ↑ "Kirche - evangelische Wochenzeitung für Berlin-Brandenburg" 14. August 2003, S. 4 zitiert in Judensonntag - Tag der Judenmission - Israelsonntag von Iris Noah, HaGalil 26. August 2003
- ↑ Israelsonntag Evangelische Kirche in Deutschland
- ↑ Der Israelsonntag Evangelische Kirche in Hessen und Nassau
- ↑ So Gerhard Gronauer: „Errette, die man zum Tode schleppt“. Wo das Gedenken an die jüdischen NS-Opfer in der Gemeinde verortet werden kann. In: Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, 2/2016, S. 25–28, hier S. 26.
- ↑ Zum Beispiel: Liturgische Gruppe der Theologischen Studiengemeinschaft in Posen (Hrsg.): Agende für Lesegottesdienste in Kirche und Haus. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1931, S. 35.
- ↑ Evangelisches Gottesdienstbuch, 2000, S. 368.
- ↑ Reformierte Liturgie. Gebete und Ordnungen für die unter dem Wort versammelte Gemeinde. foedus, Wuppertal / Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 1999, S. 593.
- ↑ Kirchenagende. Kirchenbuch für die Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche), Band 2. Evangelischer Presseverband Pfalz, Speyer 2006, S. 676.
- ↑ Christine Jahn (Hrsg.): Entwurf zur Erprobung im Auftrag von EKD, UEK und VELKD. Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte. Hannover o. J. [2014], S. 349–358.
- ↑ Gerhard Gronauer: „Errette, die man zum Tode schleppt“. Wo das Gedenken an die jüdischen NS-Opfer in der Gemeinde verortet werden kann. In: Nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, 2/2016, S. 25–28, hier S. 26.
- ↑ Reformierte Liturgie, S. 132.
- ↑ Perikopenrevision: Kirchenjahr, 10. Sonntag nach Trinitatis. In: velkd.de. Abgerufen am 25. November 2018.
- ↑ Steckbrief · 10. So. n. Trinitatis. In: Kirchenjahr evangelisch. Abgerufen am 23. August 2019.
- ↑ Glaube im Alltag · 10. So. n. Trinitatis. In: Kirchenjahr evangelisch. Abgerufen am 23. August 2019.
- ↑ Das Wesentliche · 10. So. n. Trinitatis: Gottes erwähltes Volk. In: Kirchenjahr evangelisch. Abgerufen am 23. August 2019.
- ↑ Gottesdienst am Israel-Sonntag. In: Badische Zeitung. 8. August 2015, S. 8, archiviert vom am 24. September 2015; abgerufen am 25. November 2018.