Kielbogen – Wikipedia
Ein Kielbogen (auch Eselsrücken, geschweifter Spitzbogen, Karniesbogen, Sattelbogen, Schottischer Bogen oder Akkolade) bezeichnet in der Architektur einen Spitzbogen mit geschweiften Schenkeln, die im unteren Teil konkav, im oberen Teil konvex geschwungen sind.[1]
Bezeichnungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ältere Baufachbücher kennen die Bezeichnungen Kielbogen und Eselsrücken nicht. Den Eselsrücken benennt erst im 18. Jahrhundert Christian Ludwig Stieglitz in seiner Encyklopädie der bürgerlichen Baukunst und erklärt diesen Namen aus der Ähnlichkeit zwischen der Bogenform und dem Rücken des Esels.[2] Die Bezeichnung Kielbogen scheint sogar erst aus dem 19. Jahrhundert zu stammen[3] und nimmt Bezug auf die Form eines auf den Kopf gestellten Schiffskiels.
Die eindeutige begriffliche Unterscheidung des Kielbogens bzw. Eselsrückens von anderen ihnen verwandten Bogenformen (Tudorbogen, Korbbogen usw.) wird dadurch erschwert, dass die Konstruktionsverfahren, die allein die exakte Unterscheidung treffen lassen, nicht immer klar erkennbar sind. Außerdem finden sich öfters Bogenformen, die konstruierten Kielbögen formal nachgebildet sind, ohne nach deren Konstruktionsverfahren geschaffen zu sein.[3]
Geometrische Konstruktion
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Plastisch gestaltete Kielbögen haben meist einen inneren und einen äußeren Bogen; diese können einheitlich gestaltet sein, doch in vielen Fällen ist der innere (untere) Bogen ein Rund- oder Spitzbogen, wohingegen der äußere (obere) Bogen als „Eselsrücken“ ausgebildet ist. Insgesamt ist eine Vielzahl von Variationsmöglichkeiten zu beobachten.[4]
Die Mittelpunkte der zwei unteren Kreisbögen liegen innerhalb, die der oberen Kreisbögen außerhalb des Bogenfeldes. Wenn beide unteren Kreismittelpunkte in einem Punkt zusammenfallen, entsteht eine geläufige Form des Kielbogens, liegen sie auseinander, erhält der Bogen eine gedrücktere Form.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ursprung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Kielbogen scheint seinen Ursprung in Indien zu haben, wo bereits seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. Eingänge zu den buddhistischen Höhlenklöstern in dieser Weise überhöht wurden. Die Hintergründe einer solchen Gestaltungsform sind unklar, doch sind Ähnlichkeiten zu den in ähnlicher Weise angespitzten Blättern des Bodhi-Baums oder zu einer in Indien verbreiteten Gebetshaltung mit erhobenen und über dem Kopf zusammengepressten Händen augenfällig; es könnte sich jedoch auch um eine rein architektur-ästhetisch zu verstehende Mittenbetonung oder -überhöhung handeln. In späterer Zeit wurden derartige Eingangsgestaltungen jedenfalls zu Fenstern (kudus) umfunktioniert und noch später entwickelten sich daraus blinde Dekorelemente (chandrasalas), die häufig zu größeren Zierpaneelen (udgamas) kombiniert wurden.
Entwicklung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der islamischen Baukunst kamen Kielbögen erst in der Zeit um 1100 in Gebrauch. In der persischen und ägyptischen Architektur erlebten sie erste Höhepunkte, doch tauchen sie vereinzelt im 12. Jahrhundert auch im Maghreb und in Andalusien auf.
In Mittel- und Nordeuropa kamen Kielbögen – von wenigen Ausnahmen in Buchmalereien abgesehen – erst ab dem 13./14. Jahrhundert in der Spätgotik in Gebrauch – als früheste Beispiele gelten gemeinhin einige der Eleanor-Kreuze in England. Kielbögen finden sich besonders häufig als oberer Abschluss eines Portal- oder Fensterrahmens, entweder als entsprechend geformte Archivolten, Fensterstürze oder Ziergiebel in Form von Verdachungen oder Bekrönungen. Entsprechend werden diese Bauelemente als „Kielbogenfenster“ bzw. „Kielbogenportale“ bezeichnet.
Beispiele
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Barabar-Höhlen (Lomas Rishi Cave),
3. Jh. v. Chr. - Udayagiri-und-Khandagiri-Höhlen,
ca. 2. Jh. v. Chr. - Udayagiri-und-Khandagiri-Höhlen (Ranigumpha)
- Vorhalle der Bedsa-Höhle, 1. oder 2. Jh. n. Chr.
- Ajanta (Höhle 36),
ca. 4. Jh. - Ajanta (Höhle 9)
- Quwwat-ul-Islam-Moschee, Delhi, Indien (um 1225)
- Wandnische mit Koransprüchen, Lodi-Gärten, Delhi, Indien (15. Jh.)
- Mihrab der Dilawar-Khan-Moschee, Mandu, Indien (15. Jh.)
- Bogen in der Dilawar-Khan-Moschee, Mandu, Indien (15. Jh.)
- Jama Masjid, Delhi, Indien (um 1650)
- Eleanor-Cross, Hardingstone, um 1300
- Kielbögen vor der Loggia des Dogenpalasts in Venedig, 1342–1350
- Kielbogenportal einer Kirche in Dumfries, Schottland
- Kielbogenfenster an einem Haus in La Garriga, Spanien
- Kielbogenfenster am Palazzo Corvaja in Taormina, Italien
- Spätgotisches Sitznischenportal mit fünffachem Kielbogen (1506) am Peter-Ulrich-Haus in Pirna
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Roswitha Beyer: Eselsrücken, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. VI, 1968, Sp. 1–22. (Abschrift auf rdklabor.de, abgerufen am 22. Januar 2024)
- Bernd Philipp Schröder: Das Kielbogen-Ornament. Eine Anregung zur Sinnbildforschung. In: Geschichtsblätter Kreis Bergstraße, Band 12 (1979), Seite 285–291.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Beispiele für Kielbogenportale
- Eselsrücken, auf baunetzwissen.de
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Hans Koepf, Günther Binding: Bildwörterbuch der Architektur. Mit englischem, französischem, italienischem und spanischem Fachglossar (= Kröners Taschenausgabe. Bd. 194). 4., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-19404-X (Digitalisat auf moodle.unifr.ch, abgerufen am 22. Januar 2024), S. 278.
- ↑ Christian Ludwig Stieglitz: Encyklopädie der bürgerlichen Baukunst, in welcher alle Fächer dieser Kunst nach alphabetischer Ordnung abgehandelt sind. Ein Handbuch für Staatswirthe, Baumeister und Landwirthe, Bd. 2. Caspar Fritsch, Leipzig 1794, S. 63 (Digitalisat) und S. 429 (Digitalisat).
- ↑ a b Roswitha Beyer: Eselsrücken, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. VI, 1968, Sp. 1–22. (Abschrift auf rdklabor.de, abgerufen am 22. Januar 2024)
- ↑ Beschreibung der geometrischen Konstruktionen bei Roswitha Beyer: Eselsrücken, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. VI, 1968, Sp. 1–22. (Abschrift auf rdklabor.de, abgerufen am 22. Januar 2024; hier: Kapitel II. Konstruktion)