Stallmeister – Wikipedia
Stallmeister ist eine Berufsbezeichnung in der Pferdezucht und Pferdehaltung. Stallmeister gab es zum Beispiel an Kaiser- und Königshöfen, an den Universitäten[1] sowie in der Königlich-Preußischen Gestütsverwaltung. Auch heute wird die Bezeichnung in manchen Bereichen noch verwendet. Der Stallmeister trägt die Verantwortung für einen bestimmten Pferdebestand.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Stallmeister (lat. agaso) war an mittelalterlichen und neuzeitlichen adligen Höfen einer der höchsten Hofbeamten, der für die Beaufsichtigung der herrschaftlichen Pferdeställe zuständig war. Ihm unterstanden die Stallknechte, Kutscher und Bereiter. Aus dem Rang des Stallmeisters entwickelte sich das wichtige Amt des Marschalls.
In der Neuzeit wurden verschiedene Stallmeisterfunktionen unterschieden: Am königlich preußischen Hof gehörte der Leiter des Marstalls zu den Oberhof-Chargen. Er führte die Dienstbezeichnung Oberstallmeister. Ihm unterstanden ein Vice-Oberstallmeister und mehrere Stallmeister.
Ein Landstallmeister war Leiter eines Zuchtgestütes (z. B. Hauptgestüt Trakehnen/Ostpreußen oder Hauptgestüt Graditz/Sachsen) bzw. eines Hengstdepots (z. B. Niedersächsisches Landgestüt Celle oder Nordrhein-Westfälisches Landgestüt Warendorf). Der Leiter der gesamten preußischen Pferdezucht und Dienstvorgesetzter aller Gestütsdirektoren und Landstallmeister war der Oberlandstallmeister, der unmittelbar dem preußischen Minister für Landwirtschaft unterstellt war. Diese Behörde wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs abgeschafft. Heute gilt der Titel Landstallmeister als Beamten-Dienstbezeichnung, sodass Leiter staatlicher Hengstdepots, die nicht im Angestelltenverhältnis stehen, lediglich als Leiter oder Direktor bezeichnet werden.
Im modernen Sprachgebrauch hat sich der Begriff gewandelt: In Gestüten, bei der Pferdezucht und in Rennställen (Trabrennen oder Galopprennen) hat der Stallmeister die Verantwortung für die Pferde, inklusive der Planung von Trainingszeiten und der Auswahl des Futters für die optimale Ernährung. Er hat zudem sicherzustellen, dass die Pferde beschlagen, geimpft und entwurmt sind sowie unter regelmäßiger tierärztlicher Behandlung stehen. Auch in einem Zirkus mit einem größeren Tierbestand ist der Stallmeister für das Wohl der Tiere verantwortlich.
Russland
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Russischen Kaiserreich gab es bis 1917 bei Hofe die beiden Titel Stallmeister (russisch Schtalmeister) und Oberstallmeister (russisch Ober-schtalmeister). Sie entsprachen gemäß Rangtabelle den Rang-Kategorien K3 bzw. K2.
Bedeutung im britischen Commonwealth
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die wörtliche Übersetzung von Stallmeister ist equerry, ein Titel für einen persönlichen Assistenten eines Mitglieds der königlichen Familie.
Bekannte Stallmeister
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Guillem de Cabestaing, provençalischer Troubadour des 12. Jahrhunderts, war zunächst Stallmeister Margaridas, der Gemahlin Raimunds von Castel-Roussillon
- Georges Chastellain, flandrischer Geschichtsschreiber, (1405–1475) Stallmeister von Herzog Philipp dem Guten von Burgund
- Chevalier Saint-Antoine, erster Hofstallmeister von Jakob I. (England)[2]
- Maximilian Carl Theodor Graf Holnstein, Ehemann von Caroline von Holnstein, unter Ludwig II. (Bayern) Oberststallmeister des Marstalls München
- Vollrath Joachim Helmuth von Bülow (1771–1840), langjähriger Oberstallmeisters des mecklenburgischen Haupt- und Landgestüts Redefin, unter seiner Leitung entstand das spätklassizistische Gesamtensemble von Gestütsgebäuden und Paradeplatz
- Friedrich Freiherr von Spörcken, königlich hannoverscher Landstallmeister in Celle (1839–1866) mit enormem Einfluss auf die Hannoveraner Pferdezucht und die bauliche Entwicklung des Landgestüts Celle, trat aus Protest gegen die preußische Annexion Hannovers zurück
- Gerd Lehmann, dienstältester Landstallmeister des Nordrhein-Westfälischen Landgestüts Warendorf (1966–1996), leitete die Umzüchtungsphase zum modernen Sportpferd in Westfalen ein.
- Johann Friedrich Rosenzweig (1716–1794), Universitätsstallmeister in Leipzig
Frankreich
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Salomon de la Broue (1530–1610), Stallmeister (écuyer) des Herzogs von Épernon, dann Hofstallmeister Heinrichs des IV. von Frankreich. Er bekleidete den Rang écuyer ordinaire de la Grande Écurie,[3] wobei zu berücksichtigen ist, das die Grande Écurie (Großer Marstall) damals noch nicht in dem gleichnamigen Gebäude in Versailles untergebracht war.
- Charles du Plessis-Liancourt († 1620), erster Stallmeister (premier écuyer) Heinrichs III. von Frankreich
- Antoine de Pluvinel (1555–1620), écuyer ordinaire am Hof Heinrichs III. und Heinrichs IV., später écuyer principal und Reitlehrer des späteren Ludwigs XIII. von Frankreich.
- Joachim comte de Lionne (?–1716), erster Stallmeister (1671–1716) der Grande Écurie du Louvre unter Ludwig XIV. (premier écuyer du roi, commandant la Grande Écurie du Louvre).[4]
- Louis Cazeaux de Nestier (1686–1754), écuyer ordinaire de la Grande Écurie du Roy.[5]
- Jean de Beaumont (1738–1831), Marquis d’Autichamp, Stallmeister beim Prinzen von Condé, General[6].
Polen-Litauen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Antoni Tyzenhauz (1733–1785)
Preußen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Friedrich Godward von Syberg (?–1729), preußischer Kammerherr und Oberstallmeister (1711–1729)[7]
- Friedrich Bogislaw von Schwerin (1674–1747), preußischer Oberstallmeister und erster Kammerherr
- Friedrich Albert von Schwerin (1717–1789), Generalmajor, Oberstallmeister (1775–1789)
- Carl Heinrich August Graf von Lindenau (1755–1842), preußischer Oberstallmeister (1789–1807)
- Ludwig Friedrich Günther Andreas von Jagow (1770–1825), preußischer Vizeoberstallmeister (1808–1810), Oberstallmeister (1810–1823)
- Carl Christoph Gottlob von Knobelsdorff (1767–1845), Landrat[8] im neumärkischen Kreis Königsberg (1795–1798), preußischer Oberstallmeister (1823–1841),[9] übernahm in der Nachfolge von August von der Goltz die Funktion der (vakanten) Großen Hofcharge (oder Oberstcharge) eines Obermarschalls (1835–1841).[10] Er vermehrte die Zahl der Landgestüte um drei Neugründungen: Warendorf (1826), Zirke (1828) und Wickrath (1839).[11]
- Ernst von Schwichow (1798–1868), preußischer Landstallmeister in Warendorf und Trakehnen, begründete das Deutsche Derby im Galopprennsport
- Wilhelm Theodor Freiherr von Knobelsdorf (1799–1875), Neffe des Oberstallmeisters Knobelsdorf war Landstallmeister des Schlesischen Landgestütes Leubus[12]
- Joachim von Brandenstein (1790–1857), preußischer Oberstallmeister (ab 1841) und Kammerherr
- Fedor von Rauch (1822–1892), Oberstallmeister der preußischen Könige und deutschen Kaiser (1886–1891)
- Georg Graf von Lehndorff (1833–1914), Oberlandesstallmeister der preußischen Gestütsverwaltung (zugleich Leitung des Hauptgestüts Graditz)
- Ernst August Graf von Wedel (1838–1913), preußischer Oberstallmeister (Herbst 1890–1905)
- Hugo Freiherr von Reischach (1854–1934), preußischer Oberstallmeister (ab 1905) in Berlin und Potsdam, Leiter des Marstalls Kaiser Wilhelms II.
- Siegfried Graf Lehndorff (1869–1956), Landstallmeister des nachmaligen Brandenburgischen Haupt- und Landgestüt Neustadt/Dosse, des Hauptgestüts Graditz und des Hauptgestüts Trakehnen, einer der erfolgreichsten Amateurrennreiter
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Christiane Gohl: Was der Stallmeister noch wusste. Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-440-10107-X.
- Übersicht über die k. u. k. Oberststallmeister, ursprünglich herausgegeben vom Oberstallmeisteramt 1883: adler-wien.at
- Fedor von Rauch: Briefe aus dem Großen Hauptquartier 1866 u. 1870–71. Berlin, 1911, Biographische Einleitung.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Arnd Krüger: Die Professoren für Reitlehre. Die Anfänge der organisierten Wissenschaft vom Sport. In: Stadion. 12/13. 1986/87, S. 241–252.
- ↑ Reitkunst. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Band 13, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig/Wien 1885–1892, S. 710.
- ↑ Gabriel René Mennessier de La Lance (General): Essai de Bibliographie Hippique. Band 2.
- ↑ Joachim Graf von Lionne war der Sohn von Humbert de Lionne (um 1597–?) und Virginie Rabot d’Avrillac († 1665). Siehe: Hugues de Lionne, Ulysse Chevalier (Hrsg.): Lettres inédites de Hugues de Lionne, ministre des affaires étrangères sous Louis XIV, précédées d’une notice historique sur la famille de Lionne … 1877, S. 55, Textarchiv – Internet Archive
- ↑ siehe Reiterporträt des Monsieur de Nestier Écuyer Ordinaire de la Grande Écurie du Roy
- ↑ Autichamp, 1) Jean Thérèse Louis de Beaumont. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Band 2, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig/Wien 1885–1892, S. 168.
- ↑ Biographisches Lexikon aller Helden und Militairpersonen, welche sich in preußischen Diensten berühmt gemacht haben. Arnold Wever, Berlin, 1791, S. 10. books.google.fr
- ↑ Rolf Straubel: Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740–1806/15. In: Historische Kommission zu Berlin (Hrsg.): Einzelveröffentlichungen. 85. K. G. Saur Verlag, München 2009, ISBN 978-3-598-23229-9, S. 502 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Neue Würzburger Zeitung, Nr. 213, 3. August 1841, Titelseite, Spalte 2. books.google.fr
- ↑ Zeitung für den deutschen Adel, Helbig, 2. Jahrgang, 1. Semester 1841, S. 259/260. books.google.fr
- ↑ Manfred W. Graf: Die königlich-preußische Gestütsverwaltung, Verlag Thüringer Druckhaus, 2006, S. 211.
- ↑ Leopold Freiherr von Zedlitz: Neues preussisches Adels-Lexikon oder Genealogische und diplomatische Nachrichten, Gebr. Reichenbach, Leipzig, 1837, S. 127. books.google.fr