Leibniz Kolleg – Wikipedia
Das Leibniz Kolleg (collegium leibnicianum) ist eine zentrale Einrichtung der Universität Tübingen, benannt nach Gottfried Wilhelm Leibniz.
Es ist eine propädeutische Einrichtung, die Abiturienten durch ein zehnmonatiges, umfassendes Studium generale eine begründete Studienentscheidung ermöglichen und sie gleichzeitig in das wissenschaftliche Arbeiten einführen will. Dabei legt das Leibniz Kolleg großen Wert auf Interdisziplinarität, um ein umfassenderes Bildungsideal als normalerweise im Fachstudium möglich zu verwirklichen.
Geschichte und Gründung des Leibniz Kollegs
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am 5. Februar 1948 wurde in der Universität Tübingen das Leibniz Kolleg eröffnet. Seine Entstehungsgeschichte basiert auf einem Spannungsfeld zwischen Ideen der französischen Militärregierung über die Einführung in das Studium im Zuge der allgemeinen Hochschulreform und den anknüpfenden Vorstellungen einzelner Tübinger Hochschulprofessoren. Der Ursprung dieser Idee, eine Institution wie das Leibniz Kolleg zu schaffen, ist eng mit dem historischen Kontext, einem Neuanfang nach der totalen Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands, verknüpft.[1]
Es wurde 1948 auf Betreiben der französischen Militärregierung gegründet, um damit der Nachkriegsgeneration ein neues demokratisches und geschichtliches Verständnis zu vermitteln. Persönlichkeiten wie Carlo Schmid, Romano Guardini, Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker, Paul Ohlmeyer, Eduard Spranger, Theodor Steinbüchel u. a. wirkten bei der Konzeption des Studienganges entscheidend mit. Das Gebäude in der Tübinger Brunnenstraße 34 wurde in den Jahren von 1928 bis 1930 von dem Architekten Paul Schmitthenner erbaut als „Deutsche Burse“, ein Studentenheim für auslandsdeutsche Studenten[2].
Inhalte des Studienjahres
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Studium generale
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Kollegiaten wählen für jedes der beiden Semester nach eigenem Interesse Kurse aus dem Angebot des Kollegs. Dabei müssen mindestens sechs Kurse, dabei jeweils mindestens ein Kurs aus den Bereichen Rechts- und Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und Künstlerische Praxis, Musisches, Kreativität, Medien gewählt werden. Zusätzlich werden freiwillige Sprachkurse angeboten. Innerhalb der hauptsächlich direkt am Leibniz Kolleg stattfindenden Kurse werden repräsentative Themen der Fächer bearbeitet und diskutiert. Im Sommersemester können die Kollegiaten zusätzlich an Fachveranstaltungen der Universität Tübingen außerhalb des Leibniz Kollegs teilnehmen.[3]
Zusätzlich zu den Kursen finden für alle Kollegiaten verpflichtende Blockseminare statt. Diese behandeln beispielsweise die wissenschaftlichen Methoden der Geistes-, Sozial- oder Naturwissenschaften, jährlich finden aber auch Blockseminare wie ein Wochenende zu einem politischen Thema, eine Projektwoche mit einem durch die Kollegiaten gewählten Thema oder die Vorbereitung der Studienreise statt.
Des Weiteren gibt es eine einwöchige Studienreise, Exkursionen und wöchentliche Vorträge.[4]
Studium sociale
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Dadurch, dass alle Kollegiaten zusammenleben und dieses Zusammenleben organisieren müssen ergibt sich der Aspekt des „studium sociale“. Die Kollegiaten leben gemeinsam (vorwiegend in Doppelzimmern) in einem 1928 erbauten, spartanisch eingerichteten Haus und müssen dort nicht nur das Gemeinschaftsleben organisieren, sondern sind auch für Teile des Programms mitverantwortlich, beispielsweise für die wöchentlichen Vorträge oder einige der Blockseminare. Fragen, die alle betreffen werden basisdemokratisch im verpflichtenden, wöchentlich stattfindenden Konvent diskutiert und abgestimmt.[5]
Bewerbung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bewerbungsvoraussetzung ist die allgemeine Hochschulreife oder ein als gleichwertig anerkannter (deutscher oder internationaler) Schulabschluss. Erstes Aufnahmekriterium ist der Wunsch nach wissenschaftspropädeutischen Arbeiten und Studienfachorientierung sowie die Bereitschaft zu kooperativen Lebens- und Lernformen mit den anderen Studierenden des Kollegs und den Kursleitern.
Der Bewerbungsprozess teilt sich in zwei Phasen: die erste Phase besteht aus einer schriftlichen Bewerbung, in der zweiten Phase werden ausgewählte Bewerber zu einem Gespräch mit der aktuellen Leitung des Kollegs eingeladen. Wirtschaftliche Umstände von Studierenden sind kein Hinderungsgrund für die Aufnahme ins Leibniz Kolleg, da Stipendien nach Bedürftigkeit vergeben werden.[6]
Organisation und Finanzierung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Leibniz Kolleg ist seit 2016 wieder, wie zu Gründungszeiten, Teil der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, nachdem es zwischen 1972 und 2016 in privater Trägerschaft war.[7]
Geleitet wird das Leibniz Kolleg zurzeit von Ursula Konnertz und Thorsten Nagel.
Die Kosten eines Studienplatzes belaufen sich derzeit auf einen Jahresbeitrag von 6.900 € für Studiengebühren und Miete. Finanziell wird das Leibniz Kolleg von der Udo Keller Stiftung sowie von der 1950 gegründeten Gesellschaft der Freunde des Leibniz Kollegs unterstützt. Um auch Interessierten mit weniger finanziellen Mitteln das Studium generale und sociale zu ermöglichen, kann sich auf eines der ebenfalls von der Gesellschaft der Freunde des Leibniz Kollegs finanzierten Stipendia Leibniziana beworben werden. Der Förderkreis trägt des Weiteren beispielsweise durch ein breites Alumni-Netzwerk zur ideellen Förderung der Arbeit des Leibniz Kollegs bei.[8][9]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Das Collegium Leibnizianum an der Universität Tübingen: Sein Sinn und seine Bestimmung; [Ansprachen und Vorträge]. Mohr, Tübingen 1948, DNB 450811115.
- Gerhard Krüger: Das Leibniz-Kolleg der Universität Tübingen: Ein Erfahrungsbericht. Mohr, Tübingen 1949, DNB 452606098.
- Michael Behal, Nina Baur: Studium generale, studium sociale: Das Leibniz-Kolleg 1948 – 1998. Leibniz-Kolleg, Tübingen 1998, DNB 96312188X.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Offizielle Seite des Kollegs
- Offizielle Seite der Gesellschaft der Freunde des Leibniz Kollegs e. V.
- Lea Hampel: Studium Generale am Leibniz-Kolleg: „Es geht ums WIE, nicht ums WAS“. In: Jetzt. 23. August 2006 (Interview mit Michael Behal).
- Barfuß in den Hörsaal: Am Leibniz-Kolleg in Tübingen lernen angehende Studenten, wie man richtig studiert. In: Zeit Online. 3. September 1998, archiviert vom am 23. Juli 2010 .
- Mario Gotterbarm: Studium generale: Im Studentenschullandheim. In: FAZ.net. 26. September 2009 .
- Fenja Mens: Big Brother für Studenten. In: Spiegel Online. 1. Februar 2001 .
- Pia Fruth, Pia-Maria Pelzer: Das Leibniz Kolleg in Tübingen: Ein Jahr „Studium Generale“. (mp3-Audio; 25,1 MB; 27:30 Minuten) In: SWR2 Wissen. 10. Mai 2012, archiviert vom am 24. November 2014 (auch als pdf-Datei; 140 kB).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Nina Baur et al.: Studium generale, Studium sociale, Das Leibniz Kolleg 1948-1998. Hrsg.: Michael Behal, Friedemann Schmoll. 1. Auflage. Leibniz Kolleg, Tübingen 1998.
- ↑ Paul Schmitthenner, Die deutsche Burse in Tübingen, in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau, Ausgabe 15.1931, S. 357–364.
- ↑ Das Leibniz Kolleg. In: Eberhard Karls Universität Tübingen. Abgerufen am 20. Juni 2024.
- ↑ studium generale - Fächer und Kursangebot. In: Eberhard Karls Universität Tübingen. Abgerufen am 20. Juni 2024.
- ↑ Wohnen und Leben am Kolleg. In: Eberhard Kars Universität Tübingen. Abgerufen am 20. Juni 2024.
- ↑ Bewerbung für ein Studienjahr am Leibniz Kolleg. In: Eberhard Karls Universität Tübingen. Abgerufen am 20. Juni 2024.
- ↑ Antje Karbe: Leibniz Kolleg wird Einrichtung der Universität Tübingen. In: Informationsdienst Wissenschaft. 13. Januar 2016, abgerufen am 20. Juni 2024.
- ↑ Leibniz Kolleg an der Universität Tübingen -Stipendienprogramm der Udo Keller Stiftung Forum Humanum. In: Udo Keller Stiftung Forum Humanum. Abgerufen am 20. Juni 2024.
- ↑ Gesellschaft der Freunde des Leibniz Kollegs. Abgerufen am 20. Juni 2024.
Koordinaten: 48° 31′ 30,2″ N, 9° 3′ 50,3″ O