Litteralvertrag – Wikipedia

Der Litteralvertrag (lat. contractus litteris; aus littera ‚Buchstabe, Brief‘, daher auch: litteris contrahi) war im römischen Recht eine Vertragsart des ius civile, bei welcher die Verbindlichkeit neben der Einigung durch einen Schriftakt (lat. transcriptio ‚Umbuchung‘), der die Zahlung ersetzte, entstand.[1]

Der Vertragstyp geht auf die vorklassische Zeit der späten Republik zurück.[2] Bereits vor Ende der nachfolgenden klassischen Periode im Prinzipat muss er als Rechtsinstitut aufgegeben worden sein, denn seine Streichung lässt sich in den Digesten an verschiedenen Stellen nachzeichnen.[3]

De facto beruhte der Litteralvertrag auf einem Eintrag ins Haus-/ Kassenbuch (codex accepti et expensi[4]) in welchem Einnahmen und Ausgaben des pater familias eingetragen wurden. Verzeichnet wurden darin Forderungen und Schulden gleichermaßen. Manthe hebt hervor, dass eine Geldforderung dergestalt begründet wurde, dass der Schuldner sie dem Gläubiger in einem Brief antrug (litterae) und die Eintragung im Haus-/ Kassenbuch Beweiszwecken diente (expensilatio). Demnach war der Litteralvertrag ein Briefvertrag und nicht allein ein über das Hausbuch dokumentierter, schriftförmlicher Vertrag.[5] Jakab betont, dass Nichtbürgern (peregrini), die als Schuldner keine rechtswirksamen Eintragungen im Kassenbuch vornehmen konnten, diese durch eigenhändige Schriftstücke (chirographa) und Schuldscheine (syngrapha) ersetzen konnten, denn sie erfolgten ebenfalls durch Schriftakt. Der Schriftakt war als Urkunde geschäftlicher Rechtsgrund (causa obligationis). Nach Gaius soll diese Handhabe der hellenistischen Rechtsauffassung gefolgt sein, dass die Urkunde konstitutive Wirkung habe und unwiderlegbare Beweiskraft verleihe.[6]

Schuldbegründend war nicht die Buchung eines tatsächlich vorgenommenen Zahlungsvorgangs (nomina arcaria; nomen=Forderung)[7] im Hausbuch, sondern die Lastschrift einer mit dem Einverständnis des Schuldners tatsächlich nicht vorgenommenen Auszahlung zu Zwecken einer Schuldumbuchung. Voraussetzung war eine bestehende Verbindlichkeit, die umgebucht werden sollte. Die Buchung im Hausbuch selbst diente dann allein Beweiszwecken.[8] Mit der Umbuchung wurde das Ziel verfolgt, die alte Schuld dadurch zu tilgen, dass eine prozessual leichter zu verfolgende Darlehensschuld (mutuum) begründet wurde, was dem Gläubigerschutzinteresse diente, beziehungsweise dass ein Schuldnerwechsel vollzogen wurde.[9] Nach sabinianischer Lehre war das Institut dem Schuldneraustausch vorbehalten.[10]

Für die Frühzeit sei nach Kaser noch glaubhaft gemacht, dass eine Akzeptilation (acceptilatio litteris[11]) nicht allein Beweiszwecken diente, ihr vielmehr auch schuldaufhebende Wirkung zukam, wenn sie verlangt wurde, so etwa beim Erlass oder der Schuldtilgung.[12]

Nach heutigem Rechtsverständnis ähnelt die Rechtseinrichtung der Novation durch Erneuerung einer Obligation. Der einzuschlagende Klageweg war – wie aus Darlehen – die actio certae creditae pecuniae.

Abgrenzung und Bedeutung

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Im römischen Obligationenrecht waren über die Jahrhunderte und Epochen insgesamt vier verschiedene Vertragstypen relevant, die auf jeweils eigener Konzeption beruhten (re, verbis, litteris, consensu). Im Gegensatz zu den anderen Vertragssystemen hatte der Litteralvertrag keine konstitutive, verpflichtungsbegründende, Wirkung, sondern diente vornehmlich Beweiszwecken. Der älteste konstitutive Vertragstyp war der Verbalvertrag. Ihm waren strengrechtliche Wortformeln eigen und Produkt bereits des Zwölftafelgesetzes. Während der klassischen Zeit wurde er weitestgehend durch den Konsensualvertrag, der formfreie Willenserklärungen zuließ, verdrängt und soweit es um die Vermittlung von Besitzverhältnissen ging, kam der Realvertrag in Betracht, bei dem eine zusätzliche Sachhingabe notwendig war.

Die untergeordnete Bedeutung von Litteralverträgen mag daran ablesbar sein,[1] dass sie als eigenständige Kategorie von Verträgen zwar im Anfängerlehrbuch der Institutiones Gai (des Juristen Gaius) erschienen, nicht dagegen beim Frühklassiker Labeo,[13] obwohl vermutet wird, dass sie möglicherweise über ein halbes Jahrtausend bis ins 3. Jahrhundert angewandt wurden.[14]

  • Okko Behrends: Der Litteralvertrag zwischen klassischem und vorklassischem Rechtsdenken. In: Mélanges Witold Wolodkiewicz. Warschau 2000, S. 102.
  • Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 4.
  • Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 212.
  • Heinrich Honsell: Römisches Recht. 5. Auflage, Springer, Zürich 2001, ISBN 3-540-42455-5, S. 101.
  • Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. 2132). Beck, München 2000, ISBN 3-406-44732-5, S. 76, 77.
  • Ralf Michael Thilo: Der Codex accepti et expensi im Römischen Recht: Ein Beitrag zur Lehre von der Litteralobligation (Göttinger Studien zur Rechtsgeschichte), 1980, Karl Kroeschell, Okko Behrends und Wolfgang Sellert (Herausgeber).
  • Leopold Wenger: Die Quellen des römischen Rechts. (Schriftenreihe: Denkschriften der Gesamtakademie / Österreichische Akademie der Wissenschaften). Holzhausen, Wien 1953. S. 734–841 (insb. 736).
  1. a b Der römischen Bürgern eröffnete Litteralvertrag war eine nur kurz geübte Vertragsart. Im Wesentlichen beruhen heutige Kenntnisse über ihn auf Schriften des hochklassischen Juristen Gaius, 3, 128 ff.; Unter Justinian war der Litteralvertrag im Corpus iuris bereits getilgt.
  2. Digesten 46,3,80.
  3. Max Kaser: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. in: Forschungen zum Römischen Recht. Band 36. Verlag Böhlau, Wien, Köln, Graz, 1986. ISBN 3-205-05001-0. S. 160 ff.
  4. Rudolf Leonhard: Codex accepti et expensi. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band IV,1, Stuttgart 1900, Sp. 160 f.
  5. Ulrich Manthe: Geschichte des römischen Rechts (= Beck'sche Reihe. 2132). Beck, München 2000, ISBN 3-406-44732-5, S. 76, 77.
  6. Éva Jakab: Chirographum in Theorie und Praxis. In: Römische Jurisprudenz – Dogmatik, Überlieferung, Rezeption / Festschrift für Detlef Liebs zum 75. Geburtstag. hrsg. von Karlheinz Muscheler, Duncker & Humblot, Berlin (= Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen. Neue Folge, Band 63), S. 275–292 (277).
  7. Heinrich Honsell: Römisches Recht. 5. Auflage, Springer, Zürich 2001, ISBN 3-540-42455-5, S. 101.
  8. Gaius, Institutiones, 3,131.
  9. Gaius, Institutiones 3,128–130; Vgl. auch: Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 212.
  10. Gaius, Institutiones 3,133.
  11. Rudolf Leonhard: Acceptilatio. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I,1, Stuttgart 1893, Sp. 138.
  12. Max Kaser: Römische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode. In: Forschungen zum Römischen Recht, Bd. 36, Böhlau, Wien/Köln/Graz 1986, ISBN 3-205-05001-0, S. 160 f.
  13. Digesten 50,16,19. Ulpian 11 ed.
  14. Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 4 Rnr. 19 (S. 44 f.).