Muße – Wikipedia

Als Muße bezeichnet man die Zeit, die eine Person nach eigenem Wunsch nutzen kann. Nicht alle Freizeit ist zugleich Muße, da viele Freizeitaktivitäten indirekt von Fremdinteressen bestimmt werden. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes (althochdeutsch „muoza“, mittelhochdeutsch „muoze“) war Gelegenheit, Möglichkeit.[1]

Im Sinne von schöpferischer Muße tritt sie bereits – im Gegensatz zur mühevollen Arbeit der einfachen Menschen – in der Antike auf (altgriechisch σχολή – vgl. Schule – gegenüber άσχολΐα oder πόνος, lat. otium gegenüber negotium). Das Bedeutungsspektrum von σχολή reicht hierbei von Muße, Ruhe über Studium und Schule bis hin zu Verzögerung und Langsamkeit, deren Beraubung in der ά-σχολΐα (vgl. Alpha privativum) etwa der Sklavenarbeit zum Ausdruck kommt. Aristoteles schreibt: „ἀσχολούμεθα γὰρ ἵνα σχολάζωμεν …“ (Wir arbeiten, um Muße zu haben …).[2] So prägte beispielsweise Cicero den Begriff otium cum dignitate (mit wissenschaftlicher und philosophischer Betätigung verbrachte „würdevolle Muße“ in Zurückgezogenheit (De Oratore I,1f.)).

Mittelalter bis heute

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Während die Denker der Antike die Muße mit ihren charakterbildenden und kreativen Möglichkeiten für wertvoll hielten – der Lebenskünstler als Gegenbegriff zum Sklaven –, war acedia (zumeist mit „Trägheit“ übersetzt) eines der sieben Hauptlaster im europäischen Mönchtum. Der Protestantismus hat Beruf und Arbeit hochgehalten und sich gegen jeden Müßiggang gewandt („Müßiggang ist aller Laster Anfang“). Die protestantische Ethik ist so nach Max Weber zu einer wesentlichen Grundlage des Frühkapitalismus geworden. Ihr Einfluss veränderte sich mit der Kommerzialisierung der Freizeit.

Heute wird vorwiegend betont, sich Muße zur Gesundheitsförderung zu gönnen, etwa im Sinne von Erholung (neudeutsch „Chillen“), mittels Meditation, mit zusätzlicher Quality time, im Rahmen der Wellness-Bewegung oder durch Praktizieren eines einfacheren Lebensstils.

Muße als Forschungsgegenstand

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Die Muße ist seit einigen Jahrzehnten Gegenstand der Forschung. Die Literaturwissenschaftlerin Gisela Dischner beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit der „Theorie des Müßiggangs“ („freie bewusste Tätigkeit“); mehrere von ihr verfasste Bücher (u. a. Wörterbuch des Müßiggängers (2009), Liebe und Müßiggang (2011)) sind erschienen. Die Journalistin, Initiatorin des Projekts „Muße-Kunst“, Gerlinde Knaus, untersuchte 2002 in ihrer Diplomarbeit „Muße – ein männliches Vorrecht? Die Theorie des Müßiggangs: Der Traum vom Subversiven in der Pädagogik“ (Erziehungs- und Bildungswissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz) auf Basis der „Theorie der Müßiggangs“ von Gisela Dischner den „weiblichen Müßiggang“. Knaus entwickelte auf diesen theoretischen Grundlagen ein Seminar mit dem Titel „Muße-Kunst“, das sich speziell an Frauen richtet und im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg mehrmals an mehrtägigen Seminaren praktisch und experimentell umgesetzt wurde (2005–2009).

2013 wurde an der Universität Freiburg im Breisgau ein DFG-geförderter Sonderforschungsbereich zu dem Thema Muße eingerichtet, welcher versucht, das Phänomen der Muße aus verschiedenen Perspektiven aufzuarbeiten.[3] Ein Schwerpunkt der ersten vier Jahre des SFB (2013–2016; Förderphase 1) bestand darin, Muße als Konzept aus philologisch-philosophischen Blickwinkeln zu fassen, bspw. anhand der Bedeutung der Muße für die autobiographische Reflexion und für das literarische Erzählen.[4] In den zweiten vier Jahren (2017–2020; Förderphase 2) wurde das Untersuchungsfeld geöffnet und beinhaltet nun auch Forschungsprojekte aus Forstwissenschaft, Geografie oder Psychologie.[5]

  • Thorstein Veblen: The Theory Of The Leisure Class. 1899.
  • Liselotte Welskopf: Probleme der Muße im alten Hellas. Berlin 1962.
  • Josef Pieper: Muße und Kult: Mit einer Einführung von Kardinal Karl Lehmann. Kösel, München 2007, ISBN 978-3-466-36773-3.
  • Peter Hersche: Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter. 2 Bände. Herder, Freiburg im Breisgau 2006, ISBN 3-451-28908-3.
  • Gisela Dischner: Wörterbuch des Müßiggängers. Edition Sirius. Bielefeld/Basel 2009, ISBN 978-3-89528-727-5.
  • Ulrich Schnabel: Muße. Vom Glück des Nichtstuns. Blessing, München 2010, ISBN 978-3-89667-434-0.
  • Gisela Dischner: Liebe und Müßiggang. Edition Sirius. Bielefeld/Basel 2011, ISBN 978-3-89528-838-8.
  • Nicole Stern: Das Muße-Prinzip. Wie wir wirklich im Jetzt ankommen. Arkana 2016, ISBN 978-3-442-34205-1
  • Eckhard Leuschner: Otium und Virtus. Kontemplation als Tugendübung in der Stanza della Solitudine von Caprarola. In: Thomas Weigel, Joachim Poeschke (Hrsg.): Leitbild Tugend. Die Virtus-Darstellungen in italienischen Kommunalpalästen und Fürstenresidenzen des 14. bis 16. Jahrhunderts. Münster 2013, ISBN 978-3-86887-005-3, S. 229–253.
  • Ökonomie des Glücks. Muße, Müßiggang und Faulheit in der Literatur, hg. von Mirko Gemmel u. Claudia Löschner. Ripperger & Kremers, Berlin 2014, ISBN 978-3-943999-10-5.
  • Martin W. Ramb, Holger Zaborowski (Hrsg.): Arbeit 5.0 – Warum ohne Muße alles nichts ist. Wallstein, Göttingen 2018, ISBN 978-3-8353-3340-6.
  • Jochen Gimmel, Tobias Keiling: Konzepte der Muße. Tübingen 2018, ISBN 978-3-16-154648-8.
  • Jochen Gimmel, Thomas Jürgasch, Andreas Kirchner: An den Grenzen der Muße. Essays zu einem prekären Begriff. Mohr Siebeck, Tübingen 2021, ISBN 978-3-16-160143-9.
  • Birger P. Priddat: Arbeit und Muße. Über die europäische Hoffnung der Verwandlung von Arbeit in höhere Tätigkeit. Metropolis, Marburg 2019.
  • Bertrand Russell: Lob des Müßiggangs. München 2002, ISBN 3-423-30851-6.
Wikiquote: Muße – Zitate
Wiktionary: Muße – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Elmar Seebold, Friedrich Kluge [Begr.]: Kluge – etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 25. Auflage. De Gruyter, Berlin; Boston, Mass. 2011, ISBN 978-3-11-022364-4, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche.
  2. Aristoteles, EN X, 7, 1177 b 5.
  3. Freiräume für die Muße: Neuer geisteswissenschaftlicher SFB für Freiburg (Memento vom 4. Oktober 2013 im Internet Archive).
  4. Vgl. Sennefelder, Anna Karina: Rückzugsorte des Erzählens. Muße als Modus autobiographischer Selbstreflexion. Mohr Siebeck, Tübingen 2018, ISBN 978-3-16-155666-1.
  5. Zweite Förderphase — SFB 1015 Muße. Gesellschaftliche Ressource | Kritisches Potenzial. Abgerufen am 5. April 2022.