Quartische Gleichung – Wikipedia
Eine quartische Gleichung, traditionell auch biquadratische Gleichung genannt, ist eine Bestimmungsgleichung, die sich in die Form
mit Koeffizienten und bringen lässt. Üblich sind auch die Bezeichnungen algebraische Gleichung 4. Grades, polynomiale Gleichung (Polynomgleichung) 4. Grades oder schlicht Gleichung 4. Grades. Da die Nullstellen (Wurzeln) eines Polynoms gesucht sind, ist die quartische Gleichung ein Spezialfall einer algebraischen Gleichung. Bei vielen Anwendungen sind die Koeffizienten reelle oder komplexe Zahlen, jedoch sind Koeffizienten aus einem anderen Körper ebenso möglich.
Im Fall komplexer Koeffizienten lässt sich die Gleichung nach dem Fundamentalsatz der Algebra bis auf die Reihenfolge eindeutig in vier Linearfaktoren
zerlegen, wobei und die vier, nicht notwendigerweise verschiedenen komplexen Lösungen der Gleichung sind. Im Unterfall reeller Koeffizienten können nicht reelle Lösungen nur paarweise komplex konjugiert auftreten, so dass es dann nur die drei Möglichkeiten mit 0, 2 oder 4 reellen Lösungen gibt.
Die vier Lösungen einer quartischen Gleichung können mit einer allgemeinen Formel, die nur die vier arithmetischen Grundoperationen und Wurzeln verwendet, aus den Koeffizienten berechnet werden. Die historisch besondere Bedeutung von Gleichungen 4. Grades beruht darauf, dass entsprechende Lösungsformeln für Gleichungen höherer Grade nicht existieren (Satz von Abel-Ruffini).
Ist und , dann lässt sich die Gleichung durch Substitution auf eine quadratische Gleichung zurückführen. Heutzutage, insbesondere in der Schulmathematik, ist es üblich, nur diese Spezialform biquadratische Gleichung zu nennen.[1]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das erste Lösungsverfahren für Gleichungen 4. Grades fand der italienische Mathematiker Lodovico Ferrari (1522–1565). Veröffentlicht wurde das Verfahren, das die Lösungen mittels der vier arithmetischen Grundoperationen und Wurzeln aus den Gleichungskoeffizienten berechnet, durch Ferraris Lehrer Gerolamo Cardano 1545 in dem Werk Ars magna de Regulis Algebraicis, in dem auch die sogenannte Cardanische Formel zur Lösung für kubischer Gleichungen erstmals publiziert wurde.
Es gibt zahlreiche Varianten von Lösungsmethoden für Gleichungen 4. Grades.[2] Eine davon geht auf Leonhard Euler zurück,[3] der sie 1738 in Sankt Petersburg publizierte, in dem Bestreben, eine allgemeine Lösungsformel auch für Gleichungen höherer Grade zu finden. Dass dies unmöglich ist, wurde von Niels Henrik Abel 1824 bewiesen (Satz von Abel-Ruffini).
Die Lösungsformeln für Gleichungen 4. Grades besitzen keinerlei Bedeutung mehr für Anwendungen, bei denen numerische Werte gesucht sind. Für solche numerischen Zwecke gibt es universelle und schneller zum Ergebnis führende Verfahren wie das Newtonverfahren. Die Bedeutung der Lösungsformeln ist beschränkt auf prinzipielle Aussagen innerhalb der algebraischen Körpertheorie.
Spezialfälle
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]B = 0 und D = 0
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Diese in der Schulmathematik häufigste Art von Gleichungen 4. Grades (biquadratische Gleichung im engeren Sinn) lässt sich relativ einfach auf eine quadratische Gleichung zurückführen. Die gegebene Gleichung
- (zunächst mit reellen Koeffizienten , und )
wird durch die Substitution zu
- .
Aus der Lösungsformel für quadratische Gleichungen erhält man zunächst
- .
Ist die Diskriminante positiv, so sind und zwei verschiedene reelle Zahlen. Ist die Diskriminante gleich null, so fallen und zusammen. Bei negativer Diskriminante gibt es keine reelle Lösung für und folglich auch keine reelle Lösung der Ausgangsgleichung.
Die reellen Lösungen der gegebenen Gleichung (maximal vier) ergeben sich aus
- ,
soweit die Wurzeln definiert, also die Radikanden bzw. nicht negativ sind.
Bei einer Gleichung mit komplexen Koeffizienten gelten die angegebenen Formeln nach wie vor. Allerdings sind dann und im Allgemeinen keine reellen Zahlen. Die Quadratwurzel ist in nicht eindeutig, es sind jeweils beide mögliche Werte zu berücksichtigen. Eine Fallunterscheidung wie im Reellen ist dann unnötig. Insgesamt hat die Gleichung in vier Lösungen, die auch zusammenfallen können.
- Beispiel (reelle Gleichung)
Aus ergeben sich die reellen Lösungen . Weil keine reelle Lösung hat, kommen in keine weiteren Lösungen dazu. Die Lösungsmenge ist .
E = 0
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In diesem Fall ist eine Lösung der Gleichung. Dann kann man den Faktor , also ausklammern und erhält die Gleichung
- .
Die Lösungen der quartischen Gleichung sind dann und die drei Lösungen der kubischen Gleichung
- .
Allgemeine Lösungsmethoden
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Normalisieren und Reduzieren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Zunächst wird die Gleichung mit der Substitution
dahingehend vereinfacht, dass der kubische Koeffizient verschwindet (Tschirnhaus-Transformation) und gleichzeitig der führende Koeffizient durch Division der gesamten Gleichung durch zu gesetzt wird.
Mit den Festlegungen
reduziert sich die Gleichung zu
- .
Am Ende der Rechnung werden die Nullstellen des Ausgangspolynoms als zurückgewonnen. Im Folgenden kann also angenommen werden, dass der Koeffizient dritten Grades Null ist.
Methode von Ferrari
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Gegeben sei die reduzierte Gleichung
mit reellen Koeffizienten , und . Beidseitige Addition von ergibt:
Durch Hinzufügung einer neuen Unbekannten soll erreicht werden, dass auf der rechten Seite das Quadrat eines Binoms steht.
Die letzte Gleichung lässt sich durch die Substitution vereinfachen.
Damit aus der rechten Seite ein vollständiges Quadrat wird, muss die Diskriminante gleich 0 sein.
Aus dieser Hilfsgleichung 3. Grades (kubische Resolventengleichung) soll ein Wert bestimmt werden, für den in der Gleichung zuvor die rechte Seite ein Quadrat wird. Die Hilfsgleichung hat mindestens eine reelle Lösung, die z. B. mit der Formel von Cardano berechnet werden kann. Es sei nun eine reelle Lösung der Hilfsgleichung. Dann lässt sich die obige Gleichung folgendermaßen umformulieren:
Unter der Voraussetzung folgt aus der Hilfsgleichung . In diesem Fall kann man die letzte Gleichung auch so schreiben:
Die ursprüngliche Gleichung 4. Grades wurde damit auf eine kubische Resolventengleichung für und zwei quadratische Gleichungen für zurückgeführt.[4][5]
Umformung in eine Differenz zweier Quadrate
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ist , so versucht man, die Gleichung als Differenz zweier vollständiger Quadrate zu schreiben. Dabei werden komplexe Parameter eingeführt. Die Darstellung als Differenz führt dann direkt zu einer Faktorisierung in quadratische Faktoren mit komplexen Koeffizienten:
Durch Vergleich mit
ergeben sich und sowie .
Damit der zweite Teil der Differenz ein vollständiges Quadrat in ist, muss die Diskriminante dieses quadratischen Terms verschwinden:
Dies ist eine kubische Gleichung in .
Aus einer der Lösungen für ergeben sich zwei quadratische Gleichungen in , die zu insgesamt vier Lösungen für bzw. dann führen.
Zusammenfassung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Insgesamt werden folgende Rechenschritte durchgeführt:
- ,
- ,
- mit
- .
Nun können die Nullstellen wie folgt berechnet werden:
und in der Variablen der ursprünglichen Gleichung
- .
Die Parameter geben das in den zwei Quadratwurzeln zu wählende Vorzeichen an, alle vier Kombinationen von und sind nötig, um die vier Lösungen zu erhalten.
Zerlegung in quadratische Faktoren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hier wird die Zerlegung in ein Produkt mit zwei quadratischen Faktoren
zurückgeführt auf die Lösung der kubischen Gleichung
- .[6]
(Bei reellen Koeffizienten und gibt es ein reelles mit .)
Mit einer Lösung dieser Gleichung errechnet sich direkt:
- (Sonderfall siehe unten)
- [7]
Im Sonderfall [8] ist die Lösung[9]
- (Falls ist, ist die Ausgangsgleichung zu lösen.)[10]
Beispiel 1: Von kommt man auf die Gleichung 3. Grades
- .
Eine Lösung ist . Daraus ergibt sich die Zerlegung:
- .
Beispiel 2: Von kommt man auf die Gleichung 3. Grades
- .
Eine Lösung ist . Daraus ergibt sich die Zerlegung:
- mit
Beispiel 3: .
Hier ist und . Es liegt der Sonderfall vor.
Methode von Lagrange
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mit dieser auf Joseph-Louis Lagrange zurückgehenden Methode kann die reduzierte Gleichung gelöst werden. Die Koeffizienten seien reelle oder komplexe Zahlen. Allgemeiner sind Koeffizienten aus einem beliebigen Körper möglich, sofern die Charakteristik ungleich 2 und ungleich 3 ist. Sind die Lösungen der reduzierten Gleichung, so werden folgendermaßen die Hilfsgrößen eingeführt.[11]
Unter Verwendung elementarsymmetrischer Polynome und des Satzes von Vieta kann gezeigt werden, dass die Lösungen der kubischen Gleichung
sind.[11] lassen sich also z. B. mit der cardanischen Formel ermitteln. Das Polynom auf der linken Seite wird als kubische Resolvente (Lagrange-Resolvente) bezeichnet.
Drei weitere Hilfsgrößen seien definiert durch:
Zur Berechnung von werden – unter Berücksichtigung von (Satz von Vieta) – folgende Gleichungen aufgestellt:
Es folgt für . Allerdings ist die Quadratwurzel in nicht eindeutig definiert, sodass zunächst acht Kombinationen dieser Quadratwurzeln denkbar wären. Die einschränkende Bedingung für die Wahl der Quadratwurzeln ist
- .[11]
Es existieren also nur vier Lösungen für das Tripel .
Die Definitionsgleichungen von , und , zusammen mit , kann man als lineares Gleichungssystem für die Unbekannten auffassen. Es ergibt sich:[11]
Im Falle reeller Koeffizienten hängen die Lösungen der Gleichung vierten Grades folgendermaßen mit den Lösungen der kubischen Resolvente zusammen:
Kubische Resolvente | Gleichung vierten Grades |
---|---|
sämtliche Lösungen reell und positiv | vier reelle Lösungen |
sämtliche Lösungen reell, eine positiv und zwei negativ | zwei Paare von zueinander komplex konjugierten Lösungen |
eine positive reelle Lösung und zwei komplexe, zueinander konjugierte Lösungen | zwei reelle und zwei konjugiert komplexe Lösungen |
Lösungsformel
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Reelle Koeffizienten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sind alle Koeffizienten reell, lassen sich Fallunterscheidungen für die möglichen Lösungen angeben. Dies beruht auf folgender Tatsache: Ist die nicht-reelle Zahl mit Nullstelle eines beliebigen Polynoms mit reellen Koeffizienten, so ist es auch die konjugiert komplexe Zahl (Beweis). Bei der Zerlegung des zugehörigen Polynoms ergibt das Produkt der beiden Faktoren
ein quadratisches Polynom mit reellen Koeffizienten, nämlich . Also lässt sich jedes Polynom mit reellen Koeffizienten unabhängig von seinem Grad in lineare und quadratische Faktoren mit reellen Koeffizienten zerlegen. Es gibt für die quartische Gleichung also drei Möglichkeiten:
- Die Gleichung hat vier reelle Lösungen. Sie zerfällt in vier Linearfaktoren mit reellen Koeffizienten.
- Die Gleichung hat zwei reelle und zwei konjugiert komplexe Lösungen. Sie zerfällt in zwei Linearfaktoren und einen quadratischen Faktor mit reellen Koeffizienten.
- Die Gleichung hat zwei Paare konjugiert komplexer Lösungen. Sie zerfällt in zwei quadratische Faktoren mit reellen Koeffizienten.
Vier reelle Lösungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unter den Lösungen können einfache Lösungen oder solche mit einer Vielfachheit oder sein (Erläuterung).
Im Einzelnen gibt es diese Möglichkeiten:
- eine Lösung mit Vielfachheit
- Beispiel: , zerlegt
- hat die vierfache Lösung .
- eine Lösung mit Vielfachheit und eine einfache Lösung
- Beispiel: , zerlegt
- hat die dreifache Lösung und die einfache Lösung .
- zwei Lösungen, jeweils mit Vielfachheit
- Beispiel: , zerlegt
- hat die zweifache Lösung und die zweifache Lösung .
- eine Lösung mit Vielfachheit und zwei einfache Lösungen
- Beispiel: , zerlegt
- hat die zweifache Lösung und die einfachen Lösungen .
- vier einfache Lösungen
- Beispiel: , zerlegt
- hat die einfachen Lösungen .
Zwei reelle und zwei konjugiert komplexe Lösungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Auch hier kann die reelle Lösung mit Vielfachheit auftreten. Es gibt also diese beiden Möglichkeiten:
- eine reelle Lösung mit Vielfachheit und zwei konjugiert komplexe Lösungen
- Beispiel: , zerlegt
- oder mit reellem quadratischem Faktor
- hat die zweifache Lösung und die konjugiert komplexen Lösungen .
- zwei einfache reelle Lösungen und zwei konjugiert komplexe Lösungen
- Beispiel: , zerlegt
- oder mit reellem quadratischem Faktor
- hat die einfachen Lösungen und die konjugiert komplexen Lösungen .
Zwei Paare konjugiert komplexer Lösungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Hier gibt es diese beiden Möglichkeiten:
- zwei konjugiert komplexe Lösungen mit Vielfachheit
- Beispiel: , zerlegt
- oder mit zwei reellen quadratischen Faktoren
- hat die zweifachen konjugiert komplexen Lösungen .
- zwei Paare einfacher konjugiert komplexer Lösungen
- Beispiel: , zerlegt
- oder mit zwei reellen quadratischen Faktoren
- hat die konjugiert komplexen Lösungen und .
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Lineare Gleichung
- Quadratische Gleichung
- Kubische Gleichung
- Lösen von Gleichungen
- Vorzeichenregel von Descartes
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Bronstein, Semendjajev: Taschenbuch der Mathematik. 22. Auflage, Verlag Harri Deutsch, Thun 1985, ISBN 3-87144-492-8.
- ↑ Ludwig Matthiessen: Grundzüge der antiken und modernen Algebra der litteralen Gleichungen. Leipzig 1896, doi:10.3931/e-rara-78944 (frei zugänglich)
- ↑ Ludwig Matthiessen: Grundzüge der antiken und modernen Algebra der litteralen Gleichungen. Leipzig 1896, doi:10.3931/e-rara-78944 (frei zugänglich), S. 552 ff.
- ↑ Ludwig Matthiessen: Grundzüge der antiken und modernen Algebra der litteralen Gleichungen. Leipzig 1878, S. 540–541.
- ↑ Frei nach Ferrari.
- ↑ Quelle: Lösungsformel von Joachim Mohr.
- ↑ Implementierbar als
w = sqrt(a^2 - 4 * u)
p = (a + w)/2
q = ((b - u) * (w + a) - 2 * c)/(2 * w)
s = (a - w)/2
t = ((b - u) * (w - a) + 2 * c)/(2 * w)
- ↑ Quelle: kilchb.de.
- ↑ In diesem Fall ist das Schaubild der Parabel vierten Grades
- .
- .
- ↑ kilchb.de.
- ↑ a b c d Christian Karpfinger, Kurt Meyberg: Algebra. 5. Auflage. Springer Spektrum, 2020, ISBN 978-3-662-61951-3, S. 452–453 (Hier wird z mit umgekehrtem Vorzeichen verwendet.).
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Jörg Bewersdorff: Algebra für Einsteiger. Von der Gleichungsauflösung zur Galois-Theorie. 6. Auflage, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-26151-1, DOI:10.1007/978-3-658-26152-8, Einführung (PDF; 319 kB).
- Johannes Beuriger: Zur Auflösung der biquadratischen Gleichungen. 1901 (Digitalisat).
- Heinrich Dörrie: Kubische und biquadratische Gleichungen. München 1948, doi:10.1515/9783486775990.
- Ludwig Matthiessen: Grundzüge der antiken und modernen Algebra der litteralen Gleichungen. Leipzig 1896, doi:10.3931/e-rara-78944 (frei zugänglich).