Rückführungsabkommen – Wikipedia

Ein Rückführungsabkommen, Rückübernahmeabkommen oder Rücknahmeabkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen zwei Ländern, der die erzwungene Rückkehr ausreisepflichtiger Personen in das Herkunftsland regelt, wenn diese nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses oder eines Personalausweises sind. Es regelt sowohl die Identifizierung als auch die Rückübernahme der betreffenden Personen.

Es kann sich auch – wie bei den EU-Rückübernahmeabkommen – um ein Abkommen zwischen einem Staatenverbund und einem anderen Staat handeln.

Von der Rückführung in den Herkunftsstaat ist die Überstellung Asylsuchender in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im sog. Dublin-Verfahren und die Zurückweisung an der Grenze in einen sicheren Drittstaat zu unterscheiden (§ 18 Abs. 2 AsylG).[1]

Politische Hintergründe

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sind Herkunftsländer an einer wirtschaftlichen und allgemeiner einer politischen Zusammenarbeit mit den Zielländern interessiert, können Verträge ausgehandelt werden, die beiden Seiten entgegenkommen. So kann zum Beispiel die Rücknahme der eigenen Staatsbürger und im Gegenzug die Gewährung von Geldern für die wirtschaftliche und technische Entwicklung, die Zusage von Visa-Kontingenten oder die Gewährung politischer Vorteile ausgehandelt werden.

Gerald Knaus, Gründer der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative, geht davon aus, dass allein schon die Existenz eines Rücknahmeabkommens die Migration und Flucht hemmt, da Menschen wissen, dass ihre Reise am Ende wieder im Herkunftsland enden kann. Als Beispiel führt er an, dass nach Abschluss einer Vereinbarung zwischen den USA und Kuba, bei der Kuba bessere Bedingungen für USA-Visa zugesprochen wurden, die Zahl der Bootsflüchtlinge, die in Richtung Florida in See stachen, drastisch gesunken sei, und zwar von über 30.000 im Jahr auf 500 im Jahr. Knaus betont, dass im Sinne einer EU-Migrationspolitik ähnliche Verhandlungen seitens der EU mit Ländern wie Nigeria, Senegal oder Gambia zu führen seien.[2]

Europäische Union

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Innerhalb von Europa fielen etliche bilaterale Rückführungsabkommen durch das Schengener Abkommen und die Regelungen nach Dublin-Verordnung weg.

Auffällig sind die Unterschiede zwischen den Rückführungsabkommen zwischen Spanien und Italien. Während Spanien (vgl. Ceuta) über keine Rückführungsabkommen verfügt, kann Italien illegale Einwanderer wieder ausweisen, wenn kein Grund zum Asyl besteht.

2012 erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass eine 2009 im Rahmen des damaligen Rückführungsabkommens mit Libyen erfolgte Rückführung der Flüchtlinge nach Tripolis die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt hatte (Fall Hirsi).

Die Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) von 2008 enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind.

EU-Rückübernahmeabkommen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Rahmen der Gemeinsamen Einwanderungspolitik kann die Union mit Drittländern Übereinkünfte über eine Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen in ihr Ursprungs- oder Herkunftsland schließen, die die Voraussetzungen für die Einreise in das Hoheitsgebiet eines der Mitgliedstaaten oder die Anwesenheit oder den Aufenthalt in diesem Gebiet nicht oder nicht mehr erfüllen (Art. 79 Abs. 3 AEUV).

EU-Rückübernahmeabkommen (EU-RÜA) verpflichten die Vertragsparteien zur Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen sowie – unter bestimmten Bedingungen – von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen. Sie legen zudem Regeln für die Durchführung der Rückführung fest.

Bis zum Februar 2018 sind von der EU auf der Grundlage von Art. 79 Abs. 3 AEUV siebzehn Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten abgeschlossen worden:[3] Das mit Kasachstan am 10. Dezember 2009 geschlossene Abkommen ist bislang noch nicht in Kraft getreten.[4]

Drittstaat Inkrafttreten
Hongkong 1. März 2004
Macau 1. Juni 2004
Sri Lanka 1. Mai 2005
Albanien 1. Mai 2006
Russland 1. Juni 2007
Ukraine 1. Januar 2008
Mazedonien 1. Januar 2008
Bosnien und Herzegowina 1. Januar 2008
Montenegro 1. Januar 2008
Serbien 1. Januar 2008
Moldau 1. Januar 2008
Pakistan 1. Dezember 2010
Armenien 1. März 2011
Georgien 1. Januar 2014
Aserbaidschan 1. September 2014
Türkei 1. Oktober 2014
Kap Verde 1. Dezember 2014

Der Rat der Europäischen Union hat der Europäischen Kommission Mandate für die Verhandlung weiterer Rückübernahmeabkommen erteilt. Konkrete Verhandlungen laufen bereits mit Marokko, China, Tunesien und Nigeria.[5] Sie sind bisher noch nicht abgeschlossen worden. Mit den Staaten Algerien und Jordanien, für die die Kommission ebenfalls Verhandlungsmandate erhalten hat, laufen derzeit keine Verhandlungen.[5]

EU-RÜA haben Vorrang vor bilateralen Abkommen. Bilaterale Abkommen gelten entsprechend nur, insoweit sie nicht im Widerspruch zu den EU-RÜA stehen und die EU-RÜA Regelungslücken lassen.

Zusätzlich zu Rückübernahmeabkommen hat die EU mit einigen Drittländern Rückkehrvereinbarungen geschlossen, mit denen – so der Europäische Rat und der Rat der Europäischen Union – „dasselbe Ziel verfolgt wird“.[6]

Im Entwurf der Abschlusserklärung des EU-Gipfels vom Oktober 2017 hieß es, „alle relevanten EU-Politiken, Instrumente und Werkzeuge“ seien als „Hebel“ für die Verhinderung illegaler Migration und die Rückführung irregulärer Migranten zu mobilisieren.[7] Umgekehrt haben Drittstaaten in Verhandlungen um EU-Rücknahmeübereinkommen Visaliberalisierungen und Tourismus- und Migrationsmöglichkeiten verlangt.[8] Es hat auch Überlegungen zu Sanktionen seitens der EU-Staaten gegeben, um Drittstaaten zu einer Zusammenarbeit zu bewegen.[9]

Bestimmungen über die Aufenthaltsbeendigung (Ausweisung und Abschiebung) finden sich im Aufenthaltsgesetz (§§ 50 ff. AufenthG) und im Asylgesetz (§§ 34 ff. AsylG). Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) sollen die nationalen „gesetzlichen Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren, angepasst werden.“[10] Der entsprechende Gesetzentwurf wurde am 18. Januar 2024 abschließend im Deutschen Bundestag beraten.[11] Die Änderungen traten am 27. Februar 2024 in Kraft.[12]

Es entspricht internationalen Standards, dass für die Einreise in ein Land gültige Reisedokumente erforderlich sind. Besitzen Ausreisepflichtige keine Ausweispapiere, müssen die deutschen Behörden zunächst die Staatsangehörigkeit klären und Passersatzpapiere beschaffen. Dabei sind sie auf die Kooperation mit den Herkunftsländern angewiesen. Die in den letzten Jahren geschlossenen bilateralen Rücknahmeabkommen Deutschlands enthalten in der Regel die an bestimmte Voraussetzungen geknüpfte Verpflichtung zur Übernahme und Durchbeförderung von ausreisepflichtigen Personen, die nicht Staatsangehörige der jeweiligen Vertragspartner sind (Drittstaatsangehörige und staatenlose Personen).[13]

Deutschland hat mit folgenden Ländern bilaterale Rückführungsabkommen vereinbart:[5]

Drittstaat Inkrafttreten
Albanien 1. August 2003
Algerien 12. Mai 2006
Armenien 20. April 2008
Benelux 1. Juli 1966
Bosnien und Herzegowina 14. Januar 1997
Bulgarien 1. Mai 2006
Dänemark 1. Juni 1956
Estland 1. März 1999
Frankreich 1. Juli 2005
Georgien 1. Januar 2008
Guinea 6. Februar 2019
Kasachstan 1. Juni 2016
Kroatien 14. November 2012
Kosovo 1. September 2010
Lettland 1. Februar 1999
Litauen 1. Februar 2000
Marokko 1. Juni 1998
Nordmazedonien 1. Mai 2004
Norwegen 18. März 1955
Österreich 15. Januar 1998
Rumänien 1. November 1992
Rumänien (Rückübernahme von Staatenlosen) 1. Februar 1999
Schweden 1. Juni 1954
Schweiz 1. Februar 1994 (Anwendung seit 1. Februar 1996)
Serbien 1. April 2003
Slowakei 20. Mai 2003
Südkorea 22. März 2005
Syrien 3. Januar 2009
Tschechien 1. Januar 1995
Ungarn 1. Januar 1999
Vietnam 21. September 1995

Durchbeförderungsabkommen bei zwangsweiser Rückführung bestehen mit Albanien, Nordmazedonien und Polen.[5]

Die deutsche Bundesregierung wies im Dezember 2018 darauf hin, dass die Bedeutung von Rückübernahmeabkommen nicht überhöht werden dürfe. Die völkerrechtliche Verpflichtung aller Staaten, ihre eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen, bestehe ohnehin. Der Erfolg von Rückführungsmaßnahmen hänge letztendlich von der Einhaltung und der praktischen Umsetzung solcher Vereinbarungen auf Arbeitsebene ab.[14]

Im Jahr 2023 wurde das Amt des Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen geschaffen, zu dessen Aufgaben der Abschluss von Migrationsabkommen zählt.[15] Das Ziel solcher Abkommen ist weniger die Rückführung bereits in Deutschland illegal befindlicher Personen als vielmehr die Reduzierung der irregulären und Förderung der regulären Migration.[5] Ein deutsch-indisches Migrationsabkommen „zur Förderung der Mobilität von Studierenden, Auszubildenden und Fachkräften sowie zur gemeinsamen Bekämpfung irregulärer Migration und zur Rückführung nach klaren Verfahren“ wurde im Dezember 2022 unterzeichnet.[16]

Das Protokoll zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksrepublik Algerien über die Identifizierung und die Rückübernahme[17] enthält beispielsweise folgende Bestimmungen:

Die algerischen Behörden verpflichten sich, algerische Staatsangehörige, die sich illegal auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, ohne besondere Formalitäten selbst dann zu übernehmen, wenn diese nicht im Besitz eines gültigen Reisepasses oder eines Personalausweises sind, unter der Voraussetzung, dass die algerische Staatsangehörigkeit dieser Personen dennoch nachgewiesen oder zumindest glaubhaft gemacht wird.

Zum Nachweis der algerischen Staatsangehörigkeit sind etwa ein abgelaufener algerischer Personalausweis und/oder Reisepass sowie eine Fotokopie oder ein Militärausweis (Wehrpass) geeignet, zur Glaubhaftmachung z. B. ein von einer algerischen Behörde ausgestellten algerischer Führerschein oder eine Fotokopie desselben.

Fehlen derartige Unterlagen, ist eine Anhörung der betreffenden Person in der Justizvollzugs- oder Abschiebehaftanstalt durch die algerischen Konsularbehörden vorgesehen. Bestätigt diese die algerische Staatsangehörigkeit oder begründet zumindest die „nachhaltige Vermutung“, wird die algerische konsularische Vertretung unverzüglich ein Heimreisedokument (laissez-passer) ausstellen.

Die Rückführung wird in der Regel auf dem Luftweg durchgeführt. Das Heimreisedokument wird daher der rückzuführenden Person von den zuständigen deutschen Behörden entweder zum Zeitpunkt ihres Eincheckens an einem deutschen Flughafen oder bei der Ankunft am Bestimmungsort (Flughäfen in Algier, Oran oder Constatine) ausgehändigt.

Können sich die algerischen Konsularbehörden nicht von der algerischen Staatsangehörigkeit überzeugen, nimmt die deutsche Seite diese Person unverzüglich und ohne Formalitäten wieder zurück.

Für eine zu Unrecht verweigerte Rücknahme sieht das Abkommen allerdings keine Sanktionen vor.[18]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. vgl. Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze aus nationaler Perspektive. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Ausarbeitung vom 10. Juli 2018.
  2. Gerald Knaus im Gespräch mit Martin Zagatta: „Ein Signal, sich gar nicht erst auf die Reise zu begeben“. In: Deutschlandfunk. 29. Juli 2017, abgerufen am 30. Juli 2018.
  3. Return & readmission. Europäische Kommission, abgerufen am 1. Dezember 2018 (englisch).
  4. Rückübernahmeabkommen sowie Vereinbarungen über die Rückführung und Rückübernahme zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand vom 30. Januar 2020.
  5. a b c d e Bundesministerium des Innern: Abkommen zur Erleichterung der Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer Stand: Januar 2023. Abgerufen am 23. November 2023.
  6. Abschnitt „EU‑Rückkehrpolitik und Rückübernahmeabkommen“. In: Migrations- und Asylpolitik der EU: Wie die EU Migrationsbewegungen steuert. Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union, 9. Februar 2023, abgerufen am 23. Juli 2023.
  7. EU will mit Entwicklungspolitik Druck auf Entwicklungsländer ausüben. In: MiGAZIN. Abgerufen am 23. September 2018.
  8. Stand der Rücknahmeübereinkommen. In: migrationsrecht.net. Abgerufen am 23. September 2018.
  9. Florian Wolf: Rückübernahmeabkommen der Europäischen Union mit Drittstaaten, Universitätsverlag Halle-Wittenberg, 2008, ISBN 978-3-86977-183-0. Zusammenfassung.
  10. vgl. Gesetz zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz). DIP, abgerufen am 19. Januar 2024.
  11. Rückführungsverbesserungsgesetz im Bundestag beschlossen. Bundesministerium des Innern und für Heimat, 18. Januar 2024.
  12. Bundesgesetzblatt Teil I - Gesetz zur Verbesserung der Rückführung - Bundesgesetzblatt. Abgerufen am 26. Februar 2024.
  13. Rückkehr und Rückführungen. Bundesministerium des Innern und für Heimat, abgerufen am 22. November 2023.
  14. Wirksamkeit von Rückübernahmeabkommen. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Linda Teuteberg, Stephan Thomae, Grigorios Aggelidis, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Drucksache 19/5671, BT-Drs. 19/6372, 11. Dezember 2018.
  15. Migration: Bevollmächtigter nimmt Arbeit auf. In: bundesregierung.de. 1. Februar 2023, abgerufen am 9. Juni 2023.
  16. unterzeichnetDeutsch-indisches Migrationsabkommen unterzeichnet. Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums, vom 5. Dezember 2022.
  17. BGBl. 2004 II S. 16, 17.
  18. vgl. Christian Rath: Abschiebung mit Rücknahmeabkommen: In der Praxis gar nicht so einfach. taz, 18. Januar 2016.