Nebenhaushalt – Wikipedia
Nebenhaushalt (volkswirtschaftlich Extrahaushalt, engl. Extra Budget) ist ein finanzwissenschaftlicher Sammelbegriff für öffentliche Fonds, Einrichtungen und Unternehmen (FEUs), die zwar finanzwirtschaftlich aus dem Haushalt (Kernhaushalt) der betreffenden öffentlichen Gebietskörperschaft ausgegliedert, ihr aber wirtschaftlich zuzurechnen sind. Darunter fallen z. B. kommunale Eigenbetriebe, Landesbetriebe, Bundesbetriebe, Sondervermögen, juristische Personen des öffentlichen Rechts sowie Beteiligungen der öffentlichen Hand an privatrechtlichen Unternehmen wie Aktiengesellschaften oder GmbHs.[1]
Sie werden nach dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen dem Sektor Staat zugerechnet.[2][3]
Nebenhaushalte des Bundes
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nebenhaushalte des Bundes sind vom Bund mit eigener Finanz- und Haushaltshoheit ausgestattete Institutionen, die staatliche Aufgaben in dessen Auftrag mit
- öffentlichen Mitteln,
- Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt oder
- vom Bund eröffneten erwerbswirtschaftlichen Mitteln
wahrnehmen.
Dabei wird unterschieden, ob die jeweiligen Nebenhaushalte explizit in der Verfassung zugelassen sind (Art. 110 Abs. 1 Satz 1 HS 2 GG: Bundesbetriebe und Sondervermögen)[4] oder nicht (materielle Nebenhaushalte: die übrigen abgeleiteten Nebenhaushalte).
Kritik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Kritisiert werden Nebenhaushalte, da sie durch ihre Stellung neben dem Zentralhaushalt einen Teil der Finanzmittel des Bundes der parlamentarischen Kontrolle entziehen können (sog. Budgetflucht) und dies mitunter einen erheblichen Teil ausmachte.[5][6] Der Finanzwissenschaftler vom Institut für Weltwirtschaft Alfred Boss kritisierte, dass die Bildung eines Sondervermögens „Investitions- und Tilgungsfonds“ gemäß dem Zukunftsinvestitionsgesetz „dem Geist, der zur Einführung der Schuldenbremse in das Grundgesetz geführt hat“, widerspreche.[7] Auch die Deutsche Einheit 1990 wurde in den ersten Jahren über ein Sondervermögen als einen verschuldeten Nebenhaushalt finanziert (Fonds Deutsche Einheit).
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Michael Kilian: Nebenhaushalte des Bundes. Duncker & Humblot, Berlin 1993. Leseprobe.
- Kerstin Burmeister: Ausserbudgetäre Aktivitäten des Bundes. Peter Lang, Köln 1997.
- Helko Ueberschär: Haushalte ohne Kontrolle: Nebenhaushalte in der Finanzverfassung. Tectum Verlag, Marburg 2007.
- Karolin Herrmann: Kommunale Schattenhaushalte. KBI, Berlin 2012.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Statistisches Bundesamt: Liste der Extrahaushalte 2021. (xlsx, 287 KB, Datei nicht barrierefrei).
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Andreas Burth, Marc Gnädinger: Nebenhaushalt. Abgerufen am 1. März 2022.
- ↑ vgl. Dieter Brümmerhoff: Der Staat in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen - Ein neues System, alte und neue ungelöste Fragen. Universität Rostock, 2000.
- ↑ Extrahaushalte, Extra budgets. In: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Finanzen und Steuern. Fachbegriffe der Finanz- und Personalstatistiken, 2019, S. 6 f.: Prüfschema für die Zuordnung zum Sektor Staat.
- ↑ Reimer, in: Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (Stand: 1. Juni 2010), Art. 110 Rn. 24.
- ↑ vgl. Thomas Puhl: Budgetflucht und Haushaltsverfassung. Heidelberg, Univ.-Diss. 1995. Leseprobe.
- ↑ vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2011 – 2 BvE 3/08 Rz. 29.
- ↑ „Buchungstricks“ statt Schuldenbremse, F.A.Z. vom 21. Oktober 2009