Scheinbewegung – Wikipedia

Strobiskopische Bewegung beim Phenakistiskop

Die Bezeichnung Scheinbewegung (engl. apparent motion oder apparent movement) steht im weiteren Sinne für die Wahrnehmung von Bewegung bei Objekten, die sich im physikalischen Sinne nicht wirklich bewegen. Es handelt sich also um eine Bewegungstäuschung. Im engeren Sinne ist damit die Stroboskopische Bewegung – auch Beta-Bewegung genannt – gemeint. Dabei handelt es sich um die Bewegungswahrnehmung bei Betrachtung einer Folge von leicht variierten Einzelbildern.[1]

Neben diesen alltäglichen Scheinbewegungen gibt es auch eine als Oszillopsie bezeichnete Störung der visuellen Wahrnehmung, bei der die Umwelt für den Betrachter verwackelt erscheint, vor allem beim Fixieren von Objekten oder während er sich selbst bewegt.[2]

Auf diskreten Reizen basierende Wahrnehmung von Scheinbewegung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine besondere Bedeutung haben Formen von Scheinbewegungen, bei denen eigentlich diskrete Bewegungsreize als kontinuierliche Bewegung wahrgenommen werden, weil dies unter anderem die Grundlage der realitätsnahen Bewegungswahrnehmung beim Film darstellt.

Dass durch das sukzessive Aufleuchten zweier nahe beieinander liegender Funken der Eindruck einer Bewegung entstehen kann, wurde 1875 von Siegfried Exner beschrieben.[3][4] Anfang des 20. Jahrhunderts analysierte Max Wertheimer detailliert die Bewegungswahrnehmung basierend auf zwei nacheinander dargebotenen Reizen und er dokumentierte, unter welchen Bedingungen eine „optimale Bewegung“ wahrgenommen werden kann. Außerdem beschrieb er eine schattenartige, objektlose Bewegung, die unter bestimmten Bedingungen von seinen Versuchspersonen wahrgenommen wurde. Letzteres wird heute meist als Phi-Phänomen bezeichnet. Wertheimer bezog die Bezeichnung „Phi-Bewegung“ aber eigentlich auf alle von ihm untersuchten Scheinbewegungen, also auch auf die „optimale Bewegung“,[1] die unter gewissen Voraussetzungen nicht von einer realen Bewegung zu unterscheiden sei, wie er nachwies.[5]

Für die „optimale Bewegung“ wurde später durch Friedrich Kenkel die Bezeichnung Beta-Bewegung eingeführt. Er unterschied diese damit von einer Variante, bei der zusätzlich eine optische Täuschung wie die Müller-Lyer-Illusion im Spiel ist, diese Variante nannte er Alpha-Bewegung. Für weitere sehr spezielle Versuchsanordnungen wurden später noch die griechischen Buchstaben Gamma (γ), Delta (δ) und Epsilon (ε) eingeführt.[6] Größere Bedeutung erlangt und bis heute überdauert hat davon nur die Bezeichnung „Beta-Bewegung“.[7] die häufig synonym mit der Bezeichnung „Stroboskopische Bewegung“ gebraucht wird.[8]

Für die stroboskopische Bewegung wurde Ende des 20. Jahrhunderts Wertheimers These bestätigt, dass es sich dabei unter gewissen Voraussetzungen um eine zur realen Bewegung analoge Wahrnehmung handelt. Und zwar gilt dies dann, wenn der Sehwinkelabstand zweier aufeinanderfolgender diskreter Reize relativ klein ist. Dies wurde als Short-Range-Apparent-Movement bezeichnet, um es von einem Long-Range-Apparent-Movement zu unterschieden, bei dem anscheinend höhere kognitive Prozesse beteiligt sind.[9][10]

Weitere Formen von Scheinbewegung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch Täuschungen, denen eine Vertauschung von bewegtem und stationärem Objekt zugrunde liegt, werden als Scheinbewegungen bezeichnet. Hierunter fällt beispielsweise die scheinbar vorbeifliegende Landschaft beim Blick aus dem Fenster eines fahrenden Zuges.[11] Auch der gegenteilige Effekt, der als Vektion bezeichnet wird, kann eintreten: Beispielsweise wenn in einem Bahnhof der Zug auf dem Nachbargleis sich in Bewegung setzt, kann der Eindruck entstehen, der eigene Zug fahre in die entgegengesetzte Richtung.[12]

Auch den sogenannten Daumensprung kann man als Scheinbewegung bezeichnen. Wenn man seinen Daumen nahe vor das Gesicht hält und abwechselnd das linke und das rechte Auge schließt, scheint der Daumen hin und her zu springen. Dieser Effekt entsteht durch den Wechsel des Blickwinkels, wodurch sich das anvisierte Objekt scheinbar vor dem weiter entfernten Hintergrund bewegt, analog der Parallaxe.[12]

Die Wahrnehmung von Scheinbewegungen ist auch aufgrund sogenannter Bewegungsnacheffekte möglich. Ähnlich den Nachbildern auf der Netzhaut kann es zur Wahrnehmung einer Gegenbewegung kommen, wenn man etwa 30 Sekunden lang einen intensiven, gleichförmigen Bewegungsreiz ausgesetzt war und anschließend ein stationäres Objekt betrachtet. Den Effekt kann man nach längerer Betrachtung eines Wasserfalls wahrnehmen, weshalb man auch von der Wasserfall-Illusion spricht.[13]

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b Scheinbewegung. In: Dorsch, Lexikon der Psychologie, Hogrefe Verlag, Bern. M. A. Wirtz, abgerufen am 8. Mai 2019.
  2. Frank Thömke: Augenbewegungsstörungen: Ein klinischer Leitfaden für Neurologen. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-13-128742-7, S. 179 (Google books).
  3. Walter S. Neff: A Critical Investigation of the Visual Apprehension of Movement. In: The American Journal of Psychology. University of Illinois Press, Band 48, Nummer 1, 1936, S 1–42 (JSTOR:1415551).
  4. Siegmund Exner: Über das Sehen von Bewegungen und die Theorie des zusammengesetzten Auges. In: Sitzungsberichte der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, III. Abtheilung: Physiologie, Anatomie und theoretischen Medicin. Band 72, S. 156–190., 1875 (hdl:2027/coo.31924063807345).
  5. Max Wertheimer: Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. Zeitschrift für Psychologie, Band 61, 1912, S. 161–265 (online (Memento des Originals vom 23. November 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/gestalttheory.net, PDF 8,61 MB).
  6. Howard C. Warren: Dictionary of Psychology. Routledge Revivals. New York 2018, ISBN 1-138-61628-1, S. 54 (Google books). Zuerst veröffentlicht im Jahr 1935 von George Allen & Unwin Ltd.
  7. Robert M. Steinman, Zygmunt Pizlob, Filip J. Pizlob: Phi is not beta, and why Wertheimer’s discovery launched the Gestalt revolution. In: Vision Research. Band 40, 2000, S. 2257–2264 (PMID 10927113).
  8. Andrew M. Colman: A Dictionary of Psychology. 4th Edition, Oxford University Press, Oxford 2015, ISBN 978-0-19-965768-1, S. 87 (Google books).
  9. Joseph und Barbara Anderson: The Myth of Persistence of Vision Revisited. In: Journal of Film and Video. Band 45, Nummer 1, 1993, S. 3–12 (JSTOR:20687993).
  10. Axel Larsen, Joyce E. Farrell, Claus Bundesen: Short- and long-range processes in visual apparent movement. In: Psychological Research. Band 45, Nummer 1, 1983, S. 11–18 (online).
  11. Kerstin Witte: Grundlagen der Sportmotorik im Bachelorstudium. Springer Spektrum, Berlin 2018, ISBN 978-3-662-57867-4, S. 66 (Google books).
  12. a b F. Schmidt; Gerhard Thews (Hrsg.): Physiologie des Menschen. 25. Auflage. Springer Verlag, Berlin 1993, ISBN 978-3-540-57104-9, S. 281 (Google books).
  13. Herbert Hagendorf, Joseph Krummenacher, Hermann-Joseph Müller, Torsten Schubert: Wahrnehmung und Aufmerksamkeit: allgemeine Psychologie für Bachelor. Springer Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-642-12709-0, S. 87 (Google books).