Schweizer Schule Neapel – Wikipedia
Die Schweizer Schule Neapel – Scuola Svizzera di Napoli – war eine Auslandschweizerschule, die im 19. Jahrhundert gegründet und 1984 geschlossen wurde.
Gemeindeschule der evangelischen deutschen Gemeinde
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im 19. Jahrhundert lebten wohlhabende Schweizer Kaufleute, Unternehmer, Spediteure und Bankiers in Neapel.[1] Sie gründeten ihre eigenen Institutionen, unter anderem im Jahre 1839 die Gemeindeschule der evangelischen deutschen (d. h. deutschsprachigen) Gemeinde, nachdem der Initiant, Pastor L. Vallette, die Erlaubnis erhalten hatte, die erste evangelische Schule in Neapel zu gründen.[2] Zuvor hatte bereits unter König Joachim Murat 1811 Georg Franz Hofmann, ein Mitarbeiter Pestalozzis, ein internationales, überkonfessionelles Knabeninstitut eröffnet, das aber 1816 der bourbonischen Reaktion zum Opfer gefallen war.[3] Der evangelischen Gemeinde gehörten mehrheitlich Schweizer und Deutsche an, und die Schule stand ihren Kindern offen. Nach der Einigung Italiens durften auch italienische Kinder die evangelische Gemeindeschule besuchen.[4][5] Bis 1866 befand sie sich in den Räumlichkeiten der Preussischen Gesandtschaft an der Via Cappella Vecchia.
Von der Internationalen Schule der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache zur Schweizer Schule
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahre 1866 traten die französischsprachigen Mitglieder aus der evangelischen Gemeinde aus und gründeten ihre eigene Gemeinde. Die Schule zog darauf unter dem Namen Internationale Schule der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache an die Via Egiziaca in Pizzofalcone um.[6] Die Schule wurde stetig erweitert und zählte 1933 zehn Klassen.[7] Die Schule war gemeinhin auch als auch Deutsche Schule bekannt, was sich nicht auf das Land, sondern auf die Sprache bezog. Trotzdem wurde diese Bezeichnung im Ersten Weltkrieg zur Belastung.[8] Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Schule in Schweizer Schule umbenannt, nachdem die deutschen Lehrer und Schüler mit ihren Familien Italien verlassen hatten; zudem musste auf Wunsch der italienischen Behörden die Direktion ausgewechselt und durch Schweizer Personal ersetzt werden.[9]
Schülerstatistik und Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Schülerzahl war im Laufe der Jahre grossen Schwankungen unterworfen. Im Jahre 1866 besuchten 88 Schüler die Schule. 1884 zählte die Schule bereits 146 Schüler.[10] 1887 wurden reine Mädchen- und reine Knabenklassen eingerichtet. Während der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts schwankte die Schülerzahl zwischen 170 und 200.[11] Im Schuljahr 1905/1906 besuchten 98 Jungen und 62 Mädchen die Schule. Die Schülerschaft setzte sich wie folgt zusammen: 43 Deutsche, 28 Schweizer, 5 Österreicher, ein Däne und 81 Italiener.[12] Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs zählte die Schule 180 Schüler, die Hälfte davon Schweizer und Deutsche.[13] Parallel zum Rückgang der deutschsprachigen Gemeinde, die die Schule finanziell getragen hatte, ging während des Krieges auch die Zahl der deutschsprachigen Schüler zurück.[14]
Die Scuola Svizzera di Napoli im 20. Jahrhundert
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am Ende des Ersten Weltkrieges zählte die deutschsprachige evangelische Gemeinde nur noch 68 Mitglieder und wies eine defizitäre finanzielle Situation vor.[15] Zu diesem Zeitpunkt stellten die Schüler italienischer Nationalität die zahlenmässig grösste Gruppe dar, ein Umstand, der die weitere Entwicklung in den folgenden Jahrzehnten bis hin zur Schliessung der Schule in den 1980er Jahren prägen sollte. In der Schule wurde Deutsch zur Fremdsprache.[16]
Nach Kriegsende erhielt die Schweizerschule in Neapel, wie andere Auslandschweizerschulen auch, erstmals einen Unterstützungsbeitrag seitens des Bundes. Trotzdem blieb die Finanzlage der Schule prekär, und es wurden zunehmend Kinder italienischer Nationalität aufgenommen, wodurch der schweizerische Charakter der Schule allmählich zurückging.
Von 1923 bis 1927 stand der Germanist Jakob Job als Direktor der Schweizerschule Neapel vor.
Von 1933 bis 1967 befand sich die Schweizerschule an der Piazza Amedeo. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zählte die Schule 176 Schüler, davon 120 Italiener und nur 30 Schweizer.[17] Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden erneut sehr viele italienische Kinder aufgenommen und die Lehrpläne einer Revision unterzogen; Italienisch wurde zur Unterrichtssprache.[18][19] Im Jahre 1965 wurde ein neues, geräumiges Schulhaus an der Via Manzoni eingeweiht.[20] Eine Plastik von Bernhard Luginbühl zierte den Schulhof.[21] Zugleich ging in jenen Jahren die Zahl der Schweizerschüler immer mehr zurück.[22] Im Jahre 1967 betrug ihr Anteil nur noch 20 %.[23] Der Bund entzog der Schule die Bundessubvention, was 1984 zur Schliessung der Schule führte.
Bekannte Schüler
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Reinhard Dohrn (1880–1962), deutscher Zoologe, Leiter der Zoologischen Station Neapel, Bruder von Wolf und Harald Dohrn
- Harald Dohrn (1885–1945, erschossen) und Wolf Dohrn (1878–1914) hatten 1912 die Leitung des Festspielhauses Hellerau bei Dresden inne
- Blaise Cendrars (1887–1961) (eigentlich Frédéric Louis Sauser), Schweizer Schriftsteller.[24]
- Georges Sauser (1884–1966), Schweizer Jurist, Universitätsprofessor, Bruder von Blaise Cendrars.[25]
- Guido Miescher (1887–1961), Schweizer Dermatologe und Professor an der Universität Zürich.[26]
- Erich Rothacker (1888–1965), deutscher Philosoph und Soziologe, NSDAP-Mitglied.[27]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Walter Baumgartner, Die Schweizerschulen im Ausland. In: Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen 42/1956 (1957)
- Daniela Luigia Caglioti, Vite parallele. Una minoranza protestante nell'Italia dell'800, Bologna 2006 (Il Mulino)
- Tindaro Gatani, I rapporti italo-svizzeri attraverso i secoli – Gli svizzeri a Napoli, Zürich 1996
- F.-E. Horneffer, Souvenirs de l'Ecole Internationale à Naples. Sa fondation et son développement de 1879 à 1895, Genève 1896
- Jakob Job, Aus der Geschichte der Schweizerkolonie in Neapel, Genf 1932
- Jakob Job, Schulleben in Neapel, Zürich 1935 (Gute Schriften)
- Fritz Kübler, Auslandschweizerschulen unter der Lupe, Zürich 1983 (Sonderdruck Tages-Anzeiger)
- Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967
- Ernst Schubert, Aus der Geschichte der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Neapel zu ihrem 100jährigen Jubiläum 1926 (im Auftrage des Gemeindevorstandes verfasst), Neapel 1926 (Verlag von Richter, Neapel)
- Elio Varriale, Svizzeri nella storia di Napoli, Neapel 1998
- Enrico von Arx, Istruzione elvetica a Napoli. La scuola svizzera dalle origini ad oggi. In: Arte e Storia, La presenza svizzera a Napoli, 29/2006, S. 94–98.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Fritz Kübler, Auslandschweizerschulen unter der Lupe, Zürich 1983 (Sonderdruck Tages-Anzeiger), S. 23.
- ↑ Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967, S. 5.
- ↑ Beiträge zur Kulturgeschichte Neapels. In Erzählungen der Schicksale der Erziehungs- und Bildungsanstalt des Georg Franz Hofmann. Heinrich Remigius Sauerländer, Aarau 1823 (Digitalisat ).
- ↑ Walter Baumgartner, Die Schweizerschulen im Ausland. In: Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen 42/1956 (1957), S. 50.
- ↑ Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967, S. 6.
- ↑ Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967, S. 6
- ↑ Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967, S. 8
- ↑ Walter Baumgartner, Unsere Auslandschweizerschulen (1951) (Separatabdruck aus der Wochenzeitschrift "Schweizer Jugend", Nr. 33/1951, 44/1951 und 15/1952, S. 22–23)
- ↑ Tindaro Gatani, I rapporti italo-svizzeri attraverso i secoli - Gli svizzeri a Napoli, Zurigo 1996, S. 105–107.
- ↑ Tindaro Gatani, I rapporti italo-svizzeri attraverso i secoli - Gli svizzeri a Napoli, Zurigo 1996, S. 105
- ↑ Ernst Schubert, Aus der Geschichte der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Neapel zu ihrem 100jährigen Jubiläum 1926 (im Auftrage des Gemeindevorstandes verfasst), Neapel 1926 (Verlag von Richter, Neapel), S. 127
- ↑ Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967, S. 9
- ↑ Tindaro Gatani, I rapporti italo-svizzeri attraverso i secoli - Gli svizzeri a Napoli, Zurigo 1996, S. 105
- ↑ Tindaro Gatani, I rapporti italo-svizzeri attraverso i secoli - Gli svizzeri a Napoli, Zurigo 1996, S. 106
- ↑ Vgl. Ernst Schubert, Aus der Geschichte der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Neapel zu ihrem 100jährigen Jubiläum 1926 (im Auftrage des Gemeindevorstandes verfasst), Neapel 1926 (Verlag von Richter, Neapel), S. 136
- ↑ Ernst Schubert, Aus der Geschichte der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in Neapel zu ihrem 100jährigen Jubiläum 1926 (im Auftrage des Gemeindevorstandes verfasst), Neapel 1926 (Verlag von Richter, Neapel), S. 135
- ↑ Tindaro Gatani, I rapporti italo-svizzeri attraverso i secoli - Gli svizzeri a Napoli, Zurigo 1996, S. 112
- ↑ Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967, S. 11
- ↑ Walter Baumgartner, Die Schweizerschulen im Ausland. In: Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen 42/1956 (1957), S. 51
- ↑ Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967, S. 12
- ↑ Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967, S. 16
- ↑ So schrieb Walter Baumgartner, der Präsident des Hilfskomitees für Auslandschweizerschulen, im Jahre 1956: „Leider ist an einigen Schulen das numerische Verhältnis zwischen Schweizern und Nichtschweizern ziemlich stark gestört worden. Es liegen aber immer besondere Gründe für die spezielle Lage vor. So hat zum Beispiel die Schweizerkolonie in Neapel seit der Zwischenkriegszeit zahlenmässig schwere Einbussen erlebt. Das hängt mit dem wirtschaftlichen Rückgang des italienischen Südens zusammen. Einst grosse Industrie- und Wirtschaftsunternehmungen in Neapel sind zusammengebrochen.“ Vgl. Walter Baumgartner, Die Schweizerschulen im Ausland. In: Archiv für das schweizerische Unterrichtswesen 42/1956 (1957), S. 39
- ↑ Schweizerschule Neapel (Hrsg.), Scuola svizzera, Neapel 1967, S. 27
- ↑ Jean-Carlo Flückiger: Blaise Cendrars. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 5. Juli 2005, abgerufen am 26. Juni 2019.
- ↑ Eric Flury-Dasen: Georges Sauser-Hall. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 13. Januar 2012, abgerufen am 26. Juni 2019.
- ↑ Michael L. Geiges: Guido Miescher. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 12. November 2008, abgerufen am 26. Juni 2019.
- ↑ Die Namen sind dem Werk von F.-E. Horneffer, Souvenirs de l'Ecole Internationale à Naples. Sa fondation et son développement de 1879 à 1895, entnommen.