Sintitikes – Wikipedia

Sintitikes
Sprecher 195.200
Linguistische
Klassifikation
Sprachcodes
ISO 639-1

ISO 639-2

ISO 639-3

rmo

Sintitikes ist eine Sprache der Sinti. Im Laufe der Jahrhunderte hat Sintitikes viele Elemente seiner mittel- und osteuropäischen Kontaktsprachen angenommen. Es lässt sich in mehrere Dialekte einteilen.

Bezeichnung

Sinti nennen die Sprache Romenes, was man auch leicht mit dem RomAnes der Roma verwechseln kann.[1]

Seit den 1990er-Jahren bezeichnet die Linguistik die Sprache der Sinti meist als Sintitikes, was der Eigenbezeichnung durch Angehörige dieses Volkes in oder aus Österreich[2] und Osteuropa, wie Serbien, Kroatien und Slowenien, aber auch Rumänien entspricht, die in diesem Raum eine Minderheit neben Roma bilden. Angesichts der deutlichen Grenzziehung von Sinti gegenüber anderen Gruppen der Roma kann dies der schärferen Abgrenzung dienen.[3]

Alternative Bezeichnungen sind Sintèngeri/o Ràkipen oder das nur selten auftretende Sintìkanes[4] (siehe auch das unter Sinti verbreitete Gàdžkanes für Deutsch (eigentlich: Sprache der Gâdže ,Nichtroma, Bauer‘)).[5] Üblich ist es auch, in Abgrenzung zu Nichtsinti einfach von mâro Ràkipen (,unsere Sprache‘) zu sprechen.

Als wissenschaftliche Bezeichnungen fungieren ferner Sinti-Romanes, Sinti-Romani, Sinte-Romani und – im Englischen – einfach die Kurzform (in) Sinti.

Tabuisierung

Gegen die Erforschung und Weitergabe ihrer Sprache durch und an Nichtsinti erheben viele Angehörige der Minderheit Einwände, denn anders als bei anderen Romagruppen ist jede Kommunikation mit Nichtsinti über ihre Sprache bei traditionalistischen Sinti tabuisiert.[6] Sie gilt als Schutz. Das kann die Beachtung des Tabus beim Sprechen des Gruppennamens und des Sprachnamens miteinschließen, sodass man es in der Kommunikation mit Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung vorzieht, sich als „Zigeuner“ zu bezeichnen, der „die Zigeunersprache“ spreche. Ein wesentliches Distanzmotiv ist die Erfahrung des Missbrauchs von Sprachkenntnissen bei der Erfassung, Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus, aber auch in der älteren Verfolgungsgeschichte.[7] Aus dem Sprachtabu ergeben sich Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Europäischen Sprachencharta. Nur Sintilehrern soll nach Auffassung der Interessenvertretungen der Sinti ein Unterricht in der Primärsprache der Sinti gestattet sein.

Vorwort zur Grammatik

Da es einige größere Unterschiede und keine einheitliche "hochsprachliche" Grammatik oder Aussprache gibt, wird sich hier vorzüglich an einer etymologisch orientierten Orthographie und konservativer Grammatik bedient.

Ein umfassendes Lehrbuch eines Linguisten ist das Lehrbuch des Dialekts der deutschen Zigeuner (1903) von Franz Nikolaus Finck, das über eine Grammatik mit Lautlehre, ein Wörterbuch und kurze Texte als Sprachproben verfügt. Weil dessen Urheberrecht abgelaufen ist, ist es frei verfügbar, siehe Literatur unten.

Aussprache

Im Romanes existiert keine einheitliche Rechtschreibung. Hier:

Zirkumflex (^): Langer Vokal.

  • c wie z /t͡s/
  • č wie tsch /t͡ʃ/
  • čh gesprochen wie /č/, wegen Etymologie eigenes Phonem
  • dž wie dsch /d͡ʒ/
  • š wie sch /ʃ/
  • x wie der Ach-Laut /x/
  • y wie /j/ [j], entstanden aus Kontraktion n/l + j

Merkmale

In den Abweichungen des Sintitikes zu anderen Romanes-Varianten spiegelt sich die lange und starke Prägung durch die Umgebungssprache, also vor allem durch das Deutsche. Hierzu gehören:

  • „Die allmähliche Verdrängung ... des Erbwortschatzes durch Lehngut“, so z. B. bei Erbwörtern für wichtige Verwandtschaftsbezeichnungen, soweit sie die angeheiratete Familie betreffen (švîgasôno, švîgatoxtra). Im Romanes anderer Gruppen werden nur Lücken im Lexikon durch Übernahme aus der Kontaktsprache gefüllt.
  • Das Futur ist unter dem Einfluss der deutschen Umgangssprache weitgehend verschwunden. Es wird wie dort das Präsens eingesetzt.
  • Es werden Präfixverba übernommen oder mit den eigenen Formen kombiniert (Mê džaua hin ‚ich gehe hin’).
  • Während feminine Erbwörter die Endung -i/-j aufweisen (Romni ‚Frau’, Čhâj ,Sinti-Mädchen’, Rakli ‚Nichtsinti-Mädchen’), lautet die Endung bei femininen Lehnwörtern -a (Blûma ‚Blume’, Bêrga ‚Berg’). Das spricht für ein jüngeres Alter auch der Ethnonyme Sintica bzw. Sinto.

Grammatik

Numeri: Singular und Plural

Genera: Maskulinum und Femininum

Kasus: Primäre Kasus sind Rektus (= Nominativ), Obliquus (und Vokativ).

Der Obliquus dient als Akkusativ. Seine Endung ist maskulin meist -es, feminin meist -a oder -ja, im Plural meist -en oder -jen.

Durch Anhängen von Endungen an den Obliquus werden weitere Fälle gebildet:

Dieses Kasussystem ähnelt stark dem indoarischer Sprachen, insbesondere dem des Gujarati (das allerdings auch ein Neutrum hat).

Der Vokativ (Plural) wird nur noch selten verwendet (Phrâla!, Čhâja!, Džuvjâle!).

Sg. m. Sg. f. Pl. m. Pl. f.
Rek Raklo Rakli Rakle Rakya
Obl Rakles Rakya Raklen Rakyen
Obl. Inst. Raklêha Rakyâha Raklensa Rakyensa

Literatur

  • Norbert Boretzky, Birgit Igla: Kommentierter Dialektatlas des Romani. Teil 1. Harrassowitz, Wiesbaden 2004, ISBN 3-447-05073-X, auch in: [4].
  • Viktor Elšík, Yaron Matras: Markedness and language change: the Romani sample. Mouton de Gruyter, Berlin u. a. 2006, ISBN 3-11-018452-4. (= Empirical approaches to language typology, 32), auch in: [5].
  • Christiane Fennesz-Juhasz, Dieter W. Halwachs, Mozes F. Heinschink: Sprache und Musik der österreichischen Roma und Sinti. In: Grazer Linguistische Studien. 46 (Herbst 1996), S. 61–110, hier: S. 74, auch in: [6].
  • Franz Nikolaus Finck: Lehrbuch des Dialekts der deutschen Zigeuner, Marburg 1903. Faksimile der Originalausgabe als gebundenes Buch und als Taschenbuch 2009. Frei verfügbar bei archive.org: [7].
  • Daniel Holzinger: Das Romanes. Grammatik und Diskursanalyse der Sprache der Sinte. Innsbruck 1993.
  • Yaron Matras: Romani: a linguistic introduction. Cambridge UP, Cambridge u. a. 2002, ISBN 0-521-63165-3.
  • Rosita Rindler Schjerve, Peter H. Nelde (Hrsg.): Der Beitrag Österreichs zu einer europäischen Kultur der Differenz: sprachliche Minderheiten und Migration unter die Lupe genommen. Asgard, St. Augustin 2003, ISBN 3-537-86428-0.(= Plurilingua, 26), auch in: [8].

Einzelnachweise

  1. Peter Bakker, Donald Kenrick u. a.: What is the Romani language? Reihe: Interface Collection. Centre de recherches tsiganes u. University of Hertfordshire Press, Hatfield (Hertfordshire) 2000, ISBN 1-902806-06-9, S. 58.
  2. Barbara Schrammel (Hrsg.): General and applied Romani linguistics: proceedings from the 6th International Conference on Romani Linguistic. Lincom EUROPA, München 2005 (= LINCOM studies in Indo-European linguistics. Band 29), ISBN 3-89586-741-1, S. 23; Norbert Boretzky, Birgit Igla: Kommentierter Dialektatlas des Romani. Teil 1. Harrassowitz, Wiesbaden 2004, ISBN 3-447-05073-X, S. 18.
  3. Vekerdi József, Cigány nyelvjárási népmesék, Kossuth Lajos Tudományegyetem, Debrecen 1985 (= Folklór és etnográfia, 19), S. 46, berichtet über ungarische Roma, die nach dem Ersten Weltkrieg aus Österreich zuwanderten: "They sharply differentiate their language from Romani: 'We speak only sintetikes (...)'."
  4. Siehe z. B.: Archivierte Kopie (Memento vom 20. Juni 2012 im Internet Archive) (PDF-Datei; 1,10 MB) oder [1] oder bei: Ulrich Friedrich Opfermann, Ein Brief aus Wittgenstein in Romanes im Jahre 1838, in: Siegener Beiträge. Jahrbuch für regionale Geschichte, 2 (1997), Bd. 2, S. 88–92, überarbeitet in Yanko Weiss-Reinhardt: An unsere Rechtsprecher wegen Romanesunterricht. In: forumromanum. [2]. Es handelt sich um eine community im Umfeld der Sinti-Allianz.
  5. Siehe z. B.: [3], Archivierte Kopie (Memento vom 20. Juni 2012 im Internet Archive) (PDF-Datei; 1,10 MB).
  6. Meidungs- und Tabusysteme bei Roma- und Sintigruppen
  7. So durch die Rassenhygienische und bevölkerungsbiologische Forschungsstelle unter ihrem Leiter Robert Ritter. Siehe: BdWi: Sinti-Erinnerungen an NS-Frauen. Wolf sieht hier eine Besonderheit des Umgangs der Sinti mit ihrer Sprache, die es vor 1933 nicht gegeben habe: Siegmund A. Wolf, Großes Wörterbuch der Zigeunersprache (romani tšiw), Hamburg 1993 (ND der 2. Aufl. 1987), S. 31.
  8. [romani] Projekt: Morphologie. Abgerufen am 8. September 2019.