Situationslogik – Wikipedia

Situationslogik ist in der Handlungstheorie ein von Karl Popper vertretener Erklärungsansatz, der geschichtliche und soziale Vorgänge aus der Logik der Situation heraus verstehen will.

Es gibt in der Mikroökonomie bzw. in der neoklassischen Theorie eine gewisse Tradition, Entscheidungen von Wirtschaftssubjekten auf eine „Logik der Situation“ zurückzuführen.

„Wenn ich zum Beispiel feststelle, dass - unter bestimmten Bedingungen - die unmittelbaren Gewinne eines Betriebes ihr Maximum bei einem Ausstoß erreicht, bei dem die Grenzkosten gleich dem Grenzerlös sind (wobei der letztere bei vollkommener Konkurrenz gleich dem Preis ist), so lässt sich sagen, dass ich die Logik der Situation und ein Resultat zum Ausdruck bringe, das genauso wie eine Regel der allgemeinen Logik gültig ist, und zwar unabhängig davon, ob jemand danach handelt oder nicht.“[1]

Im Anschluss an diese Tradition ökonomischer Analyse sowie an Max Webers verstehende Soziologie weist Popper eine Begründung der Handlungstheorie durch psychologische Hypothesen ab.

„… dieser psychologische Teil der Erklärung ist sehr oft trivial im Vergleich zu der detaillierten Bestimmung seiner Handlungen durch das, was man die Logik der Situation nennen könnte. … Die Methode der Anwendung einer Situationslogik auf die Sozialwissenschaften beruht auf keiner psychologischen Annahme über die Rationalität (oder eine andere hervorstechende Eigenschaft) der 'menschlichen Natur'. Im Gegenteil: Wenn wir von 'rationalem Verhalten' oder 'irrationalem Verhalten' sprechen, so meinen wir damit ein Verhalten, das der Logik der Situation entspricht oder nicht. In der Tat setzt die psychologische Zerlegung einer Handlung in ihre Beweggründe - wie Max Weber gezeigt hat - voraus, daß wir schon einen Maßstab entwickelt haben, nach dem wir beurteilen können, was in der fraglichen Situation als rational zu gelten hat.“[2]

„Die 'Nullmethode' der Konstruktion rationaler Modelle ist keine psychologische, sondern eine logische Methode.“[3]

Bewertung und Kritik

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Für Lawrence A. Boland hat Popper mit der Situationslogik den neoklassischen Ökonomen die von ihnen selbst bisher angewandte Methode aufgezeigt.[4] E. Matzner und A. Bhaduria gelangen zur genau gegenteiligen Ansicht: Die herkömmliche Gleichgewichtsanalyse lasse wesentliche Elemente wie Unsicherheit, Zeit und Raum, Interaktion, nicht beabsichtigte Folgen sowie Kultur und Institutionen völlig außer Betracht.[5]

Für Peter Hedström, Richard Swedberg und Lars Udehn trägt Poppers Ansatz wenig zur derzeitigen Debatte um die Rational Choice Theorie bei, vor allem, weil er zu vage ist und sich zu sehr im Allgemeinen bewegt. Während er Interessen und Interaktion nicht berücksichtige, beziehe er jedoch soziale Institutionen mit ein.[6] William A. Gorton hält Poppers Ansatz für integrierbar in den analytischen Marxismus.[7] Hristos Verikukis[8] weist auf eine mögliche Inkonsistenz hin zwischen Poppers Falsifikationismus, der sich auf die kritische Prüfung von nomologischen Hypothesen orientiert, und dem von ihm vorgeschlagenen handlungstheoretischen Erklärungsansatz. So hält auch Mario Bunge die Situationslogik Poppers für keinen dauerhaften Beitrag, denn sie sei genauso wie sein Rationalitätsprinzip empirisch leer.[9]

  1. Joseph A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse. Bd. 1, Göttingen 1965 (zuerst: 1952). S. 48
  2. Karl R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2: Falsche Propheten - Hegel, Marx und die Folgen. Tübingen 7. Aufl. 1992 (zuerst: 1944). S. 114f
  3. Karl R. Popper: Das Elend des Historizismus. Tübingen 6. Aufl. 1987 (zuerst: 1957): S. 123
  4. Lawrence A. Boland: Situational Analysis beyond Neoclassical Economists (PDF; 21 kB)
  5. E. Matzner, A. Bhaduri: The socioeconomic context: An alternative approach to Popper's situational analysis = Le contexte socio-économique: une approche alternative de l'analyse situationnelle de Popper. Philosophy of the social sciences (Memento des Originals vom 2. Februar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/cat.inist.fr, 1998, vol. 28, no 4, pp. 484–551 (1 p.1/4), pp. 484–497. ISSN 0048-3931
  6. Peter Hedström, Richard Swedberg, Lars Udehn: Popper´s situational analysis and contemporary sociology. Stockholm, Department of Sociology, Stockholm university, 1997, 35 s., 50 ref. (Working paper series / Work-Organization-Economy 56). ISSN 1400-4232
  7. William A. Gorton: Karl Popper and the social sciences. 2006.
  8. Hristos Verikukis: Popper’s Double Standard of Scientificity in Criticizing Marxism (Memento des Originals vom 16. Juli 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/clogic.eserver.org (PDF; 341 kB)
  9. Mario Bunge: The seven pillars of Popper's social philosophy. Philosophy of the Social Sciences, 26, 4, 1996. S. 528–556
  • Karl R. Popper: La rationalité et le statut du principe de rationalité. In: Jacques Rueff, (Hg.): Les fondéments philosophiques des systèmes économiques. Paris 1967, S. 142–150.
  • Spiro J. Latsis: Situational Determinism in Economics. British Journal of Philosophy of science, 1972, S. 207–245.