Soziale Unruhen – Wikipedia

Soziale Unruhen in Santiago de Chile, 2019

Soziale Unruhen ist ein Sammelbegriff für Entwicklungen, die den Sozialen Frieden innerhalb eines Staates gefährden, i. e. Generalstreiks, anhaltende Massendemonstrationen, Aufstände. Es wird unterschiedenen zwischen friedfertigen und gewalttätigen Manifestationen. Soziale Unruhen sind zumeist multikausal verursacht und beruhen nur selten auf einer einzigen Entscheidung der Machthabenden.

Gemessen werden Unruhepotential und Manifestationen mittels Weltfriedens-Index und dem Reported Social Unrest Index des IMF.[1]

Zuvörderst wird soziale Ungleichheit als treibender Faktor definiert, oft auch politische Ungleichheit.[2] Oftmals fungiert als Auslöser die als ungerechtfertigt angesehene Tötung eines oder mehrerer Zivilisten, der oder die als Opfer von Polizeiwillkür klassifiziert werden. Die Wut über soziale Ungerechtigkeit, fehlende Gleichberechtigung oder die Angst vor Freiheitseinschränkungen sind treibende Faktoren für soziale Unruhen.

Die Proteste im Iran seit September 2022 beruhen laut Statista auf einer Kombination verschiedener Aspekte – „ein über Jahre angestauter Frust zum einen über die Diskriminierung der Frauen, zum anderen über das autoritäre, korrupte und patriarchale Regime im Land“.[3] Dies stünde in wachsendem Widerspruch zum Wunsch der Jugend nach Freiheit. In Proteste in Hongkong ab 2019 richteten sich gegen die Aushöhlung des liberalen Rechtssystems durch die Zentralverwaltung in Peking. In Belarus kam es nach vermuteten Wahlfälschungen im Jahre 2020 zu Massendemonstrationen. 2023 wandten sich heftige Proteste in Israel gegen die von Benjamin Netanjahu geplante Justizreform, die schließlich am 1. Januar 2024 vom Obersten Gerichtshof als nichtig erklärt wurde.[4]

Regelmäßig seit den 1960er Jahren kommt es in den Vereinigten Staaten zu sozialen Unruhen. Als Ursache angesehen werden einerseits die als ungerechtfertigt angesehene Vermögensverteilung – ein Fünftel aller Afroamerikaner in den USA lebt unter der Armutsgrenze[5] – sowie der strukturelle Rassismus, der auch Latinos und asiatische Amerikaner betrifft. Der Bürgerrechtsaktivist Martin Luther King definierte Ausschreitungen als „Sprache der Ungehörten“. Laut NZZ richteten sich die Protestbewegungen vorrangig gegen die Benachteiligung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, gegen Polizeigewalt sowie grundsätzlich gegen den täglichen Rassismus.[6] Besonderes Charakteristikum der US-amerikanischen Aufstände sei die hohe Gewaltbereitschaft, so der Politologe Michael Dreyer.[7]

Häufig genannt als Beispiel für soziale Unruhen und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ihrem autoritären, weitgehend als korrupt angesehenem Regime wird der sogenannte Arabische Frühling ab Dezember 2010. Spezielles Charakteristikum dieser Serie von Massenaufständen war, dass sie sich zeitgleich in mehreren Staaten entwickelten – in Tunesien, Ägypten, Jemen, Algerien und Syrien. Sie „richteten sich vor allem gegen Regierungsversagen und Korruption, hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Freiheiten sowie Armut und können als Reaktion auf eine Systemkrise der arabischen Staaten gesehen werden.“[3] Verlauf und Ergebnisse variierten in den einzelnen Staaten. In Tunesien kam es zum Austausch der Machtelite, in Syrien hingegen zu einem Bürgerkrieg.[3] In Ägypten führten die Aufstände zum Tod von mehr als 800 Demonstranten, zum Rücktritt und zur späteren Verhaftung von Staatspräsident Husni Mubarak sowie zur Mehrheit der Muslimbrüder im Parlament.[8] Weitgehend gibt es Übereinstimmung, dass die Ziele der Aufstände nicht erreicht worden wären. Laut einer Meinungsumfrage aus dem Jahr 2020 waren rund 60 Prozent der Befragten in 13 arabischen Staaten der Meinung, „der arabische Frühling wäre noch nicht vorbei und würde sein Ziel schlussendlich erreichen.“[3]

Gut dokumentiert sind die Unruhen in Frankreich 2005 (nach dem Tod zweier Jugendlicher aus Migrantenfamilien) und 2023 (nach der Tötung des Jugendlichen Nahel Merzouk durch die Polizei). Als Ursachen wurden die Konfrontationsstrategie der Polizei, entwickelt unter Innenminister Nicolas Sarkozy, die konsequente Vernachlässigung und Stigmatisierung der Banlieues sowie der strukturelle Rassismus in Frankreich genannt. Der Soziologe François Dubet: „Jedes Mal gab es einen Polizeifehler, jedes Mal kam es zu Gewalt gegen öffentliche Einrichtungen, Polizeistationen, Schulen, Rathäuser. Jedes Mal endete es mit Plünderungen. Jedes Mal werden die Abgeordneten und die Stadtteilvereine nicht angehört, die politischen Antworten wiederholen sich.“[9] Dubet zählte seit Beginn der 1980er Jahre rund 40 solcher sozialen Unruhen in Frankreich.

Rolle der sozialen Medien

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Das Internet und die sozialen Medien spielen in jüngerer Zeit sowohl qualitativ, als auch quantitativ eine wesentliche Rolle bei Ausbruch und Intensivierung sozialer Unruhen. Das Internet ermöglicht rasche Mobilisierung vor Ort und Solidarisierungseffekte weltweit, welche wiederum das Ursprungsanliegen bekräftigen. Insbesondere in Ländern, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt und die Medien durch Propaganda geprägt sind, eröffnen die sozialen Medien eine Gegenöffentlichkeit, die eine wesentliche Voraussetzung für das Aufdecken von Skandalen und die Organisation des Widerstands darstellt.[3]

Einzelnachweise

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  1. International Monetary Fund: Reported Social Unrest Index: August 2023 Update, 18. August 2023 (engl.)
  2. Christian Houle, Damian J. Ruck, R. Alexander Bentley und Sergey Gavrilets: Inequality between identity groups and social unrest, in: Journal of the Royal Society, Volume 19, Issue 188
  3. a b c d e Statista: Daten und Fakten zu Unruhen, Portesten und Aufständen weltweit, abgerufen am 28. Mai 2024
  4. El País (English edition): Israeli Supreme Court overturns Benjamin Netanyahu’s judicial reform that sparked mass protests before the war, 2. Januar 2024
  5. SRF News: Diese Grafiken zeigen die sozialen Unterschiede in den USA, 2. Juni 2020
  6. Neue Zürcher Zeitung: «Die Sprache der Ungehörten»: Chronologie der Rassenunruhen in den USA seit den 1960er Jahren, 3. Juni 2020
  7. Deutschlandfunk: „Die USA sind eine extrem gewaltbereite Gesellschaft“, 2. Juni 2020
  8. vorwärts: Arabischer Frühling in Ägypten: Eine gescheiterte Revolution, 21. Januar 2021
  9. Euronews: Unruhen in Frankreich: Welche Unterschiede bestehen zwischen der städtischen Gewalt von 2023 und der von 2005?, 7. Juli 2023