Wera Nikolajewna Figner – Wikipedia

Wera Figner in den 1870er Jahren

Wera Nikolajewna Figner (russisch Вера Николаевна Фигнер, wissenschaftliche Transliteration Vera Nikolaevna Figner, durch Heirat 1870 Филиппова/Filippowa, wissenschaftliche Transliteration Filippova; * 25. Junijul. / 7. Juli 1852greg. in Christoforowka bei Kasan; † 15. Juni 1942 in Moskau) war eine russische Revolutionärin und Angehörige der Narodniki.

Als Tochter deutsch-russischer Adliger wurde sie anfangs von Hauslehrern unterrichtet und lebte von 1863 bis 1869 im staatlichen Mädchenpensionat Kasan. Durch einen Onkel lernte sie die Philosophie des Utilitarismus kennen und war von deren Ziel, „das größtmögliche Glück einer möglichst großen Anzahl Menschen zu verschaffen“, tief beeindruckt.[1]

Ab 1872 studierte sie drei Jahre Medizin an der Universität Zürich. Sie schloss sich einem Kreis russischer Studentinnen an, las Ferdinand Lassalle, Bücher über die Theorien der französischen Sozialisten und über die Arbeiterbewegung. Zurück in Sankt Petersburg verband sie sich mit der illegalen Gesellschaft Semlja i wolja („Land und Freiheit“) mit dem Ziel, die Revolution ins Volk zu tragen (Narodniki).

Sie übernahm ein Landkrankenhaus in Saratow und agitierte nebenbei die Bauern auf Leseabenden. 1879 verließ sie wegen Denunziationen die Gegend und war nach der Spaltung von Land und Freiheit Mitglied des Exekutivkomitees der Organisation Narodnaja Wolja (Volkswille), die die Aufnahme des Kampfes um die politische Macht im Zarenreich begann. Wegen Beteiligung an der Planung von Attentaten auf den Zaren Alexander II., von denen eins am 1.jul. / 13. März 1881greg. in Sankt Petersburg am Gribojedow-Kanal, dem Ort der späteren Auferstehungskirche, zum Erfolg führte, wurde sie am 10.jul. / 22. Februar 1883greg. in Charkow als letztes Mitglied des Exekutivkomitees der Narodnaja Wolja verhaftet. Zwanzig Monate verbrachte sie in Untersuchungshaft in der Peter-und-Paul-Festung.

Im Prozess der Vierzehn wurde sie am 28. Septemberjul. / 10. Oktober 1884greg.[2] zum Tode verurteilt. Am 12.jul. / 24. Oktober 1884greg. begnadigte sie der Zar durch Umwandlung in lebenslängliche Zwangsarbeit.[3] Diese wurde in den folgenden zwanzig Jahren in der Festung Schlüsselburg vollstreckt.

Leben nach Schlüsselburg

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Grab Figners auf dem Nowodewitschi-Friedhof, Moskau

Am 16.jul. / 29. September 1904greg.[4] wurde sie wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes aus der Haft entlassen und in die Oblast Archangelsk verbannt.[5] Am 4.jul. / 17. Oktober 1904greg. wurde sie dort erneut inhaftiert, später jedoch in eine noch weiter entfernte Gegend (Patczorsky) gebracht. Sie erklärte, „Rußland viel zu sehr zu lieben, um zu entfliehen und seinen Boden zu verlassen“.[4] Sie zog später nach Kasan und Weihnachten 1905 weiter zu ihrer Schwester Jewgenija Saschina nach Nischni Nowgorod.

Im Zuge der Revolution und dem vom Zar Nikolaus II. erlassenen Oktobermanifest erhielt Vera Figner einen Auslandsreisepass, mit dem sie im November 1906 nach Finnland fuhr, das damals ein autonomer Teil des Zarenreiches war. Sie schloss sich den Sozialrevolutionären an und gründete 1910 in Paris ein Komitee zur Unterstützung politischer Gefangener in Russland. Nach den Vorgängen um den Leiter der terroristischen Gruppe der Sozialrevolutionäre, Jewno Asef, der zugleich Spitzel der Ochrana war, zog sie sich aus der Partei zurück. Bis Januar 1915 lebte sie in Clarens am Genfersee (Schweiz).

Zum Beginn des Ersten Weltkrieges kehrte sie nach Russland zurück und wohnte erneut unter Polizeiaufsicht in Nischni Nowgorod, bevor sie im Dezember 1916 die Erlaubnis bekam, sich in Sankt Petersburg niederzulassen. Nach der Februarrevolution 1917 amnestiert, leitete sie das Komitee zur Hilfeleistung für befreite Sträflinge und Verbannte, das 2 Mio. Rubel an ca. 4.000 Menschen verteilte. Sie war Mitglied der Konstituante, die am 6.jul. / 19. Januar 1918greg. von den Bolschewiki aufgelöst wurde.

Während des Russischen Bürgerkrieges lebte Wera Figner bei Verwandten im Gouvernement Orjol. Zurückgekehrt nach Moskau, wurde sie 1921 Vorsitzende des Komitees zur Ehrung Kropotkins, das ein Museum in Kropotkins Geburtshaus (Kropotkingasse Nr. 26) einrichtete. Bis zu ihrem Tod 1942 reiste sie mehrmals nach Kasan, um soziale und kulturelle Einrichtungen zu unterstützen.

  • Walther Schmieding: Aufstand der Töchter. Russische Revolutionärinnen im 19. Jahrhundert. Kindler, München 1979, ISBN 3-463-00765-7.
  • Gudrun Goes (Hrsg.): Nicht Narren, nicht Heilige. Erinnerungen russischer Volkstümler (= Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 1044, Belletristik). Reclam, Leipzig 1984.
  • Stephan Rindlisbacher: Leben für die Sache. Vera Figner, Vera Zasulic und das radikale Milieu im späten Zarenreich (= Forschungen zur osteuropäischen Geschichte. 80). Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-447-10098-4.
  • Monika Bankowski-Züllig: Figner, Vera. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
Wikisource: Wera Nikolajewna Figner – Quellen und Volltexte
Commons: Vera Figner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Wera Figner: Nacht über Russland. Lebenserinnerungen. Malik Verlag, Berlin 1926, Kapitel „Am Scheidewege“; (online bei Projekt Gutenberg-DE)
  2. Nihilisten vor Gericht. In: Die Presse, 15. Oktober 1884, S. 11 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/apr
  3. Petersburg, 24. October. In: Die Presse, 25. Oktober 1884, S. 4 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/apr
  4. a b Eine Märtyrerin der Freiheit. In: Arbeiter-Zeitung, 20. Dezember 1904, S. 6 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/aze
  5. Zwanzig Jahre im Gefängnis zu Schlüsselburg. In: Tages-Post, 10. November 1904, S. 3 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/tpt