Zerfällungskörper – Wikipedia

Ein Zerfällungskörper ist in der Algebra, genauer in der Körpertheorie, ein möglichst kleiner Körper, in dem ein gegebenes Polynom in Linearfaktoren zerfällt. Ein Zerfällungskörper eines nichtkonstanten Polynoms existiert stets und ist bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt. Der Zerfällungskörper ist eine normale Körpererweiterung des Koeffizientenkörpers eines Polynoms und, falls das Polynom separabel ist, sogar eine Galoiserweiterung. Ihre Galoisgruppe wird dann die Galoisgruppe des Polynoms genannt. Diese Begriffe lassen sich auf beliebige Familien von Polynomen verallgemeinern. In älterer Literatur wird häufig der Begriff Wurzelkörper synonym verwendet und der Satz von seiner Existenz und Eindeutigkeit gelegentlich als Kronecker-Steinitzscher Fundamentalsatz bezeichnet.[1]

Es sei ein Körper und ein nichtkonstantes Polynom mit Koeffizienten aus . Ein Körper heißt Zerfällungskörper von (über ), wenn gilt:

  • Das Polynom zerfällt über in Linearfaktoren, das heißt lässt sich darstellen als
mit , , und
  • , das heißt wird durch Adjunktion der Nullstellen erzeugt.

Ist allgemeiner eine Familie von nichtkonstanten Polynomen aus , dann heißt ein Körper Zerfällungskörper von , wenn alle über in Linearfaktoren zerfallen und die Körpererweiterung von den Nullstellen der erzeugt wird.

Existenz und Eindeutigkeit

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ist beispielsweise ein Polynom mit rationalen Koeffizienten, dann ist die Existenz eines Zerfällungskörpers von einfach zu zeigen: Nach dem Fundamentalsatz der Algebra zerfällt das Polynom im Körper der komplexen Zahlen in Linearfaktoren. Durch Adjunktion aller komplexen Nullstellen von erhält man als einen Zerfällungskörper von über . Dieses Vorgehen lässt sich verallgemeinern: Mit Hilfe des Lemmas von Zorn kann gezeigt werden, dass es zu jedem beliebigen Körper einen Erweiterungskörper gibt, der algebraisch abgeschlossen ist, zum Beispiel den algebraischen Abschluss von . Ist eine beliebige Familie von Polynomen in , dann zerfällt jedes über in Linearfaktoren. Der Durchschnitt aller Teilkörper von , die enthalten und in denen alle in Linearfaktoren zerfallen, ist dann der kleinste Erweiterungskörper von , der alle Nullstellen der Polynome enthält, also ein Zerfällungskörper der Familie .

Der Zerfällungskörper einer Familie ist bis auf -Isomorphie eindeutig bestimmt. Das bedeutet: Sind und zwei Zerfällungskörper von über , dann gibt es einen Körperisomorphismus mit für alle .

Die Existenz eines Zerfällungskörpers eines Polynoms lässt sich auch ohne das Lemma von Zorn durch eine direkte Konstruktion zeigen. Wesentlich ist dabei die Aussage, dass für jedes nichtkonstante Polynom ein Körper existiert, in dem eine Nullstelle hat. Nach einer Idee von Leopold Kronecker (Satz von Kronecker) kann ein solcher Körper auf folgende Weise konstruiert werden: Es sei ein irreduzibler Faktor von . Dann ist das von erzeugte Hauptideal ein maximales Ideal in und folglich ist der Faktorring ein Körper. Für das Element

gilt

,

das heißt, ist eine Nullstelle von und damit auch von .

Die Existenz eines Zerfällungskörpers von lässt sich nun leicht mit vollständiger Induktion nach dem Grad von zeigen:

  • Für den Induktionsanfang ist selbst ein Zerfällungskörper von .
  • Für gibt es nach dem oben Gezeigten einen Erweiterungskörper von , in dem eine Nullstelle hat. In lässt sich zerlegen als mit einem Polynom vom Grad . Nach Induktionsvoraussetzung hat die Nullstellen in einem Zerfällungskörper. Damit ist ein Zerfällungskörper von .
  • Der Zerfällungskörper einer Familie ist im folgenden Sinne minimal: Ist ein Körper mit , so dass jedes Polynom über in Linearfaktoren zerfällt, dann gilt .
  • Der Zerfällungskörper einer endlichen Menge von Polynomen in ist gleich dem Zerfällungskörper des Produktpolynoms .
  • Der Erweiterungsgrad des Zerfällungskörpers eines Polynoms vom Grad ist ein Teiler von , insbesondere gilt . Wenn über irreduzibel ist, dann gilt .
  • Ist Zerfällungskörper einer Familie , dann ist die Körpererweiterung algebraisch und normal. Sind alle separabel, dann ist eine separable Erweiterung, also sogar eine Galoiserweiterung.
  • Zerfällt ein Polynom bereits über in Linearfaktoren, dann ist trivialerweise der Zerfällungskörper von . Deshalb haben zum Beispiel die Polynome , oder aus alle selbst als Zerfällungskörper.
  • Das Polynom zerfällt in in Linearfaktoren: . Der Zerfällungskörper von ist also .
  • Analog ist der Zerfällungskörper von mit den komplexen Nullstellen und der Körper .
  • Der Zerfällungskörper von ist demnach .
  • Das Polynom aufgefasst als Polynom mit reellen Koeffizienten, also als Element von , hat als Zerfällungskörper. Das zeigt, dass die Angabe des Koeffizientenkörpers eines Polynoms für die Bestimmung seines Zerfällungskörpers wesentlich ist.
  • Das Polynom hat im Körper eine Nullstelle, aber dieser Körper ist nicht der Zerfällungskörper von , denn die beiden anderen Nullstellen und in sind nichtreell, können also nicht im reellen Teilkörper liegen. Der Zerfällungskörper von ist .

In der Galoistheorie werden die Nullstellen eines Polynoms mit Hilfe seines Zerfällungskörpers untersucht. Dazu wird der Körpererweiterung eine Gruppe , die Galoisgruppe, zugeordnet. Die Gruppe heißt die Galoisgruppe des Polynoms . Nach dem Hauptsatz der Galoistheorie entsprechen die Untergruppen von eindeutig den Zwischenkörpern mit . Auf diese Weise lassen sich zahlreiche klassische Probleme der Algebra lösen, etwa die Frage, welche Zahlen sich mit Zirkel und Lineal konstruieren lassen oder welche Polynomgleichungen sich durch Radikale auflösen lassen (siehe z. B. Satz von Abel-Ruffini).

Die Kreisteilungskörper sind spezielle Zerfällungskörper: Die komplexen Lösungen der Gleichung mit sind die -ten Einheitswurzeln für . Der -te Kreisteilungskörper ist also wegen der Zerfällungskörper des Polynoms .

Auch die endlichen Körper lassen sich als Zerfällungskörper darstellen: Ist eine Primzahl, dann ist der Restklassenring ein Körper und wird mit bezeichnet. Für eine natürliche Zahl hat das Polynom in einem algebraischen Abschluss genau verschiedene Nullstellen. Der Zerfällungskörper von ist dann ein Körper mit Elementen. Man kann zeigen, dass sich auf diese Weise alle endlichen Körper erzeugen lassen.

  • Siegfried Bosch: Algebra. 8. Auflage. Springer Spektrum, Berlin/Heidelberg 2013, ISBN 978-3-642-39566-6, Abschnitt 3.5: Zerfällungskörper.
  • Christian Karpfinger, Kurt Meyberg: Algebra: Gruppen – Ringe – Körper. 3. Auflage. Springer Spektrum, Berlin/Heidelberg 2013, ISBN 978-3-8274-3011-3, Abschnitt 24.2: Zerfällungskörper.
  • Kurt Meyberg: Algebra, Teil 2: Carl Hanser Verlag (1976), ISBN 3-446-12172-2, Abschnitt 6.5: Zerfällungskörper.

Ältere Literatur

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  • Wolfgang Krull: Elementare und klassische Algebra vom modernen Standpunkt (= Sammlung Goeschen. Band 930). Walter de Gruyter & Co, Berlin 1952 (136 S.).

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Siehe Wolfgang Krull: Elementare und klassische Algebra vom modernen Standpunkt (= Sammlung Goeschen. Band 930). Walter de Gruyter & Co, Berlin 1952, Abschnitt IV Höhere Gleichungstheorie, § 25 Der Kronecker-Steinitzsche Fundamentalsatz, S. 78 f. (136 S.).