Dirk Kuhl – Wikipedia

Dirk Kuhl (* 11. April 1940 in Hamburg[1]; † 20. Februar 2023 in Lauchdorf[2]) war ein pensionierter deutscher Grundschullehrer und einziges Kind von Günter Kuhl, dem Ende 1948 als NS-Kriegsverbrecher verurteilten und hingerichteten Leiter der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Braunschweig. Jahrzehntelang hielt Dirk Kuhl Vorträge über sein Leben als Kind eines NS-Verbrechers und nahm an Diskussionsrunden mit Kindern von NS-Opfern teil.

Leben und Wirken

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Kuhl legte 1961 das Abitur am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Remscheid ab.[3][4] Erst im Alter von 18 Jahren[5] erfuhr er von seinem Onkel die tatsächlichen Todesumstände seines Vaters und dessen Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus. Auslöser war, dass Dirk Kuhl gefragt hatte, warum er als einziger seiner Klasse bei einer Klassenfahrt nach Berlin Ende der 1950er Jahre das Flugzeug benutzen sollte, statt wie alle anderen mit dem Bus durch die DDR zu fahren. Der Grund war, dass seine Mutter wegen der NS-Vergangenheit ihres Mannes befürchtete, dass ihr Sohn bei einer Busfahrt von den DDR-Behörden inhaftiert werden könnte.[4] Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Dirk Kuhls Mutter ihn immer in dem Glauben gelassen, sein Vater sei „in britischer Kriegsgefangenschaft an einer Krankheit gestorben“ und sei ansonsten „charmant und ein guter Tänzer“[6] gewesen und habe „nichts Unrechtes getan“.[7]

Kuhls Vater, Günter Kuhl, war promovierter Jurist, Obersturmbannführer[8] und von November 1942 bis Anfang April 1945 (→ Übergabe der Stadt Braunschweig) Leiter der Gestapo in Braunschweig.[9] Unter anderem war Günter Kuhl auch für das im Frühjahr 1940 auf Initiative Friedrich Jeckelns, eines seiner Amtsvorgänger, eingerichtete Arbeitserziehungslager Hallendorf verantwortlich, in dem Zwangsarbeiter für die Reichswerke Hermann Göring im knapp 20 km südwestlich von Braunschweig gelegenen Salzgitter arbeiten mussten, wobei etwa 3000 dieser Zwangsarbeiter zu Tode kamen bzw. ermordet wurden. Die Einweisung in das auch als „Lager 21“ bekannte und berüchtigte, KZ-ähnliche Lager war für die Insassen, vor allem Polen und Ostarbeiter, die schwerste Strafe und bedeutete akute Lebensgefahr.[10]

Dirk Kuhl fand heraus, dass sein Vater zumindest an einigen dieser Todesfälle beteiligt[7][11] bzw. bei Erschießungen anwesend gewesen war.[1] Nach Kriegsende wurde Günter Kuhl von einem britischen Militärgericht unter anderem dafür angeklagt, zum Tode verurteilt und am 9. Dezember 1948 im Zuchthaus Hameln gehängt[12].

Zerwürfnis mit der Mutter

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Nachdem Dirk Kuhl von der wahren Identität seines Vaters und dessen Hinrichtung erfahren hatte, verschlechterte sich sein Verhältnis zu seiner Mutter rapide. Er fühlte sich „belogen und betrogen“,[7] während seine Mutter – auch in Gegenwart seiner jüdischen Frau – ausschließlich die vermeintlichen Vorzüge und positiven Eigenschaften ihres Ehemannes herausstellte. Dass es nicht zum endgültigen Bruch kam, lag an Kuhls jüdischer Ehefrau.[5]

Während seines Studiums in Düsseldorf lernte Dirk Kuhl seine spätere Ehefrau (gestorben 1994)[13] kennen. Sie war Jüdin und stammte aus der Ukraine, wo sie als vierjähriges Kind und als eine von nur zwei Personen in einem Versteck ein Massaker einer SS-Einsatzgruppe an der ortsansässigen jüdischen Bevölkerung überlebt hatte.[14] Das Ehepaar beschloss, keine Kinder zu haben, um ihnen das Trauma einer derartigen Familiengeschichte zu ersparen.[7] Mit seiner zweiten Ehefrau lebte Dirk Kuhl in Baisweil im Ostallgäu.[6]

Aufarbeitung der Taten des Vaters durch den Sohn

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Dirk Kuhl hatte es sich zur Aufgabe gemacht, über seine Familiengeschichte, die Taten seines Vaters, die Verleugnung seiner Mutter und seinen Umgang mit und seine Art der Bewältigung mit der eigenen Familiengeschichte öffentliche Vorträge, zum Beispiel vor Jugendlichen, zu halten, Interviews zu geben und an (internationalen) Diskussionsrunden teilzunehmen.[15]

So entstand unter anderem ein Dokumentarfilm, der sein Leben zum Inhalt hat: Eine unmögliche Freundschaft von Michael Richter und Bernd Wiedemann aus dem Jahre 1998 erzählt von der Freundschaft zwischen dem „Täterkind“ Dirk Kuhl und dem „Opferkind“ Charles Samson Munn, Sohn einer Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz und des KZ Bergen-Belsen.[16][1]

Kennengelernt hatten sich beide über die internationale Gruppe „To Reflect and Trust“ (Nachdenken und Vertrauen) des israelischen Psychologen, Psychotherapeuten und Holocaustforschers Dan Bar-On. In dieser Gruppe brachte Bar-On Nachkommen von NS-Opfern und -Tätern zusammen, damit diese durch gegenseitiges Erzählen und Diskutieren besser mit der eigenen Familiengeschichte umzugehen lernten.[17]

Am 27. November 2017 sendete der Bayerische Rundfunk den Film Mein Vater, der Nazi: „Er hat nichts begriffen“, in dem Dirk Kuhl seine Familiengeschichte erzählt.[18]

Einzelnachweise

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  1. a b c Martin Kröger: Keine Gnade der späten Geburt vom 10. November 2004 auf jungle.world.
  2. Todesanzeige auf trauer-im-allgaeu.de.
  3. EMA-ABI-Jahrgang 1961 auf E-Mail-Adresse-rs.de
  4. a b Dirk Kuhl: „Als Täterkind hat man es nicht einfach!“ auf waterboelles.de
  5. a b Waltraud Sennebogen: Mit dem "großen Schweigen" umgehen (Memento des Originals vom 27. Juni 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.erinnerungsparlament.de auf erinnerungsparlament.de.
  6. a b Sohn eines Gestapo-Offiziers spricht vor Schülern in Kempten vom 4. Oktober 2012 auf all-in.de.
  7. a b c d Philipp Gessler: Opferkinder, Täterkinder und das Familienerbe In: taz.am Wochenende vom 13. November 2004.
  8. Manuel Böhnke: Wenn der eigene Vater ein Täter ist vom 21. Mai 2019 auf rga.de (Remscheider General-Anzeiger).
  9. Gerd Wysocki: Die Geheime Staatspolizei im Land Braunschweig. Polizeirecht und Polizeipraxis im Nationalsozialismus. Campus Verlag, Frankfurt/New York, 1997, ISBN 3-593-35835-2, S. 75, FN 138.
  10. Gudrun Fiedler, Hans-Ulrich Ludewig: Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft im Lande Braunschweig 1939–1945. In: Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte. Nr. 39, Appelhans, Braunschweig 2003, ISBN 3-930-29278-5, S. 99.
  11. Gerd Wysocki: Zwangsarbeit im Stahlkonzern: Salzgitter und die Reichswerke "Hermann Göring" 1937–1945. Magni-Buchladen, Braunschweig 1982, S. 133.
  12. Post World War II hangings under British jurisdiction at Hameln Prison in Germany. Abgerufen am 13. Januar 2020.
  13. Sohn eines Gestapo-Offiziers spricht vor Schülern in Kempten vom 4. Oktober 2012 auf all-in.de.
  14. Bernhild Vögel: … und in Braunschweig? Materialien und Tips zur Stadterkundung 1930–1945. 2., aktualisierte Auflage. 1996, S. 156.
  15. EMA-Schüler Dirk Kuhl, Sohn eines NS-Täters auf waterboelles.de vom 17. Mai 2019.
  16. Eine unmögliche Freundschaft Provobis 1998.
  17. Michael Hollenbach: Das Erbe der Nazis vom 8. Juni 2014 auf Deutschlandfunk.
  18. Mein Vater, der Nazi: "Er hat nichts begriffen" auf br.de.