Elisabeth Ziese – Wikipedia
Elisabeth Ziese (geb. Schichau; * 16. November 1854 in Elbing; † 2. Juni 1919 in Itter (Tirol)[1]), auch Elisabeth Ziese-Schichau, war eine deutsche Pianistin und Organistin.
Familie und Ausbildung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Elisbeth Ziese war die jüngste Tochter des Unternehmers Ferdinand Schichau und der Sängerin Juliane Harting (1817–1893). Zur Familie gehörten ihr älterer Bruder Erich (1844–1927) und ihre ältere Schwester Selma (1845–1877). Zwei weitere Schwestern verstarben vor Vollendung des zweiten Lebensjahres und noch vor Elisabeths Geburt. Die Familie Ziese gehörte zu den Musikliebhabern und war sehr musikalisch. Elisabeth spielte bereits als Elfjährige die Kirchenorgel der Elbinger Marienkirche.[2] Als Jugendliche hatte sie Gelegenheit, der Pianistin Clara Schumann vorzuspielen.[3] An der in Berlin 1869 gegründeten Königlichen akademischen Hochschule für ausübende Tonkunst[4] (auch Königliche Hochschule für Musik, eine Vorgängerorganisation der Universität der Künste Berlin[5]) studierte sie von 1871 bis 1875 bei Ernst Rudorff Klavier. 1876 heiratete sie den Ingenieur Carl Heinrich Ziese. Das Paar hatte eine Tochter namens Hildegard (1877–1927), die 1900 den Schiffbauingenieur Carl Fridolf Carlson heiratete.[6]
Musikalisches Wirken
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1872 veranstaltete die Königliche Hochschule für Musik zum ersten Mal Konzerte für die Öffentlichkeit, bei denen die Studierenden ihre Leistungen zeigten. Beim ersten Konzert am 9. Mai spielte Elisabeth Schichau mit Julius Spengel eine Sonate für zwei Pianoforte von Mozart[7] und beim zweiten Konzert am 16. Dezember mit Johannes Schulze ein Konzert für zwei Pianoforte von Bach.[8] In diesen Konzerten gehörten überdies Nathalie Janotha und Max Brode zu den vortragenden Mitstudenten.
Nach Abschluss ihres Studiums begann sie – ungeachtet ihrer hohen gesellschaftlichen Stellung und der daraus resultierenden Verpflichtungen – eine rege Konzerttätigkeit als Pianistin. Als solche trat sie unter anderem in Münster (1876),[3] Königsberg (1877,[9] 1897, 1904,[3] 1906,[10] 1910,[11] 1913,[12] 1915[13]), Memel (1878),[14] ihrer Heimatstadt Elbing (1878,[15] 1881,[16] 1886,[3] 1887,[17] 1896[3]), Berlin (1879,[18] 1901,[19] 1904[20]), Mannheim (1881),[3] Hamburg (1883),[21] Lübeck (1883),[3] Danzig (1884,[22] 1901,[23] 1903,[24] 1912[25]), Insterburg (1884,[26] 1912[27]), Bonn (1899,[28] 1904[3]), Leipzig (1900,[29] 1916[3]), Petersburg (1903),[30] Meiningen (1907),[31] München (1915,[32] 1916[33]) und Marburg (1916)[3] auf. Mit dem befreundeten Cellisten Robert Hausmann unternahm Ziese 1884 eine kleine Tournee in Ostpreußen. Weitere musikalische Zusammenarbeit fand unter anderem mit Hermine Spies, Amalie Joachim und Joseph Joachim statt. Mit der Familie Mendelssohn war Elisabeth Ziese freundschaftlich verbunden.[3]
In ihrem Solorepertoire tauchen oft Werke von Domenico Scarlatti, Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart auf. Schwerpunkt ihrer kammermusikalischen Auftritte waren zeitgenössische Kompositionen.
1878 gastierte der Bariton Georg Henschel gemeinsam mit Max Brode und Elisabeth Ziese in eigenen Konzerten in Elbing und in Memel. Aufgeführt wurden neben Stücken von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Schumann und Mendelssohn Werke und Lieder von Henschel und Johannes Brahms.[14][15]
Höhepunkte in Zieses Konzerttätigkeit waren der Vortrag von Johann Sebastian Bachs Konzert für drei Klaviere in d-Moll BWV 1063 gemeinsam mit den Berliner Pianistinnen Emma Engelmann und Alexandra von Keudell beim Vierten Kammermusikfest des Beethovenhauses, das in Bonn vom 7. bis 11. Mai 1899 stattfand,[28] und eine Aufführung des Klavierquartetts Es-Dur op. 87 von Antonin Dvořák am 16. November 1900[A 1] in Leipzig mit Hanuš Wihans Böhmischem Streichquartett.[3] Über dieses Konzert berichtete das Journal Musikalisches Wochenblatt: „Zum Böhmischen Quartett kamen wir gerade als der letzte Satz des mit der Pianistin Frau Ziese-Schichau aus Elbing gespielten Esdur-Clavierquartetts von Dvořák begann. Die Ausführung desselben, wie des darauf nachfolgenden Streichquartetts Op. 127 von Beethoven war höchsten Lobes würdig, indem auch die Pianistin sich als eine treffliche Künstlerin documentirte.“[29]
Ab etwa 1895 organisierte Elisabeth Ziese die Abonnement-Konzerte sowie verschiedene karitative musikalische Veranstaltungen in ihrer Heimatstadt Elbing. 1900 war sie Gründungsmitglied der Neuen Bachgesellschaft in Leipzig.[3]
Im Danziger Orchester-Verein spielte sie 1901 gemeinsam mit Joseph Joachim, Max Brode und Robert von Mendelssohn das Klavierquartett A-Dur op. 26 von Johannes Brahms.[23] Mit Mitgliedern des Petersburger Quartetts spielte Elisabeth Ziese 1904 in Berlin das Klaviertrio op. 32 von Anton Arenski. Am 8. Mai 1910 interpretierte sie mit Artur Schnabel und Conrad Hausburg im Rahmen des Zweiten Ostpreußischen Musikfestes in Königsberg Bachs Konzert für drei Cembali in C-Dur BWV 1064.[3][11]
Große Anerkennung und Beifall fand ihr Auftritt beim Bachfest 1912 in Insterburg. Sie beeindruckte das Publikum am 31. März 1912 mit dem Klavierkonzert d-Moll BWV 1052 sowie mit Bachs Präludium und Fuge a-Moll.[27] Beim 47. Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins, das vom 27. Mai bis 1. Juni 1912 in Danzig stattfand, spielte sie gemeinsam mit dem Violinisten Henry Prins aus Danzig eine Sonate für Violine und Klavier von Willy Renner (1883–1955).[3][25][A 2]
Während des Festkonzerts zum 75-jährigen Bestehen der Königsberger Philharmonie im Jahr 1913 wurde die selten gespielte Fantasie für Pianoforte, Chor und Orchester op. 80 von Beethoven aufgeführt. Ziese hatte den „überaus schwierigen Klavierpart“ übernommen. Darüber berichtete die Neue Zeitschrift für Musik: „Die Dame imponiert durch ihr echt musikalisch-fachmännisches Spiel. Die Unzahl der Schwierigkeiten im Passagen- und Oktavenspiel, dem Kleinwerk eingestreuter, kleiner Tongruppen, den vielen Einsätzen, Tempowechsel u. v. a., dazu in langsamener Stellen die Kantilene feinfühligen Anschlages, ebenso die orgelpunktartigen Trillor längerer Ausdehnung usw. — dies alles überwand und brachte sie ohne auffallende Anstrengung leicht und ungezwungen.“[12]
Beim Mozart-Abend 1915 in München spielte Ziese einem Bericht der Münchner Neuesten Nachrichten zufolge nach der von ihr vorgetragenen Sonate a-Moll KV 310 auch zusammen mit Heinrich Schalit[A 3] das Andante mit Variationen in G-Dur KV 501 und die Sonate D-Dur für zwei Klaviere KV 448.[32] In Königsberg beeindruckte sie 1915 die Besucher eines Sinfoniekonzerts mit Beethovens C-Dur-Klavierkonzert op. 15 und dessen Andante favori.[13]
Nach dem Tod ihres Mannes Carl Heinrich Ziese im Jahr 1917 besuchte Elisabeth Ziese öfter Eugen Meyer, den Sohn ihrer bereits 1877 verstorbenen Schwester Selma, der zu dieser Zeit Besitzer von Schloss Itter war. Dort erkrankte sie während eines Aufenthalts im Frühjahr 1919 und verstarb nach kurzer Zeit.[34]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Münchner Neueste Nachrichten. Abendausgabe. 10. Juni 1919, S. 7 (Digitale Bibliothek ).
- ↑ Eberhard Westphal: Ferdinand Schichau. In: Fritz Pudor (Hrsg.): Elbinger Hefte. Heft 19/20, West-Verlag, Essen 1957, DNB 455495165, S. 108–111.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o Freia Hoffmann: Schichau, Elisabeth. In: sophie-drinker-institut.de. Sophie Drinker Institut für musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung, abgerufen am 8. Juni 2023.
- ↑ Nationalzeitung. Morgen-Ausgabe. 5. November 1869, Berlin 1869 (Digitale Bibliothek ).
- ↑ Akademische Hochschule für Musik 1869-1933. In: udk-berlin.de. Abgerufen am 8. Juni 2023.
- ↑ Eberhard Westphal: Carlson, Carl. In: Neue Deutsche Biographie. Band 3, 1957, S. 148–149 (Online-Version). Abgerufen am 15. Juni 2023.
- ↑ Neue Berliner Musikzeitung. 26. Jahrgang, Nr. 20, Berlin 1872, S. 157–158 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Neue Zeitschrift für Musik. Band 68, Nr. 51, Leipzig 1872, S. 514 (Digitale Bibliothek ).
- ↑ Neue Zeitschrift für Musik. Band 73, Nr. 47, Leipzig 1877, S. 500 (Digitale Bibliothek ).
- ↑ Signale für die musikalische Welt. 64. Jahrgang, Nr. 15/16, Leipzig 1906, S. 269 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Hermann Güttler: Das zweite ostpreußische Musikfest vom 6.–9. Mai 1910. In: Musikalisches Wochenblatt. 41. Jahrgang, Nr. 11, Leipzig 1910, S. 110 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Neue Zeitschrift für Musik. 80. Jahrgang, Nr. 51/52, Leipzig 1913, S. 719 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Neue Zeitschrift für Musik. 82. Jahrgang, Nr. 24, Leipzig 1915, S. 213 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Musikalisches Wochenblatt. 9. Jahrgang, Nr. 3, Leipzig 1878, S. 52 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Allgemeine Musikalische Zeitung. 13. Jahrgang, Nr. 18, Leipzig 1878, S. 283 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Allgemeine Musikalische Zeitung. 16. Jahrgang, Nr. 12, Leipzig 1881, S. 189 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Neue Zeitschrift für Musik. 54. Jahrgang, Band 83, Nr. 49, Leipzig 1887, S. 555 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Neue Zeitschrift für Musik. Band 75, Nr. 9, Leipzig 1879, S. 92 (Digitale Bibliothek ).
- ↑ Die Musik. 1. Jahrgang, Nr. 8, Berlin/Leipzig 1901/1902, S. 735 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Die Musik. 4. Jahrgang, Band 13, Nr. 4, Berlin/Leipzig 1904/1905, S. 291 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Musikalisches Wochenblatt. 14. Jahrgang, Nr. 51, Leipzig 1883, S. 639 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Musikalisches Wochenblatt. 15. Jahrgang, Nr. 50, Leipzig 1884, S. 619 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Die Musik. 1. Jahrgang, Nr. 5, Berlin/Leipzig 1901, S. 453 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Die Musik. 3. Jahrgang, Nr. 14, Berlin/Leipzig 1903/1904, S. 139 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Neue Zeitschrift für Musik. 79. Jahrgang, Nr. 20, Leipzig 1912, S. 293 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Musikalisches Wochenblatt. 15. Jahrgang, Nr. 50, Leipzig 1884, S. 620 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Neue Zeitschrift für Musik. 79. Jahrgang, Nr. 16, Leipzig 1912, S. 222 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Fritz Knickenberg: Viertes Kammermusikfest 1899. In: Verein Beethoven-Haus in Bonn – Bericht über die ersten fünfzehn Jahre seines Bestehens 1889–1904. Beethoven-Haus zu Bonn, Bonn 1904, S. 34 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b Musikalisches Wochenblatt. 31. Jahrgang, Nr. 50, Leipzig 1900, S. 673 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Die Musik. 3. Jahrgang, Nr. 15, Berlin/Leipzig 1903/1904, S. 222 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Signale für die musikalische Welt. 65. Jahrgang, Nr. 1/2, Leipzig 1907, S. 24 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ a b c Münchner Neueste Nachrichten. Morgenblatt. 22. Februar 1915, S. 2 (Digitale Bibliothek )
- ↑ Münchner Neueste Nachrichten. Morgenblatt. 27. Januar 1916, S. 2 (Digitale Bibliothek ).
- ↑ Helga Tödt: Die Krupps des Ostens. Schichau und seine Erben. Eine Industriedynastie an der Ostsee. Pro Business, Berlin 2012, ISBN 978-3-86386-345-6, S. 190–191.
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Freia Hoffmann: Schichau, Elisabeth In: sophie-drinker-institut.de. Sophie Drinker Institut für musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung, abgerufen am 8. Juni 2023, nennt als Konzertdatum den 26. November 1900. Dagegen wurde im Musikalischen Wochenblatt, das in Leipzig am 6. Dezember 1900 erschien (siehe Textarchiv – Internet Archive), als Konzertdatum der 16. November 1900 angegeben.
- ↑ Freia Hoffmann: Schichau, Elisabeth In: sophie-drinker-institut.de. Sophie Drinker Institut für musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung, abgerufen am 8. Juni 2023, nennt als Termin des 47. Tonkünstlerfestes in Danzig Ende Mai 1911. Dagegen wurde im Journal Neue Zeitschrift für Musik (siehe Textarchiv – Internet Archive), das in Leipzig am 16. Mai 1912 erschien, das Programm des 47. Tonkünstlerfestes für die Zeit vom 27. Mai bis 1. Juni 1912 veröffentlicht. Außerdem wurde in diesem Programm der korrekte Name des Danziger Violinisten mit Prins angegeben. Freia Hoffmann schrieb fälschlicherweise Pries.
- ↑ Der Name des Pianisten wurde im Zeitungsbericht mit Heinrich Schali unvollständig angegeben. Heinrich Schalit absolvierte von 1904 bis 1906 bei Theodor Leschetitzky ein Klavierstudium und lebte seit 1907 in München.
Personendaten | |
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NAME | Ziese, Elisabeth |
ALTERNATIVNAMEN | Schichau, Elisabeth (Geburtsname); Schichau, Elise; Ziese-Schichau, Elisabeth; Ziese-Schichau, Elise |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Pianistin und Organistin |
GEBURTSDATUM | 16. November 1854 |
GEBURTSORT | Elbing |
STERBEDATUM | 2. Juni 1919 |
STERBEORT | Itter (Tirol) |