Dampflokomotive Bauart Garratt – Wikipedia
Die Bauart Garratt ist eine spezielle Bauart von Dampflokomotiven mit zwei separaten Triebwerkseinheiten, die durch einen Brückenrahmen, der Dampfkessel und Führerstand trägt, verbunden sind. Die Garratt-Lokomotive gehört somit zur Gruppe der Gelenklokomotiven.
Der Name Garratt geht auf den Ingenieur Herbert William Garratt zurück, der zusammen mit der Firma Beyer, Peacock & Co. in Manchester diese Bauart der Lokomotiven entwickelte. Die erste Garratt, die TGR-Klasse K der Tasmanian Government Railways, wurde 1909 für die North-East Dundas Tramway in Tasmanien ausgeliefert. Weltweit wurden 1704 Garratt-Lokomotiven gebaut, davon allein 1124 für Afrika.[1]
Technische Merkmale
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Garratt-Dampflokomotive wurde unter der Anforderung entwickelt, auf Strecken mit leichtem Oberbau und engen Bögen, wie typischerweise bei Schmalspurbahnen, genügend Zugkraft für schwere Züge aufzubringen. Dazu wurden Garratts mit zwei separaten Fahrwerken mit jeweils eigener Dampfmaschine gebaut. Das vordere Fahrwerk wurde unter einem vorausfahrenden Rahmen mit Wasserkasten montiert, das hintere Fahrwerk unter dem hinteren Tender mit einem weiteren Wasserkasten und dem Brennstoffbehälter. Der Kessel einschließlich des Führerhauses stützte sich auf einem brückenartigen Rahmen mit dessen Enden über Drehzapfen auf den beiden Fahrwerken ab. Wegen dieser Bauweise und aufgrund der dadurch begünstigten tiefen Kessellage können Kessel und Feuerbüchse vollkommen frei und ohne Behinderungen durch Treibräder und Rahmenkomponenten bei thermischen und wartungstechnischen Eigenschaften optimal gestaltet werden:
- Großer Durchmesser, zahlreiche und enge Heizrohre im Überhitzer
- Tiefe Feuerbüchse mit frei zugänglichem Aschkasten
- Allseits gerade Stehkesselwände, dadurch Vorteile bei Herstellung und Wartung
- Niedrige Meterlast durch den Brückenrahmen[1]
Die Bauarten Mallet und Meyer sind bei diesen Merkmalen vergleichsweise im Nachteil. Problematisch ist bei Garratt-Maschinen wegen des Wasserkastens auf dem vorderen Laufwerk der Zugang zur Rauchkammer und zu den Kesselrohren, daher ist entweder der Wasserkasten mit einer Nische zum Ausschwenken der Rauchkammertür versehen oder ein hinreichend großer Abstand zwischen Kessel und dem vorderen Wasserbehälter vorhanden. Auch die Streckensicht des Personals ist konstruktionsbedingt eingeschränkt.
Durch die besonders günstige und thermisch effektive Kesselkonstruktion der Garratt-Bauart, die auch insbesondere bei engen Lichtraumprofilen möglich ist, sowie durch die günstige Verteilung der Masse des Fahrzeugs auf viele Achsen und eine große Länge und nicht zuletzt die verglichen mit anderen Gelenkkonstruktionen hervorragenden Laufeigenschaften wurde die Konstruktion von äußerst leistungsfähigen Maschinen mit geringer Achslast möglich. Besonders bewährten sie sich auf den mit wenig Aufwand gebauten Strecken in den ehemaligen afrikanischen Kolonien. Nachteilig sind die nötigen beweglichen Dampfleitungen und die im Betrieb durch den Brennstoff- und Wasserverbrauch abnehmende Reibungslast, die in dieser Form bei Schlepptenderlokomotiven der Regelbauart nicht auftritt.
Der Erfolg der Garratts sorgte bei Beyer-Peacock für Planungen von Super-Garratts mit jeweils einem Mallet-Triebwerkspaar unter jedem Tender. Das Patent wurde erteilt, die Maschinen kamen allerdings nie über die Planungsphase hinaus.
Einsatzgebiete
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Garratt-Lokomotiven waren vor allem in Afrika, Asien, Australien und Brasilien weit verbreitet.
In Europa gab es nur in Spanien einen größeren Einsatzbestand unterschiedlicher Garratt-Bauarten. Immerhin 33 Garratt-Lokomotiven wurden ab 1930 von der London, Midland and Scottish Railway (LMS) unter der Bezeichnung LMS Beyer Garratt im schweren Güterzugverkehr eingesetzt. Zusammen mit einem Einzelexemplar, das Sir Nigel Gresley für die London and North Eastern Railway (LNER) 1925 bauen ließ, wurden die Lokomotiven von British Railways bis Mitte der 1950er Jahre eingesetzt.[2]
Hauptproduzent war Beyer, Peacock & Co., worauf sich auch die häufig verwendete Bezeichnung Beyer-Garratt erklärt. Unter Lizenz bzw. nach Ablaufen des Patents wurden sie auch von anderen Herstellern gebaut, u. a. bei Henschel & Sohn in Kassel, Cockerill-Sambre in Lüttich, Euskalduna und Babcock & Wilcox in Spanien.
Heute sind Garratts hauptsächlich bei Museumsbahnen im Einsatz. In Europa ist insbesondere die Welsh Highland Railway für ihren Einsatzbestand von drei bis vier aus Südafrika und Tasmanien übernommenen Garratts bekannt, und in der Schweiz die Schinznacher Baumschulbahn, deren Garratt-Lok es als LGB-Modell gab. Die Staatsbahnen von Simbabwe setzen noch einige Exemplare im Rangierbetrieb kommerziell ein. Die Ferrocarril Austral Fueguino auf Feuerland hat zwei 1994 und 2006 neu gebaute 500 mm-Schmalspur-Garratts der FCAF-Klasse KM in Betrieb.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Anthony E. Durrant: Garratt-Lokomotiven der Welt. Birkhäuser Verlag ISBN 3-7643-1481-8
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- A Complete list of Garratt Locomotives (englisch)
- Garratt-Lokomotiven der PLM réseau d'Algérie (PLMA)
- LMS Beyer Garratt
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Thomas Franke: Garratts in Zimbabwe. Auferstehung. In: Lok Magazin. Nr. 7, 2014, S. 55.
- ↑ LNER Encyclopedia: The U1 Garratt ('The Wath Banker'), abgerufen am 5. Juni 2019