Almstadtstraße – Wikipedia
Almstadtstraße | |
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Straße in Berlin | |
Almstadtstraße, 2015 | |
Basisdaten | |
Ort | Berlin |
Ortsteil | Mitte |
Angelegt | um 1750 |
Hist. Namen | Verlohren Gasse, Verlorene Straße (um 1750–1817), Grenadierstraße (1817–1951) |
Anschlussstraßen | Rosa-Luxemburg-Straße (Querstraße nördlich), Münzstraße (Querstraße südlich) |
Querstraßen | Hirtenstraße, Schendelgasse |
Bauwerke | Liste der Kulturdenkmale in Berlin-Mitte/Spandauer Vorstadt |
Technische Daten | |
Straßenlänge | etwa 400 Meter |
Die Almstadtstraße (bis 1951: Grenadierstraße) ist eine Straße im Berliner Ortsteil Mitte. Sie war in den 1920er und 1930er Jahren die wichtigste Straße im jüdischen Teil des Scheunenviertels.
Lage und Verlauf
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Almstadtstraße liegt nordwestlich des Alexanderplatzes in der historischen Spandauer Vorstadt. Sie verläuft von der Rosa-Luxemburg-Straße im Norden bis zur Münzstraße im Süden. Historisch endete sie nördlich an der Linienstraße.
Die Straße hat seit 1951 eine wechselseitige Hausnummerierung, von den Hausnummern 1 und 2 an der Ecke Münzstraße bis zur Hausnummer 57 an der Rosa-Luxemburg-Straße. Davor gab es eine Hufeisennummerierung von der Nr. 1 an der Linienstraße bis zur Nr. 30 an der Münzstraße und auf der gegenüberliegenden Seite wieder zurück bis zur Linienstraße.
Namen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Straße hieß zuerst Verlohren Gasse, dann Verlorene Straße.[1] Die Bedeutung dieses Namens ist unbekannt. Seit 1817 hieß sie Grenadierstraße nach der nahegelegenen Kaserne (wie auch die benachbarte Dragonerstraße).
Am 31. Mai 1951 wurde sie nach dem kommunistischen Widerstandskämpfer Bernhard Almstadt benannt.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]18. bis 19. Jahrhundert
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Straße entstand um 1700/1750 und verlief außerhalb der alten Berliner Stadtmauer, aber innerhalb der neuen Zoll- und Akzisemauer. Dort wohnten zunächst vor allem Kleinunternehmer und Handwerkermeister mit ihren Familien.[2] Im Jahr 1855 errichtete der Drucker Ernst Litfaß an der Ecke zur Münzstraße seine erste „Annonciersäule“, die danach eine weite Verbreitung fand.
Im 19. Jahrhundert wurden auf allen Grundstücken größere Wohn- und Geschäftshäuser gebaut, in denen vor allem Kleinunternehmer, Händler, Arbeiter und weitere Bewohner, meist aus einfacheren Bevölkerungsgruppen, wohnten oder beruflich tätig waren.
1900–1945
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Seit 1914 und besonders nach 1917 kamen viele osteuropäische jüdische Flüchtlinge in das Scheunenviertel und auch indie Grenadierstraße.
„Den billigsten Wohnraum, das hatte sich rumgesprochen, gab es im Scheunenviertel; vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee, von den Karpaten bis zum Ural konnten die Juden den Namen seiner Magistrale buchstabieren: Grenadierstraße. Dort konnten sie zusammenrücken, dort waren sie unter ihresgleichen.“[4]
Im November 1923 kam es in der Grenadierstraße zu Ausschreitung von Arbeitslosen gegen jüdische und jüdisch aussehende Bewohner. Sie hatten wegen der steigenden Inflation kein Geld erhalten und machten nun dafür die Galizier verantwortlich.[5] Dabei wurden Geschäfte geplündert und Personen verprügelt und beraubt. („Am helllichten Tag wurden Juden überfallen, nackt ausgezogen und beraubt.“)[6] Die Polizei verhielt sich passiv.
Ab Mitte der 1920er Jahre war die Grenadierstraße überwiegend von ostjüdischen Einwanderern bewohnt. Sie bildete in dieser Zeit das Zentrum des jüdischen Lebens im Scheunenviertel zwischen Bülowplatz (jetzt Rosa-Luxemburg-Platz) und Münzstraße.[7] Es gab dort viele jüdische Geschäfte mit jiddischen Beschriftungen in hebräischer Sprache, sowie 19 Betschulen und Stibbeleks (Stübele, kleine Synagogen), Betstuben befanden sich im hinteren Teil der Häuser (alte Hausnummern 32, 6a, 36, 37, 43). Es gab aber auch weiterhin einige deutsche Bewohner.[8]
Bereits ab Ende der 1920er Jahre nahm die Zahl der ostjüdischen Bewohner offenbar wieder ab, weil sie abgeschoben wurden oder emigrieren konnten.
Die ersten jüdischen Bewohner kamen im April 1933 nach dem Judenboykott in wilde Konzentrationslager. Bis zum Jahr 1942 wurden die meisten verbliebenen Juden deportiert und ermordet.
1945–1990
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach 1945 blieben die meisten Häuser stehen, da die Gegend wenig von Kriegseinwirkungen betroffen war. Sie wurden vor allem als Wohnhäuser genutzt. Im Laufe der Jahrzehnte verschlechterte sich aber deren baulicher Zustand, daher wurden um 1986 einige abgerissen und durch Neubauten in kleinteiliger Plattenbauweise ersetzt.
Seit 1990
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ab 1990 wurden alle historischen Gebäude saniert. Dabei ging aber die letzten erhaltenen Inschriften an den Häuserwänden (eine auch in hebräischer Schrift) und der letzte Rest des historischen Flairs unwiederbringlich verloren.
Im Jahr 2021 installierte der Künstler Sebestyén Fiumei ein Straßennamenschild auf dem der ehemalige Name Grenadierstraße in jiddischer Sprache mit hebräischen Buchstaben geschrieben wurde.[9][10] (Historisch hatte es dort immer nur deutsche Straßenschilder gegeben.)
Bauten und Denkwürdigkeiten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der Almstadtstraße gibt es 19 Baudenkmäler. Vor allem während des Stadtumbaus 1987, ging mehr als die Hälfte der historischen Bausubstanz verloren. Dabei wurden sämtliche Kellergewerberäume umgewidmet und sind für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich (was in Nachbarstraßen noch erhalten blieben). Einzig ein Zugang in der Almstadtstraße 16 erinnert an vergangene Zeiten dieser Kellergewerbe.
Das älteste, noch erhaltene Objekt ist ein Ziegelsteinbrunnen mit einer massiven Brunnenröhre von 4,5 Meter Tiefe im Hof des Hauses Nr. 16. Er entstand um 1750 und stellt ein „außerordentlich seltenes Zeugnis der frühen innerstädtischen Wasserversorgung“[11] dar. Die beweglichen Teile des Brunnens befinden sich heute im Museum im alten Wasserwerk.
In der Almstadtstraße 25 steht das älteste, heute noch erhaltene Haus der Straße. Es wurde um 1825–1830 erbaut.
Seit 2006 steht eine bronzene Litfaß-Gedenksäule an der Ecke Münzstraße, in Erinnerung an die erste solche Säule von Ernst Litfaß von 1855. Diese wurde durch die VVR-Berek GmbH gestiftet.
Literarische Erinnerungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das jüdische Leben in der Grenadierstraße wurde in einigen belletristischen Werken und Erinnerungsliteratur mehrfach detailliert beschrieben.
- Fischl Schneersohn: Grenadierstraße, Roman (in jiddischer Sprache), in Literarishe bleter, Warschau, 1935, in jiddischer Sprache
- Grenadierstraße, aus dem Jiddischen ubersetzt von Alina Blothe. Wallstein Verlag, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8353-1082-7.
- Martin Beradt: Beide Seiten einer Straße, Roman, 1940 entstanden, ungedruckt, 1965 erstmals verlegt
- Die Straße der kleinen Ewigkeit. Ein Roman aus dem Berliner Scheunenviertel. Mit einem Essay und einem Nachruf von Eike Geisel. Eichborn, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-8218-4190-7.
- Mischket Liebermann, Erinnerungen, 1977, auch mit Schilderungen aus der Grenadierstraße, wo ihr Vater Rabbiner war
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Horst Helas: Die Grenadierstraße im Berliner Scheunenviertel. Ein Ghetto mit offenen Toren. Hentrich & Hentrich, Berlin 2010, ISBN 978-3-941450-21-9.
- Tobias Brinkmann: Migration und Transnationalität. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012, ISBN 978-3-506-77164-3., mit Erwähnungen aus der Grenadierstraße
- In den Straßen von Berlin, in Spoegel, 3/2021, Text
- Karsten Krampitz: Straße der Verlorenen. In: Berliner Morgenpost, 6. April 2003
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Almstadtstraße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert)
- Kathrin Chod, Herbert Schwenk, Hainer Weisspflug: Almstadtstraße. In: Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke (Hrsg.): Berliner Bezirkslexikon, Mitte. Luisenstädtischer Bildungsverein. Haude und Spener / Edition Luisenstadt, Berlin 2003, ISBN 3-89542-111-1 (luise-berlin.de – Stand 7. Oktober 2009).
- Almstadtstr. 16 Talmud Thora Ez Chaim. In: Berlin Transit – Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren
- Almstadtstr. 15. Kemplers Krakauer Café und koschere Konditorei. In: Berlin Transit – Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren
- Almstadtstr. 10. Hebräische Buchhandlung und Plattenfirma „Semer“. In: Berlin Transit – Jüdische Migranten aus Osteuropa in den 1920er Jahren
- Suche nach Almstadtstraße. In: Deutsche Digitale Bibliothek
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Almstadtstraße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert), ohne Angaben über die Herkunft der Informationen, besonders des ersten Straßennamens
- ↑ Verlorene Straße. In: Karl Neander von Petersheiden: Anschauliche Tabellen, 1799, S. 180–181., erstes Berliner Straßenverzeichnis, siehe auch folgende Jahre
- ↑ Stadt ist Migration – Die Berliner Route der Migration – Grundlagen, Kommentare, Skizzen. ( vom 4. März 2016 im Internet Archive) (PDF)
- ↑ Karl Heinz Krüger: Im Kiez der armen Schlucker. In: Der Spiegel. Nr. 7, 1991 (online).
- ↑ Karsten Krampitz: Straße der Verlorenen: Als Berlin geschändet wurde. (mp3-Audio; 40 MB; 43:54 Minuten) In: Deutschlandfunk-Feature. 7. November 2023, abgerufen am 7. November 2023 (pdf, 390 kB; txt).
- ↑ Karsten Krampitz: Es begann am Arbeitsamt. In: Berliner Zeitung. 5. November 2003, abgerufen am 7. November 2023.
- ↑ Baustein 12: Das Berliner Scheunenviertel – das ‚freiwillige‘ Ghetto. In: Baustein – Ghettos: Vorstufen der Vernichtung. LpB Baden-Württemberg, mit einigen Informationen zum Scheunenviertel, besonders Zitate ganz unten
- ↑ Grenadierstraße. In: Berliner Adreßbuch, 1928, IV. Teil, S. 382–383., mit allen offiziellen Mietern Ende 1927, dabei gab es zahlreiche deutsche Namen, besonders an den letzten Gebäuden zur Linienstraße, siehe auch andere Jahre.
- ↑ Lena Fiedler: Wie ein Künstler die ehemalige Grenadierstraße in Mitte zum Stolperstein machte. In: Berliner Zeitung. 22. August 2021, abgerufen am 15. September 2021.
- ↑ גרענאדיערשטראסע – Ein Kunstprojekt von Sebestyén Fiumei. In: haGalil. 28. Juni 2021, abgerufen am 12. April 2023.
- ↑ Berlin, Almstadtstraße 16 (Landesdenkmalamt Berlin) in der Deutschen Digitalen Bibliothek
Koordinaten: 52° 31′ 35″ N, 13° 24′ 35″ O