Histotainment – Wikipedia

Histotainment (aus englisch History ‚Geschichte‘ – und Entertainment), auch Historytainment, ist ein Kofferwort für die Vermengung von historischer Information mit Unterhaltung.[1] Die Begriffswahl erfolgt analog zu Infotainment (aus Information und Entertainment). Die Wortbildung „Histotainment“ birgt durch ihre Ähnlichkeit mit Begriffen wie Histologie oder verwandten Begriffen die Gefahr von Missverständnissen.

Histotainment bezeichnet also eine Verbindung von Bildung und Unterhaltung im Bereich Geschichte. Sie kann die Vermittlung geschichtlicher Kenntnisse erleichtern und den fiktionalen Unterhaltungsangeboten historische Plausibilität unterlegen.

Histotainment existiert seit dem 19. Jahrhundert in historischen Romanen, Dramen und Historiengemälden. Seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fanden historische Hörspiele und Historienfilme ein noch breiteres Publikum. Auch Reenactments wie Mittelaltermärkte, Ritterspiele oder die Nachstellung von Schlachten haben bereits eine lange Tradition.[2]

Durch die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung und der Verbreitung über elektronische Medien gewinnt Histotainment seit rund 50 Jahren zusätzlich an Bedeutung. Die elektronische Datenverarbeitung ermöglicht die rasche Rekonstruktion verschwundener Objekte in 3D, die Manipulation historischen Datenmaterials und die Verbindung von realen Objekten und rekonstruierten Bildern (Virtuelle Realität, Augmented Reality). Es entstanden Mischformen wie Features, Dokudramen und Doku-Soaps mit historischen Inhalten. In vielen Computerspielen werden Geschichte und Action verbunden.

Die Verbreitung über elektronische Medien erweitert den Adressatenkreis: Über die Sozialen Medien und portable Geräte kann Histotainment jederzeit und überall zugänglich gemacht werden. Histotainment spielt also in der öffentlichen Geschichtsvermittlung und in Public History eine große Rolle. Sie beeinflusst das Geschichtsbild einer großen Zahl von Menschen. Diese Rolle wird kontrovers diskutiert.

Bisher der Anschauung entzogene, vergangene Sachverhalte, Objekte und Personen können dank Histotainment lebendig und unterhaltsam dargestellt werden. Computerspiele ermöglichen dem Publikum sogar die Interaktion mit ihnen. Dies erhöht die Motivation für den Umgang mit Vergangenheit, die Neugier auf Geschichte sowie den Spaß am historischen Lernen. Konkret werden folgende Stärken von Histotainment aufgezählt:

  • Förderung von Empathie mit Personen und Situationen aus der Vergangenheit, dadurch, dass diese lebendiger vergegenwärtigt und an die Lebenswelt des Publikums herangeführt werden.
  • Die Personalisierung abstrakter historischer Vorgänge, indem auch Menschen, die in der „großen“ Geschichte nicht auftauchen, als Hauptpersonen dargestellt oder gar Spielfiguren dargeboten werden, zeigt deren Handlungsmöglichkeiten und generell die Offenheit der jeweiligen vergangenen Gegenwart auf.[3]
  • Die Konfrontation mit vergangenen fremden Milieus und Welten kann das interkulturelle Verständnis fördern.
  • Die Interaktion des Publikums mit elektronischen Medien steigert die Motivation.
  • Histotainment ermöglicht Unterhaltung und Spaß und vermag damit vergangene Geschichte in einem breiten Publikum zum Leben zu erwecken. Davon profitieren auch die historische Forschung und Wissenschaft.

Von der Geschichtswissenschaft wird Histotainment auch kritisch beurteilt, weil mit den darin enthaltenen Rekonstruktionen historische Korrektheit suggeriert wird, obwohl das Gezeigte mit der empirisch belegbaren Wirklichkeit von Geschichte oft wenig zu tun hat. Konkret werden Histotainment folgende Schwächen vorgeworfen:

  • Banalisierung: Histotainment reduziert Geschichte auf ein vereinfachtes Bild der Vergangenheit. Sie vermittelt oft unreflektierten Fortschrittsglauben und nimmt Anachronismen in Kauf.
  • Die Quellen, insbesondere die Zeitzeugen/Zeitzeuginnen, werden verkürzt dargestellt oder falsch inszeniert, zudem unkritisch eingesetzt.
  • Die Kommerzialisierung beeinflusst Histotainment-Produkte in einer einseitigen Richtung, die nicht den Prinzipien von Public History oder Geschichtsdidaktik entspricht.

Beispiele von historischen Romanen

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Wikipedia-Artikel Historischer Roman

Beispiele von Historienfilmen

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Wikipedia-Artikel, Liste

Beispiele von Geschichtsabenteuern im Gelände und von Geschichtslehrpfaden

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Beispiele von Museen mit ausgeprägten Histotainment-Konzepten

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Beispiele von Computerspielen

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  • Daniel Giere: Computerspiele – Medienbildung – historisches Lernen. Zu Repräsentation und Rezeption von Geschichte in digitalen Spielen. Wochenschau Verlag, Frankfurt/M. 2019. ISBN 978-3-73-440825-0
  • Peter Gautschi: «Histotainment» on the Tablet PC and in the Bourbaki Museum. In: Joanna Wojdon (Hrsg.): E-teaching History. Cambridge Scholars Publishing, Newcastle upon Tyne 2016, ISBN 978-1443885843, S. 38–49.
  • Marko Demantowsky und Christoph Pallaske (Hrsg.): Geschichte lernen im digitalen Wandel. München 2015, ISBN 978-3-486-76136-8 (Broschur), ISBN 978-3-486-85866-2 (PDF), ISBN 978-3-11-039904-2. herunterzuladen unter der Verlagsplattform
  • Daniel Appel (Hrsg.): Welt|Krieg|Shooter. Computerspiele als realistische Erinnerungshilfen? Boizenburg 2012, ISBN 978-3-86488-010-0,
  • Christian Heger: Zeitgeschichte im Fernsehen. Eine Beispiel-Analyse der ZDF-Dokumentation ‚Die wilden Siebziger‘. In: Ders.: Im Schattenreich der Fiktionen: Studien zur phantastischen Motivgeschichte und zur unwirtlichen (Medien-)Moderne. AVM, München 2010, ISBN 978-3-86306-636-9, S. 192–203.
  • Thomas Wagner: Aktuelle Geschichtsforschung mit neuen Medien. Der 46. Historikertag in Konstanz, Deutschlandfunk vom 21. September 2006
  • „Bildungsfernsehen sollte auch bilden“. Ein Interview mit dem Geschichtsdidaktiker Dr. Oliver Näpel, Universität Münster.
  • Frank van Bebber: Aversionen gegen Herrn K. Geschichtssendungen von Guido Knopp sind beliebt. Historiker kritisieren die Qualität der Berichte. In: Der Tagesspiegel. 25. September 2006, abgerufen am 24. Februar 2011.
  • Der Boom der Geschichte. ARD, 25. September 2006, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. Oktober 2006; abgerufen am 24. Februar 2011.
  • Patricia Pätzold-Algner: Das Wissen sichern ohne „Histotainment“. Studierende der TU Berlin produzieren Berichte von Holocaust-Überlebenden für Fernsehen und Hörfunk. In: Medieninformationen im Jahr 2001 Nr. 79. Technische Universität Berlin, 23. April 2001, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 14. November 2002; abgerufen am 25. Februar 2011.

Einzelnachweise

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  1. zur Entstehung des Begriffs: https://lyonelkaufmann.ch/histoire/2016/11/15/etre-historienne-a-lere-de-lhistotainment/
  2. siehe auch den Wikipedia-Artikel über Living History
  3. siehe auch den Wikipedia-Artikel über Gamification; Peter Gautschi: Gamification as a Miracle Cure for Public History?. In: Public History Weekly 6 (2018); Monika Fenn: Kriegsspiel mit Herz? Computergames zum Ersten Weltkrieg. In: Public History Weekly 2 (2014).