Chemische Reinigung – Wikipedia
Die chemische Reinigung ist die Reinigung von Textilien in nichtwässrigen Lösungsmitteln. Sie ist die bisher üblichste Form der professionellen Textilreinigung; verdeutlichend spricht man heute eher von Trockenreinigung (im Unterschied zur wasserbasierten Reinigung in einer Wäscherei sowie zur neuentwickelten professionellen Nassreinigung). Sie hat gegenüber der Reinigung mit Wasser den Vorteil, dass die Fasern der Textilie nicht aufquellen, sondern die Form beibehalten, die sie auch im trockenen Zustand haben. Das hierbei verwendete Lösemittel umspült die Faser lediglich.
In Österreich wird ein Unternehmen, das eine chemische Reinigung betreibt, häufig als Putzerei bezeichnet.
Reinigung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Viele Textilien, insbesondere solche, in denen unterschiedliche Stoffarten verarbeitet sind, wie Herrenanzüge, Damenkostüme oder Mäntel, lassen sich nur bedingt mit Wasser oder wässrigen Waschlösungen reinigen, da sie sich hierbei verformen oder ihre Farbe verlieren können. Seidenkleider verlieren ihre Textilstruktur, sie werden weich und schlaff, wenn sie mit Wasser gewaschen werden.
Besondere Anwendung findet eine Reinigung mit Kohlenwasserstoff-Lösungsmittel (KWL) bei hochwertigen Braut- und Abendkleidern. Perlen und Pailletten, auch Knöpfe werden mit KWL chemisch nicht beschädigt und verlieren keinen Glanz.[1] Flecken in Kleidung müssen vor der Reinigung in einer Reinigungsmaschine mit einem Spezialmittel vorbehandelt werden, damit sie beseitigt werden können. Bei einer Vorbehandlung kann auch festgestellt werden, ob gefärbte Teile 'ausfärben'. Hier sind dann besondere Maßnahmen nötig um ein Abfärben von z. B. roten Kleid-Teilen auf andere Teile (oft weiß) zu vermeiden.
Solche Textilien werden im Allgemeinen in speziellen Textilpflegebetrieben oder Reinigungen mit (organischen) Lösungsmitteln gereinigt. Welche Reinigungsmittel verwendet werden können, ist als Pflegekennzeichen (Textilpflegesymbol) auf dem Etikett der Textilie vermerkt. Die Pflegekennzeichnung „P“ steht für Perchlorethylen (heutiger Name: „Tetrachlorethen“), „F“ für Feuergefährliches Schwerbenzin (später wurde auch FCKW verwendet, das aber seit 1992 in Deutschland für chemische Reinigung nicht mehr zulässig ist; ersatzweise werden heute wieder Kohlenwasserstoff-Lösungsmittel (siehe unten) eingesetzt). Tetrachlorethen ist ein Chlorkohlenwasserstoff (CKW) und umwelt- sowie gesundheitsgefährdend.
Das ursprünglich benutzte Terpentinöl war durch krebserregendes Benzol ersetzt worden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ging man zum feuergefährlichen Benzin über. Mit dem Aufkommen der nichtbrennbaren Lösungsmittel wurde die Benzinreinigung durch Organochlorverbindungen (Trichlorethen (Tri), Tetrachlorethen) und auch Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) verdrängt, die allerdings umwelt- und gesundheitsschädlich und bis auf Tetrachlorethen (PER) heutzutage verboten sind (2. Bundesimmissionsschutzverordnung bzw. in CH Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung); die Lösungsmittel werden im Kreislauf erneut eingesetzt. Seit Anfang der 1990er Jahre wird das sogenannte Kohlenwasserstoff-Lösungsmittel, ein Gemisch aus aliphatischen Kohlenwasserstoffen mit neun bis zwölf Kohlenstoffatomen (C9-C12 auch KWL genannt) eingesetzt, eine Handelsbezeichnung für dieses Reinigungsmittel ist Shellsol.[2] Neuerdings werden auch Siloxane und spezielle Ester eingesetzt.[3]
Seit dem Jahr 2006 wird auch überkritisches Kohlendioxid in kommerziellen Reinigungen für Privatkunden verwendet, die Anzahl der Annahmestellen war Ende des Jahres 2007 jedoch auf wenige Dutzend in ganz Deutschland begrenzt. Weil das Lösemittel Kohlendioxid eine deutlich umweltfreundlichere chemische Reinigung ermöglicht, gibt es dafür den Blauen Engel (Jury Umweltzeichen, RAL-UZ 126).[4]
Wirtschafts- und rechtsgeschichtlich ist der Wirtschaftszweig der Chemischreinigung bemerkenswert, weil er als einer der ersten Wirtschaftszweige des Deutschen Reichs zusammen mit den Spediteuren und Banken schon um 1900 einheitliche Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) entwickelt hat, d. h. das „Kleingedruckte“ auf der Rückseite der Einlieferungs- und Abholzettel, die man bei der Abgabe eines Kleidungsstückes zur Reinigung erhält. Die Entwicklung eigener AGB war um 1900 höchst modern und fortschrittlich. Die in den Chemischreinigungs-AGB traditionell geregelte Haftungsbeschränkung bei Verlust oder Beschädigung des Kleidungsstückes auf das 15fache des Reinigungspreises hat seit 1900 zu vielen Gerichtsprozessen und -urteilen geführt, die in der juristischen Literatur behandelt sind. Als Konditionenkartell hat der Wirtschaftszweig und -verband der Chemischreinigung auch das Kartellrecht und die Kartellbehörden beschäftigt.
Allgemeine Hinweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bei der Textilreinigung mit organischen Lösemitteln (P, F) lösen sich hydrophobe Stoffe (Fette, Wachse und Öle) relativ gut. Hier gilt die Faustregel „Ähnliches löst sich in Ähnlichem“. Wasserhaltige Verfleckungen lösen sich jedoch besser bei der Wäsche mit waschmittelhaltigem normalem Wasser. Bei der Textilreinigung mit organischen Lösemitteln kann es so vorkommen, dass nicht sichtbare Verfleckungen (Wasserränder, Eiweiß, Stärke etc.) erst nach der Reinigung sichtbar werden. Bei Stoffen, die eine Behandlung mit Wasser nicht zulassen (Pflegekennzeichen – Waschen verboten) werden die Flecken durch Zusätze in der Reinigungsmaschine oder eine örtliche Detachur (Fleckbehandlung) entfernt.
Neuentwicklungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bisher waren Chemischreinigung, Trockenreinigung und professionelle Reinigung weitgehend gleichbedeutend. Eine Neuentwicklung ist die professionelle Nassreinigung, das Pflegekennzeichen ist W (Wet, Wasser) in einem Kreis. Auch bei Textilien, die unter haushaltsüblichen Bedingungen nicht gewaschen werden dürfen, ist eine Reinigung mit Wasser unter den besonderen Bedingungen der professionellen Nassreinigung oft gleichwohl möglich. Diese Neuentwicklung erzielt oft bessere Reinigungsergebnisse als die Trockenreinigung und gilt als besonders effektiv, kostengünstig und umweltschonend, führt jedoch zu einem stärkeren Aufquellen und Schrumpfen durch Hydratation und einer geminderten Haltbarkeit der Textilfasern.
Rechtliches
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Für Arbeitnehmerschutz, Arbeitssicherheit und Gesundheitsvorsorge in den Betrieben ist die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) zuständig.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Als Erfinder wird der französische Schneider Jean-Baptiste Jolly-Bellin genannt, dem um 1850 versehentlich eine Spirituslampe auf ein Tischtuch gekippt sein und der danach die saubereren Stellen auf dem Tuch erkannt haben soll. Allerdings sollen schon länger die reinigenden Fähigkeiten von Terpentinöl bekannt, jedoch nicht wirtschaftlich nutzbar gewesen sein. Erster deutscher Anbieter von Trockenreinigung war der Seidenfärber Wilhelm Spindler um 1870.[5]
Wurde zur Textilreinigung zunächst Petroleum und Benzol verwendet, so ersetzte man diese Stoffe ab 1870 gegen Leichtbenzin.[6] Ab den 1920er Jahren wurde Schwerbenzin verwendet.[6] Diese Lösemittel besaßen eine hohe Brennbarkeit.[6] Von 1900 bis etwa 1960 wurde daher Tetrachlorkohlenstoff als nicht-brennbares, aber toxisches Lösungsmittel eingesetzt.[6] In der Folgezeit wurden daher zunehmend die weniger toxischen Lösungsmittel Tetrachlorethen (Per) und Trichlorethan (Tri) verwendet.[6] Ab den 1950er Jahren wurden die ungiftigen und unbrennbaren, aber klimaschädlichen FCKW R113 und R11 entwickelt.[6] Seit dem 31. Dezember 1992 dürfen FCKW in Deutschland nur noch mit Ausnahmegenehmigung verwendet werden.[6]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Gerold Schmidt: Handbuch des Textilreinigungs- und Kleidungsschadenrechts – Chemischreinigung und Wäscherei. Rechtsprechungs-Kommentar. Verlag Neuer Merkur GmbH, München 1969, S. 237.
- Herbert Pruns: Besprechung von Gerold Schmidt, Handbuch usw. In: Monatsschrift für Deutsches Recht – MDR, 23 (1969) 703.
- Herbert Pruns: Besprechung von Gerold Schmidt, Handbuch usw. In: Kritische Justiz, (1969) 219.
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Übersicht zu Reinigungsverfahren und Lösemitteln in der Textilreinigung. Deutscher Textilreinigungs-Verband, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 8. Dezember 2015; abgerufen am 3. Dezember 2015. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ K. Hungerbühler, J. Ranke, T. Mettier: Chemische Produkte und Prozesse. Springer, 1999, ISBN 978-3-540-64854-3, S. 251 (Daten).
- ↑ Patent DE69902172: Verfahren zum chemischen Trockenreinigen. Angemeldet am 14. Juli 1999, veröffentlicht am 27. Februar 2003, Anmelder: Grennearth Cleaning LLC, US, Erfinder: Wolf-Dieter Berndt.
- ↑ Textilreinigung mit Kohlendioxid, RAL-UZ 126 ( des vom 1. November 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. auf blauer-engel.de.
- ↑ 28. Dezember 2009 - Vor 160 Jahren: Jolly-Bellin "erfindet" die chemische Reinigung, Stichtag - Stichtag. In: wdr.de. 28. Dezember 2009, abgerufen am 21. Oktober 2022.
- ↑ a b c d e f g A. Amanpour, K. Hertlein et al.: Reinigung mit Kohlenwasserstoffen und Wasser: praxisbewährte Verfahren für die Metall-, Kunststoff-, Elektronik- und Textilbranche und für weitere Anwender ; mit 35 Tabellen. Band 469 von Kontakt und Studium, Oberflächentechnik, expert verlag, 1995, ISBN 978-3-8169-1088-6, S. 214–231.