Scheinanlage – Wikipedia

Der Leitbunker der Kruppschen Nachtscheinanlage (2013)

Als Scheinanlage bezeichnet man Attrappen von kriegswichtigen Zielen, die zur Täuschung feindliche Angriffe auf sich ziehen sollten, damit das zu schützende Ziel verschont bliebe.

Vor allem im Zweiten Weltkrieg versuchten sich die Kriegsparteien wegen der zunehmenden Luftangriffe durch Vortäuschung von gefährdeten Anlagen wie Bahnhöfen, Flugplätzen (siehe auch Scheinflugplatz) oder Industrieanlagen mithilfe von Scheinzielen zu schützen. Auch die Positionierung von Scheinschiffen z. B. vor den Küsten des Ärmelkanals ist bekannt.

Tagesscheinanlagen

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Tagesscheinanlagen waren aufwändig, da bei guter Sicht auch Details nachgebaut werden mussten, um eine Täuschung zu erreichten. Vor allem aber war bei Tag auch die in der Nähe stehende Originalanlage zu sehen und damit der Täuschungseffekt unzuverlässig. Daher waren sie eher selten. Ein Beispiel war die 1940/1941 errichtete Scheindarstellung der Lombardsbrücke in Verbindung mit der Flächentarnung der Binnenalster in Hamburg, um den alliierten Bombern die Orientierung beim Auffinden des Hamburger Hauptbahnhofs zu erschweren.[1]

Nachtscheinanlagen

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Bei Nacht konnten die Originalanlagen durch Abschalten der Beleuchtung verborgen werden (Verdunkelung). Extra beleuchtet wurden hingegen die in der Nähe befindlichen Scheinanlagen. Durch schwache Lichtquellen wirkten auch vergleichsweise einfache Konstruktionen relativ echt.

Im Deutschen Reich experimentierte man seit 1937 auf zwei Versuchsgeländen in Hamm in Westfalen und in Pausin, im Kreis Nauen, mit der Entwicklung von Täuschungsgeräten. Die Ergebnisse mündeten in den „Bau- und Betriebsgrundsätzen für Scheinanlagen“ des Reichsluftfahrtministeriums vom November 1942. Darin werden neben den topographischen Bedingungen zur Errichtung einer Scheinanlage auch die Bauanleitungen von 21 Täuschungsgeräten veröffentlicht.[2]

Neben Bauten setzte man auch auf Effekte. So wurden beispielsweise Rauchschwaden oder Schweißlichtblitze erzeugt, die Arbeiten vortäuschten. Auch Eisenbahnen wurden eigens im Kreis fahren gelassen.[3] Es galt vor allem die Pfadfinder-Piloten der Alliierten zu täuschen, die für die nachfolgenden Bomber das Ziel mit farbigen Leuchtbomben („Christbaum“) markierten. Die Farbe wechselte von Einsatz zu Einsatz. Die Scheinanlage musste daher Signalraketen in unterschiedlichen Farben vorrätig haben. Wurde in der Umgebung die Farbe einer Markierung gesichtet, erhielt der kommandierende Offizier der Scheinanlage den Befehl, von seiner Stellung dieselbe Leuchtraketenfarbe abzuschießen und die Bomber zu sich zu locken.[4] Um bei laufenden Bombenangriffen nachfolgende Bomberbesatzungen zu den Scheinanlagen zu locken, wurden sogar Bombentreffer simuliert.[3] Die Besatzungen der Scheinanlagen, die die Effekte steuerten, zogen damit das Feuer auf sich.

Durch die im Kriegsverlauf vermehrt ausgeführten Angriffe bei Tag mit guter Sicht und vor allem die Entwicklung des Radars und die damit verbesserte Zielführung wurden in der Mitte des Zweiten Weltkriegs viele Scheinanlagen wirkungslos.

Bekannte Scheinanlagen in Deutschland

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  • Luftwaffen-Dienstvorschrift 2400 Betrieb von Scheinanlagen, L.Dv.g. 2400, herausgegeben vom Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Ausgabe Mai 1941.
  • Bau- und Betriebsgrundsätze für Scheinanlagen, herausgegeben vom Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Ausgabe November 1943.
  • Erich Hampe: Der Zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg – Dokumentation und Erfahrungsberichte über Aufbau und Einsatz. Bernard und Graefe Verlag, 1963.
  • Ulrich Oertel: Täuschen, tarnen und vernebeln: Spezielle Luftschutzmaßnahmen der Hermann-Göring-Werke im Zweiten Weltkrieg (1939–1945). Selbstverlag, 2012, ISBN 978-3-00-037688-7.
  • Jürgen Lohbeck: Das vergessene Scheindorf in Velbert – Die Kruppsche Nachtscheinanlage auf dem Rottberg im Zweiten Weltkrieg 1941–1945. Scala Verlag, Velbert 2012, ISBN 978-3-9813898-6-9. (Kurzfassung)
  • Jürgen Lohbeck: Der Krieg vor unserer Haustür – Ereignisse, Erlebnisse, Schicksale im Zweiten Weltkrieg in Velbert, Langenberg und Umgebung. Scala, Velbert 2013, ISBN 978-3-9813898-9-0. (Kurzfassung)
  • Elke Janßen-Schnabel: Das Scheindorf der Kruppwerke. In: Denkmalpflege im Rheinland. 30. Jahrgang, 2013, Nr. 4. (ISSN 0177-2619)
  • Helmut Grau, Jürgen Lohbeck, Josef Johannes Niedworok, Sven Polkläser: Vergessene Täuschungsbauwerke des Zweiten Weltkrieges. Die Krupp'sche Nachtscheinanlage in Velbert. In: Archäologie im Rheinland 2013. Theiss Verlag, Darmstadt 2014, ISBN 978-3-8062-2986-8.
  • Wiebke Hoppe: Kruppsche Nachtscheinanlage, Kreis Mettmann. In: LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz (Hrsg.): Archäologische Kriegsrelikte im Rheinland. Klartext Verlag, Essen 2014, ISBN 978-3-8375-1323-3.
  • Martin Brehl u. a.: Tarn- und Scheinanlagen am Fliegerhorst Uetersen – Unbekannte Maßnahmen im Zweiten Weltkrieg. RWM, Eltville 2014, ISBN 978-3-944988-02-3. (Kurzfassung)
  • Günter Keller: Die Scheinanlage "Stuttgarter Bahnhof 1940–1943 im Großen Feld zwischen Lauffen, Hausen und Nordheim. Verlag Regionalkultur, 2017, ISBN 978-3-95505-014-6.
  • Helmut Grau, Jürgen Lohbeck, Sven Polkläser: Die Krupp’sche Nachtscheinanlage in Velbert. Scala Verlag, Velbert 2017, ISBN 978-3-9816362-8-4. (Kurzfassung)

Einzelnachweise

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  1. Hampe: Der Zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg (Memento des Originals vom 9. Mai 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bbk.bund.de auf: bbk.bund.de.
  2. Bau- und Betriebsgrundsätze für Scheinanlagen. herausgegeben vom Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Ausgabe November 1942, darin V. Anhang Zusammenstellung der Täuschungsgeräte.
  3. a b Miriam Dabitsch: Wie die Krupp'sche Nachtscheinanlage in Velbert Leben rettete. Lokalkompass, abgerufen am 25. August 2023.
  4. Georg Friedel: DIE SCHEINANLAGE DER NAZIS BEI WEILIMDORF LOCKTE NACHTS BOMBER IN DEN STUTTGARTER NORDEN. Abgerufen am 25. August 2023.
  5. Juliane Renk: Rüblingen hatte einen Tarnflughafen. In: Hohenloher Zeitung. 16. April 2015.