Passetschnoje (Krasnojarsk) – Wikipedia
Dorf
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russisch Пасечное, übersetzt ins Deutsche etwa Bienenhaus) ist ein ehemaliger Verbannungsort in der sibirischen Taiga. Das derzeitige Dorf (derewnja) gehört zur Gemeinde Tschindat im Bezirk Tjuchtet im Westen der russischen Region Krasnojarsk.
Passetschnoje (Geographie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Passetschnoje befindet sich etwa 5 Kilometer Luftlinie (8 Kilometer Landweg) nördlich von Tschindat und 120 Kilometer nördlich des Bezirkszentrums Tjuchtet. (Tjuchtet wiederum ist 280 Kilometer von Krasnojarsk entfernt.) Passetschnoje liegt am Ufer des Flüsschens Tschindat, einem Zufluss des Tschulym, und auf einer Höhe von 145 Metern über dem Meeresspiegel.[1]
Zusammen mit den Dörfern Ust-Tschulsk und Tschindat bildet Passetschnoje die Gemeinde (selsowet) Tschindat.
Bevölkerung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Jahr 2010 lebten in Passetschnoje 140 Einwohner[1] (64 Frauen, 76 Männer); 115 davon bezeichneten sich als Angehörige der indigenen Volksgruppe der Tschulym. Einschließlich weiterer inzwischen fast völlig aufgegebener Siedlungen und isolierter Gehöfte im Umland gibt es in und um Passetschnoje rund 190 Tschulym.[2] Da ein Großteil der eigentlich turksprachigen Tschulym inzwischen aber mit Chakassen und Russen vermischt ist[2][3][4][5], sprechen auch die Einwohner von Passetschnoje neben Tschulymisch vor allem Chakassisch und Russisch. Es gibt heute in ganz Sibirien nur noch einige Hundert Tschulym, von denen wiederum nur noch wenige Dutzend Ältere ihre Sprache beherrschen.[3] Die Zukunft dieser Sprache ist trotz staatlicher Förderung stark gefährdet.[6][7]
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Jahrhundertelang war das abgelegene Gebiet nur von Tschulym und sibirischen Tataren bevölkert, die Tschulym zählten sich lange selbst zu den Tataren.[3][4] Mit den Stolypinschen Reformen kamen Anfang des 20. Jahrhunderts russische und weißrussische Siedler (und Imker) in das Gebiet[8], ihre Siedlungen aber waren schon nach Weltkrieg, Revolution und Bürgerkrieg entvölkert oder verlassen worden. Nach der Errichtung der Sowjetherrschaft wurden ab 1930 Gegner der Zwangskollektivierung und Angehörige aufsässiger Volksgruppen aus anderen Regionen Russlands und der Sowjetunion nach Krasnojarsk, Tjuchtet und Passetschnoje deportiert. Im Juni 1933 wurden 1200 enteignete Bauern aus Mordwinien in das Gebiet von Passetschnoje gebracht und ein Arbeitslager sowie ein Kolchos errichtet, nur ein Jahr später waren kaum noch 500 Deportierte am Leben.[9] Den Namen Passetschnoje ("Bienenhaus") erhielt das Lager von Bienenstöcken des nahegelegenen Dorfes Stelmachi (Стельмахи), das von seinen früheren weißrussischen Siedlern schon damals aufgegeben worden war.[8] Die meisten der deportierten Russen, Wolga-Tataren und Mordwinen, die bei der Aufhebung der Verbannungen 1957 noch lebten, verließen Passetschnoje in den Folgejahren wieder. Wenige blieben und heirateten einheimische Frauen.[9] Viele Tschulym aus dem Umland wiederum kamen nach Passetschnoje.[3] Im Dorf wurden eine Schule, ein Kulturhaus und eine Ambulanz gebaut.[1] Noch in den 1950er Jahren wurden die Kolchosen der drei Dörfer zusammengelegt[1], in den 1960ern dann die Dörfer selbst.[3] Nach der Auflösung der Sowjetunion wurden in den 1990er Jahren auch die Kolchosen aufgelöst.[1][3] Für die Opfer der politischen Repressionen wurde am 29. Juni 2013 ein Denkmal am westlichen Dorfrand von Passetschnoje errichtet.[9][10][11][12]
Kultur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Seit 2001 bzw. 2005 erhalten auch die Tschulym in Passetschnoje und Tschindat im Rahmen von Programmen zur Förderung der indigenen Völker diverse Sonderrechte und finanzielle Unterstützung für Fischerei, Jagd, Handwerk, Naturschutz, Sprachpflege, Bildung, Nahverkehr, Wohnungsbau, Sport und Kultur.[2][5]
Trotz der staatlichen Förderung gibt es in Passetschnoje nur eine Grundschule.[1] Diese Schule stand 2009 kurz vor der Schließung. Die Schulbehörde der Region Krasnojarsk hatte die Nichterfüllung hygienischer und Brandschutzvorschriften im einzigen Schulgebäude des Dorfes bemängelt. Eltern der tschulymischen Schüler kritisierten, dass es kein alternatives Schulgebäude in der Nähe gebe und der Zustand des Gebäudes nicht schlechter sei als der anderer Schulen in den Nachbardörfern. Unter dem Druck regionaler Medien und mit der Auflage, die Mängel zu beseitigen, wurde schließlich eine vorläufige Sondergenehmigung zum Weiterbetrieb des Schulgebäudes erreicht.[13]
Zur Wiederbelebung des nationalen Handwerks, der Traditionen und der Folklore wird in Passetschnoje alljährlich ein regionales Herbstfest mit Kulturveranstaltungen und Sportwettkämpfen abgehalten.[1][2][5] Überregional, national und international bemüht sich seit 2015 die aus Passetschnoje stammende Musikgruppe Otyken, Sprache und Kultur der Tschulym zu bewahren.[14][15]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d e f g *Энциклопедия Красноярского края vom 7. Juli 2015: Деревня Пасечное
- ↑ a b c d Новости Красноярского края vom 22. August 2013: Праздник на чулымской земле
- ↑ a b c d e f Новости Красноярского края vom 21. Mai 2014: Малая народность «Чулымцы»
- ↑ a b Artikel Tschulym in der Großen Sowjetischen Enzyklopädie (BSE), 3. Auflage 1969–1978 (russisch)
- ↑ a b c История России vom 6. Mai 2016: ЧУЛЫМЦЫ
- ↑ Russia Beyond vom 28. Juni 2023: Wie sowjetische Linguisten Schriftsysteme für die indigenen Völker des Hohen Nordens schufen
- ↑ UNESCO vom 17. April 2023: Chulym Turkic
- ↑ a b Новости Красноярского края: vom 5. November 2019: У нас тут воля вольная!
- ↑ a b c Memorial Krasnojarsk vom 31. Oktober 2020: Пасечному - 80 лет
- ↑ Memorial Krasnojarsk vom 2. Juli 2013: Einweihung des Denkmals für die Opfer politischer Repressionen in dem Dorf Passetschnoje, Bezirk Tjuchtjet
- ↑ Memorial Krasnojarsk vom 2. August 2021: Übersicht über die Verbannungsströme und -Orte im Krasnojarsker Gebiet und der Republik Chakassien
- ↑ Memorial Krasnojarsk vom 31. Dezember 2021: Deportation und Rehabilitation der enteigneten Großbauern
- ↑ Льыоравэтльан vom 18. Oktober 2021: Pasechnoye Village in Krasnoyarsk Krai May Lose School
- ↑ UN News vom 8. Juli 2023: ИНТЕРВЬЮ - Как группа Otyken помогает сохранить языки малых народов Сибири
- ↑ Scriiipt vom 15. Juli 2023: Otyken, la musique venue de Sibérie