Milchsäurebakterien – Wikipedia

Milchsäurebakterien

Lichtmikroskopisches Bild einer Lactobacillus-Art

Systematik
Domäne: Bakterien (Bacteria)
Abteilung: Firmicutes
Klasse: Bacilli
Ordnung: Milchsäurebakterien
Wissenschaftlicher Name
Lactobacillales
Ludwig et al. 2010

Die Milchsäurebakterien oder Lactobacillales (Laktobakterien) bilden eine Ordnung von grampositiven, obligat anaeroben, aber meist aerotoleranten Bakterien, die Kohlenhydrate zu Milchsäure abbauen (Milchsäuregärung).

Milchsäurebakterien kommen bei Menschen und Tieren vor. Sie besiedeln den Verdauungstrakt. Auch in der Milch sind sie zu finden. Bei großer Anzahl führt ihre Milchsäureproduktion zur Verdickung der Milch, die Grundlage für die Herstellung von Joghurt, Käse und weiteren Milcherzeugnissen. Neben den industriell genutzten Milchsäurebakterien gibt es in dieser Ordnung auch Krankheitserreger, z. B. einige Streptococcus-Arten (Streptokokken).

Morphologisch ähneln sich Milchsäurebakterien kaum. Es gibt Vertreter mit kokkenförmigen Zellen (in zahlreichen Gattungen von Aerococcus bis Vagococcus)[1] genauso wie Vertreter, deren Zellen stäbchenförmig erscheinen, mit unterschiedlicher Länge. Zu den Gattungen, deren Zellen typischerweise stäbchenförmig sind, zählen u. a. Lactobacillus und Carnobacterium.[2] Darüber hinaus gibt es eher ovale bzw. ovoide („eiförmige“) Zellformen, die typisch für Leuconostoc und Oenococcus sind. Bei der Gattung Weissella treten sowohl ovoide wie stäbchenförmige Zellen auf.[3]

Alle Milchsäurebakterien gehören zu den grampositiven Bakterien und können keine Endosporen bilden. Als Vertreter der Firmicutes gehören sie zu den Bakterien mit niedrigem GC-Gehalt, also einem niedrigen Anteil an Guanin und Cytosin in der Bakterien-DNA. Der GC-Gehalt vieler Gattungen liegt im Bereich von 34 bis 46 Molprozent, für Vertreter der Gattung Lactobacillus wurden jedoch auch Werte über 50 Molprozent ermittelt.[4]

Lichtmikroskopisches Bild von Enterococcus faecalis, zu erkennen sind einzeln oder paarweise vorliegende Kokken.

Anhand ihrer physiologischen Merkmale können sie einheitlich beschrieben werden. Ihr Stoff- und Energiewechsel ist chemo-heterotroph. Sie sind zur Energiegewinnung auf Kohlenhydrate angewiesen, die sie in einer Gärung verwerten. Kennzeichen dieses fermentativen Stoffwechsels ist, dass die Substrate ohne Sauerstoff abgebaut werden. Das für Milchsäurebakterien typische Produkt bei der Fermentation ist die Milchsäure, folglich wird dieser Stoffwechselweg als Milchsäuregärung bezeichnet. Nach den Produkten, die bei der Milchsäuregärung entstehen, kann man wie folgt unterscheiden:[4][5]

Die Vertreter der Gattung Lactobacillus bilden diesbezüglich keine einheitliche Gruppe.[5]

Von anderen ebenfalls Milchsäure produzierenden Bakterien unterscheiden sich die Milchsäurebakterien dadurch, dass sie hinsichtlich des Stoffwechsels einzig zur Gärung in der Lage sind, welche sie auch bei Anwesenheit von Sauerstoff ausführen. Sie können sich in Anwesenheit und Abwesenheit von Sauerstoff vermehren, der Stoffwechsel wird somit als fakultativ anaerob bezeichnet.[4] Durch ihre Spezialisierung auf das Wachstum in Milch und ähnlich nährstoff- und supplinreichen Umgebungen haben Milchsäurebakterien die Fähigkeit zur Biosynthese vieler lebensnotwendiger Stoffe verloren, wie zum Beispiel von Aminosäuren und die für Atmungsprozesse notwendigen Porphyrine und Cytochrome. Unter anderem bilden sie keine Katalase.[5]

Vorkommen und Ökologie

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Bezüglich ihres Bedarfs an Nährstoffen wie Kohlenhydraten, Aminosäuren, Vitaminen und anderen Supplinen sind Milchsäurebakterien als anspruchsvoll zu charakterisieren. Außerdem bevorzugen sie Habitate mit geringer Sauerstoffsättigung.[2][3]

Trotzdem sind Milchsäurebakterien beinahe ubiquitär verbreitet. Man kann sie im Darm beziehungsweise in Schleimhäuten von Säugetieren finden. Beim Menschen finden sich Milchsäurebakterien vor allem im Verdauungstrakt – inklusive Mundhöhle und Darm – sowie in der Vagina des Menschen (nach dem Entdecker als Döderlein-Bakterien bezeichnet). Bei Schweinen, Rindern, Hunden, Mäusen, Ratten, Hühnern und weiteren Tierarten wurden sie als Bestandteil der Darmflora nachgewiesen.[2] Sogar im Magen von Honigbienen und Fröschen kommen sie vor.[3] Weiterhin sind sie in lebenden oder sich zersetzenden Pflanzen, in Milch und allen Orten, die mit Milch in Berührung kommen, zu finden.[6] Auch im Abwasser wurden sie gefunden.[2] Einige Vertreter bevorzugen ein marines Habitat.[7]

Betrachtet man die Habitate unter dem Aspekt der Lebens- oder Futtermittel, so lassen sich zahlreiche Beispiele finden, bei denen die Milchsäurebakterien an einer „erwünschten“ Fermentation beteiligt sind, wie bei Joghurt, Käse, Sauerteig, Sauerkraut, Rohwurst oder Silage. Andererseits führt ihre Anwesenheit auch zum mikrobiellen Verderb vieler Lebensmittel, beispielsweise von Bier, Wein und Cidre oder Fleisch und Fleischprodukten. Außerdem ist zu beachten, dass viele Milchsäurebakterien auch im sauren Milieu, also bei niedrigen pH-Werten, wachsen können. So können sie am Verderb von Fruchtsäften oder mit Essig konservierten Speisen beteiligt sein.[2][3]

Durch ihre Milchsäuregärung wird der pH-Wert im Habitat der Milchsäurebakterien abgesenkt. Dies führt bei vielen anderen Bakterien dazu, dass sie sich dort nicht mehr vermehren können. So werden unter anderem Clostridien, Listerien oder Coliforme Bakterien im Wachstum gehemmt. Diese Auswirkung erweist sich als positiv bei der Herstellung von Lebens- oder Futtermitteln.

Historische Entwicklung ab dem 20. Jahrhundert

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Die Systematik der Milchsäurebakterien hat sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich verändert. In den 1960er Jahren wurden die Milchsäurebakterien der Familie der Lactobacteriaceae zugerechnet.[8][9] In der auf dem neu organisierten Bakteriologischen Code basierenden Approved Lists of Bacterial Names (engl. für „anerkannte Listen der Bakteriennamen“) von 1980 ist diese Familie jedoch nicht aufgeführt, dafür ist die Familie der Lactobacillaceae enthalten.[10] Doch auch später wurde diese veraltete Systematik der Familie der Lactobacteriaceae teilweise noch verwendet.[6] In der Approved Lists of Bacterial Names von 1980 finden sich außerdem die Lactobacilleae mit der Typusgattung Lactobacillus in der an die Botanik angelehnte Rangstufe Tribus,[10] die in der Systematik der Bakterien keine Verwendung mehr findet. Als eigene Ordnung wurden die Milchsäurebakterien erst durch Wolfgang Ludwig etabliert, der zusammen mit Karl-Heinz Schleifer und William B. Whitman die Lactobacillales ord. nov. im Bergey’s Manual of Systematic Bacteriology (Ausgabe von 2009) beschrieb,[11] dabei steht „ord. nov.“ für ordo novus (lateinisch für „neue Ordnung“). Durch die Veröffentlichung in der Validation List no. 132 wurde die Ordnung Lactobacillales gemäß den Regeln des Bakteriologischen Codes somit 2010 anerkannt.[12]

Der Ordnungsname ist von der Typusgattung Lactobacillus abgeleitet, mit der typischen Endung -ales, dabei steht lactis aus dem Lateinischen für „Milch“ und verweist auf das Vorkommen der Milchsäurebakterien.[1] Die eingedeutschte Bezeichnung Laktobazillen verweist auf Angehörige der Gattung Lactobacillus[4] und sollte daher nicht für die Lactobacillales verwendet werden.

Die genaue Systematik der Milchsäurebakterien ist teilweise umstritten. So findet man in verschiedenen Quellen auch die Familie Oscillospiraceae, welche aber z. B. in dem wichtigen Referenzwerk der phylogenetischen Systematik der Prokaryoten, Bergey’s Manual of Systematic Bacteriology (Ausgabe von 2004) nicht geführt wird.[13]

Aktuelle Systematik

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Zurzeit gehören sechs Familien mit insgesamt etwa 40 Gattungen zur Ordnung Lactobacillales, zu den Familien sind exemplarisch jeweils einige Gattungen genannt (Stand 2014):[1]

Zu incertae sedis wird die Gattung Acetoanaerobium gezählt.[1]

Wichtige Vertreter

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Von Bedeutung für den Menschen sind beispielsweise folgende Arten und Unterarten:

Bedeutung für den Menschen

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Milchsäurebakterien gehören zu den wichtigsten Vertretern in der menschlichen Darmflora sowie der Vaginalflora. Einige Arten sind pathogen, können also Krankheiten verursachen, darunter mehrere Streptococcus-Spezies. Streptococcus pneumoniae ist ein Erreger, der u. a. eine Lungenentzündung verursachen kann, Streptococcus mutans und Streptococcus sobrinus sind an der Entstehung von Zahnkaries beteiligt. Milchsäurebakterien können in Hautzellen eingeschlossen werden und sie in multipotente Zellen umwandeln.[14]

Von großer Bedeutung für den Menschen ist die industrielle Nutzung der Lactobacillales. Verschiedene Arten, Unterarten und Bakterienstämme werden zur Haltbarmachung von Lebensmitteln eingesetzt, z. B. Joghurt, Kefir, Sauermilch, Käse aber auch im Sauerkraut, im Kimchi und beim Backen z. B. im Sauerteig. Weiterhin werden sie auch zur Hautpflege und Kariesprophylaxe[15] verwendet.

Einige Milchsäurebakterien werden als Probiotikum eingesetzt. Die Werbung schreibt dem regelmäßigen Konsum von Lactobacillus casei oder Lactobacillus acidophilus enthaltenden Produkten eine besondere Wirkung zu.

Bedeutung in der Milch

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Für die milchverarbeitende Industrie sind die Milchsäurebakterien ein Kriterium für die Qualität. An die Molkerei gelieferte Kuhmilch (Anlieferungsmilch) wird nach der Milch-Güteverordnung in EU-Güteklassen eingeteilt: Bei weniger als 100.000 Keimen/ml entspricht die Milch der Güteklasse 1, darüber der Güteklasse 2. Diese durchschnittlichen Keimzahlen werden über einen längeren Zeitraum erfasst. Seit längerem kann man von einem Durchschnitt von 20.000 Keimen/ml Milch ausgehen.[16][17] Wird das Euter der Kühe zu Beginn des Melkens mit der Hand geputzt, so kann diese Milch oftmals keimärmer als die von vollautomatisiert gemolkenen Kühen sein. Unter möglichst aseptischen Bedingungen gemolkene Milch enthält weniger als 1.000 Keime/ml.[2]

In warmer Umgebung (20 bis 30 °C) wird unbehandelte Milch nach etwa zehn Stunden mit etwa einer Million Bakterien pro Milliliter sauer. Durch die Säure wird das Milcheiweiß ausgefällt, so dass eine Verdickung der Milch eintritt, das sogenannte Dicklegen. Vorzugsmilch wird deshalb sofort nach dem Melken auf max. 6 °C abgekühlt, da dies das Bakterienwachstum hemmt.

Commons: Milchsäurebakterien (Lactobacillales) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b c d Jean Euzéby, Aidan C. Parte: Order Lactobacillales. In: List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN). Abgerufen am 20. Juli 2014.
  2. a b c d e f Walter P. Hammes, Christian Hertel: The Genera Lactobacillus and Carnobacterium. In: The Prokaryotes. A Handbook on the Biology of Bacteria. Band 4: Bacteria: Firmicutes, Cyanobacteria. Herausgegeben von M. Dworkin u. a. 3. Auflage. Springer, New York 2006, ISBN 978-0-387-25494-4, S. 320–403
  3. a b c d e f Johanna Björkroth, Wilhelm Holzapfel: Genera Leuconostoc, Oenococcus and Weissella. In: M. Dworkin u. a. (Hrsg.): The Prokaryotes. A Handbook on the Biology of Bacteria. Band 4: Bacteria: Firmicutes, Cyanobacteria. 3. Auflage. Springer, New York 2006, ISBN 978-0-387-25494-4, S. 267–319.
  4. a b c d Michael T. Madigan, John M. Martinko, Jack Parker: Brock Mikrobiologie. Deutsche Übersetzung herausgegeben von Werner Goebel. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin 2000, ISBN 978-3-8274-0566-1, S. 558–563, 693.
  5. a b c Hans G. Schlegel, Christiane Zaborosch: Allgemeine Mikrobiologie. 7. Auflage. Thieme, Stuttgart / New York 1992, ISBN 3-13-444607-3, S. 296–299.
  6. a b Gerhard Eisenbrand, Peter Schreier (Hrsg.): Römpp Lexikon der Lebensmittelchemie. 2. Auflage. Thieme, Stuttgart/New York 2006, ISBN 978-3-13-736601-0, S. 741–745 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  7. M. Ishikawa, K. Nakajima u. a.: Marinilactibacillus psychrotolerans gen. nov., sp. nov., a halophilic and alkaliphilic marine lactic acid bacterium isolated from marine organisms in temperate and subtropical areas of Japan. In: International journal of systematic and evolutionary microbiology, Band 53, Nr. 3, Mai 2003, S. 711–720, ISSN 1466-5026. PMID 12807191.
  8. William M. O. Leary: Decenoic, Dodecenoic, and Tetradecenoic Acids in the Lactobacteriaceae. In: Biochemistry, Band 4, Nr. 8, August 1965, S. 1621–1627, ISSN 0006-2960. doi:10.1021/bi00884a025.
  9. Milchsäurebakterien. In: Kompaktlexikon der Biologie bei Spektrum.de. Abgerufen am 20. Juli 2014.
  10. a b Approved Lists of Bacterial Names. In: V. B. D. Skerman, Vicki McGowan, P. H. A. Sneath (Hrsg.): International Journal of Systematic Bacteriology. Band 30, Nr. 1, 1980, S. 225–420, doi:10.1099/00207713-30-1-225 (sgmjournals.org [PDF; abgerufen am 13. April 2014]).
  11. W. Ludwig, K.-H. Schleifer, W. B. Whitman: Order II. Lactobacillales ord. nov. In: Bergey’s Manual of Systematic Bacteriology. 2. Auflage. Band 3: The Firmicutes. Springer, New York 2009, ISBN 978-0-387-95041-9.
  12. Jean Euzéby: List of new names and new combinations previously effectively, but not validly, published – Validation List no. 132. In: International Journal of Systematic and Evolutionary Microbiology, Band 60, Nr. 3, März 2010, S. 469–472, doi:10.1099/ijs.0.022855-0.
  13. George M. Garrity u. a.: Taxonomic Outline of the Prokaryotes. Bergey’s Manual of Systematic Bacteriology. 2. Auflage, Release 5.0. Springer-Verlag, New York 2004 (uni-muenster.de (Memento vom 17. Juni 2012 im Internet Archive; PDF; 3,3 MB)).
  14. K. Ohta, R. Kawano, N. Ito: Lactic acid bacteria convert human fibroblasts to multipotent cells. In: PloS one, Band 7, Nr. 12, 2012, S. e51866, ISSN 1932-6203. doi:10.1371/journal.pone.0051866. PMID 23300571. PMC 3530539 (freier Volltext).
  15. BASF pro-t-action™ Lactobazillus anti-caries für die Mundhygiene (Memento des Originals vom 2. Februar 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.pro-t-action.com
  16. Statistiken Keimzahl. In: Webseite Milchprüfring Baden-Württemberg e. V. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. Juli 2014; abgerufen am 21. Juli 2014.
  17. Milchqualität in Bayern. In: Website Landesvereinigung der Bayerischen Milchwirtschaft e. V. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. Dezember 2013; abgerufen am 21. Juli 2014.