Reichstagswahl 1884 – Wikipedia
Die Reichstagswahl 1884 war die Wahl zum 6. Deutschen Reichstag. Sie fand am 28. Oktober 1884 statt.
Die Wahlbeteiligung lag bei knapp über 60 % und damit wieder höher als bei der Reichstagswahl 1881.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Wahlkampf stand im Zeichen der beginnenden Kolonialpolitik, die die Unterstützung von Reichskanzler Otto von Bismarck gefunden hatte und von den Konservativen und der Nationalliberalen Partei befürwortet wurde. Bismarck bezeichnete im September 1884 gegenüber Karl Heinrich von Boetticher „die ganze Kolonialgeschichte“ als „Schwindel, aber wir brauchen sie für die Wahlen“.[1] Friedrich Engels kommentierte in einem Brief an Eduard Bernstein, Bismarck habe „mit dem Kolonialschwindel einen famosen Wahlcoup gemacht. Darauf fällt der Philister hinein, ohne Gnade und massenhaft“.[2] Das erwies sich als Fehlprognose: Trotz der Popularität der Kolonialpolitik gewann die Deutschkonservative Partei (DkP) keine Stimmen dazu. Die Nationalliberalen konnten nach herben Verlusten bei den vorhergehenden Wahlen wieder mehr Mandate gewinnen. Aber die regierungsfreundliche Mehrheit, auf die Bismarck gehofft hatte, kam nicht zustande. Der Kanzler musste weiterhin mit wechselnden Mehrheiten regieren.[3]
Die Deutsche Fortschrittspartei und die Liberale Vereinigung hatten sich zur Deutschen Freisinnigen Partei zusammengeschlossen. Zusammen mit der Deutschen Volkspartei gewannen sie aber nur 74 Mandate; bei der vorherigen Reichstagswahl hatte das linksliberale Lager noch 115 Abgeordnete gestellt. Das war auch der eher skeptischen Haltung zur Kolonialpolitik geschuldet.
Trotz der anhaltenden Behinderung durch das Sozialistengesetz konnten die Sozialdemokraten ihre Mandatszahl von 12 auf 24 verdoppeln. Das Zentrum behauptete sich unterdessen als stärkste Fraktion.
Immer stärker wurden die Verzerrungen sichtbar, die das Mehrheitswahlrecht mit sich brachte. Da es seit der Reichstagswahl 1871 keine Neuabgrenzung der Wahlkreise gegeben hatte, waren durch Wanderungsbewegungen Städte unter- und ländliche Gebiete überrepräsentiert. Dies schadete vor allem den in den Städten stärkeren Linksliberalen und den Sozialdemokraten. So kam die Freisinnige Partei insgesamt auf 17,6 % der Stimmen und damit auf 67 Sitze (16,9 %), während die Deutschkonservative Partei mit 15,2 % der Stimmen 78 Mandate (19,6 %) errang. Die Sozialdemokraten hatten mit 9,7 % der Stimmen 24 Mandate (6,0 %) gewonnen, die Deutsche Reichspartei erreichte mit nur 6,9 % der Stimmen aber 28 Mandate (7,1 %).
Ergebnisse
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Politische Richtung | Parteien | Wählerstimmen | Sitze im Reichstag[4] | ||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
in Mio. | Anteil | ggüb. 1881 | absolut | Anteil | ggüb. 1881 | ||||
Konservative | Deutschkonservative Partei (DKP) | 0,861 | 15,2 % | −1,1 % | 78 | 19,6 % | +22 | ||
Deutsche Reichspartei (DRP) | 0,388 | 6,9 % | −0,6 % | 28 | 7,1 % | ±0 | |||
Liberale | Rechts- | Nationalliberale Partei (NLP) | 0,997 | 17,6 % | +5,0 % | 51 | 12,8 % | +5 | |
Links- | Deutsche Freisinnige Partei (DFP) | 0,997 | 17,6 % | −3,2 % | 671) | 16,9 % | −39 | ||
Deutsche Volkspartei (DtVP) | 0,096 | 1,7 % | −0,3 % | 7 | 1,8 % | −2 | |||
Katholiken | Zentrumspartei | 1,282 | 22,6 % | −0,6 % | 99 | 24,9 % | −1 | ||
Sozialisten | Sozialdemokraten (SAP) | 0,550 | 9,7 % | +3,6 % | 242) | 6,0 % | +12 | ||
Regionalparteien, Minderheiten | Deutsch-Hannoversche Partei (DHP) | 0,096 | 1,7 % | −0,1 % | 11 | 2,8 % | +1 | ||
Polen | 0,203 | 3,6 % | −0,2 % | 16 | 4,0 % | −2 | |||
Dänen | 0,014 | 0,3 % | ±0,0 % | 1 | 0,3 % | −1 | |||
Elsaß-Lothringer | 0,166 | 2,9 % | −0,1 % | 15 | 3,8 % | ±0 | |||
Sonstige | 0,013 | 0,2 % | −0,1 % | - | - | ±0 | |||
Gesamt | 5,663 | 100 % | 397 | 100 % |
Anmerkungen
In fünf Fällen gewann ein Kandidat gleichzeitig zwei Wahlkreise. In einem solchen Fall konnte das Mandat nur für einen der beiden Wahlkreise angenommen werden und in dem anderen Wahlkreis wurde eine Nachwahl durchgeführt.
1)Carl Braun gewann sowohl den schlesischen Wahlkreis Sagan als auch den sächsischen Wahlkreis Döbeln. Er nahm das Mandat in Döbeln an. Eugen Richter gewann sowohl den Wahlkreis Berlin 5 als auch den westfälischen Wahlkreis Hagen. Er nahm das Mandat in Hagen an. Heinrich Rickert gewann sowohl den Wahlkreis Danzig-Stadt als auch den Wahlkreis Brandenburg an der Havel. Er nahm das Mandat in Brandenburg an.
2)Wilhelm Blos gewann sowohl den Wahlkreis Braunschweig-Stadt als auch den Wahlkreis Reuß älterer Linie. Er nahm das Mandat in Braunschweig an. Wilhelm Hasenclever gewann sowohl den Wahlkreis Berlin 6 als auch den Wahlkreis Breslau-Ost. Er nahm das Mandat in Breslau an.
Das Ergebnis der Deutschen Freisinnigen Partei (DFP) wird mit den addierten Ergebnissen der Deutschen Fortschrittspartei und der Liberalen Vereinigung von 1881 verglichen.
Gewählte Abgeordnete nach Wahlkreisen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In jedem der insgesamt 397 Wahlkreise wurde nach absolutem Mehrheitswahlrecht ein Abgeordneter gewählt. Wenn kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichte, wurde eine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten durchgeführt. In den folgenden Tabellen werden die Wahlkreissieger und ihre im amtlichen Endergebnis genannte Parteistellung angegeben.[4]
Preußen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bayern
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sachsen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Württemberg
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Baden
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Großherzogtum Baden | ||||
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1 | Konstanz, Überlingen, Stockach | Konstantin Noppel | NLP | |
2 | Donaueschingen, Villingen | Hermann von Hornstein | DKP | |
3 | Waldshut, Säckingen, Neustadt im Schwarzwald | Ernst Friedrich Krafft | NLP | |
4 | Lörrach, Müllheim | Markus Pflüger | DFP | |
5 | Freiburg, Emmendingen, Waldkirch | Ludwig Marbe | Zentrum | |
6 | Lahr, Wolfach | Ferdinand Sander | NLP | |
7 | Offenburg, Kehl | Franz Roßhirt | Zentrum | |
8 | Rastatt, Bühl, Baden-Baden | Franz Xaver Lender | Zentrum | |
9 | Pforzheim, Ettlingen | Gottlieb Klumpp | NLP | |
10 | Karlsruhe, Bruchsal | Leopold Arnsperger | NLP | |
11 | Mannheim | Wilhelm Kopfer | DtVP | |
12 | Heidelberg, Mosbach | Julius Menzer | DKP | |
13 | Bretten, Sinsheim | Ernst von Göler-Ravensburg | DKP | |
14 | Tauberbischofsheim, Buchen | Rudolf von Buol-Berenberg | Zentrum |
Hessen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Großherzogtum Hessen | ||||
---|---|---|---|---|
1 | Gießen, Grünberg, Nidda | Hugo Buderus | NLP | |
2 | Friedberg, Büdingen, Vilbel | Hugo Hinze | DFP | |
3 | Lauterbach, Alsfeld, Schotten | Fritz Kalle | NLP | |
4 | Darmstadt, Groß-Gerau | Justus Ulrich | NLP | |
5 | Offenbach, Dieburg | Wilhelm Liebknecht | SAP | |
6 | Erbach, Bensheim, Lindenfels, Neustadt im Odenwald | Ferdinand Scipio | NLP | |
7 | Worms, Heppenheim, Wimpfen | Heinrich von Marquardsen | NLP | |
8 | Bingen, Alzey | Ludwig Bamberger | DFP | |
9 | Mainz, Oppenheim | Josef Racke | Zentrum |
Kleinstaaten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Elsaß-Lothringen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Reichsland Elsaß-Lothringen | ||||
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1 | Altkirch, Thann | Landolin Winterer | Els.-Lothringer | |
2 | Mülhausen | Johann Dollfus | Els.-Lothringer | |
3 | Kolmar | Charles Grad | Els.-Lothringer | |
4 | Gebweiler | Joseph Guerber | Els.-Lothringer | |
5 | Rappoltsweiler | Jacob Ignatius Simonis | Els.-Lothringer | |
6 | Schlettstadt | Irénée Lang | Els.-Lothringer | |
7 | Molsheim, Erstein | Hugo Zorn von Bulach | Els.-Lothringer | |
8 | Straßburg-Stadt | Jacques Kablé | Els.-Lothringer | |
9 | Straßburg-Land | Alfred Mühleisen | Els.-Lothringer | |
10 | Hagenau, Weißenburg | Eugène de Dietrich | Els.-Lothringer | |
11 | Zabern | Alfred Goldenberg | Els.-Lothringer | |
12 | Saargemünd, Forbach | Eduard Jaunez | Els.-Lothringer | |
13 | Bolchen, Diedenhofen | Henri de Wendel | Els.-Lothringer | |
14 | Metz | Dominique Antoine | Els.-Lothringer | |
15 | Saarburg, Chateau-Salins | Charles Germain | Els.-Lothringer |
Die Fraktionen des 6. Reichstags
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im 6. Reichstag schlossen sich mehrere Abgeordnete nicht der Fraktion ihrer eigentlichen Partei an und blieben zum Teil fraktionslos. Zehn DHP-Abgeordnete traten der Zentrumsfraktion bei. Da in fünf Fällen Abgeordnete ein Doppelmandat gewonnen hatten, jedoch nur das Mandat für einen Wahlkreis annehmen konnten, besaß der Reichstag am Beginn der 6. Legislaturperiode nur 392 Mitglieder. Zunächst besaßen die Reichstagsfraktionen die folgende Stärke:[5]
Zentrum | 109 |
Deutschkonservative | 76 |
Freisinnige | 61 |
Nationalliberale | 50 |
Freikonservative | 28 |
Sozialdemokraten | 22 |
Polen | 16 |
Deutsche Volkspartei | 7 |
Fraktionslose | 23 |
Im weiteren Verlauf der Legislaturperiode änderte sich aufgrund von Nachwahlen und Fraktionswechseln mehrfach die Stärke der einzelnen Fraktionen.
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Statistisches Jahrbuch des Deutschen Reichs (PDF; 161 kB)
- Ergebnis der Reichstagswahl 1884 mit Grafik
- Wahlen in Deutschland bis 1918, dort:
- Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern, dort:
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien. 7. Auflage, Schöningh, Paderborn 2018, S. 61.
- ↑ Johannes Kunisch: Bismarck und seine Zeit. Duncker & Humblot, Berlin 1992, S. 213.
- ↑ Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen, Bd. 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik. C.H. Beck, München 2000, S. 252.
- ↑ a b Kaiserliches Statistisches Amt (Hrsg.): Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, Jahrgang 1885, Heft 1. Puttkammer & Mühlbrecht, Berlin 1885.
- ↑ Deutscher Parlaments-Almanach 1884. (PDF) Münchener Digitalisierungszentrum, abgerufen am 20. November 2009.